Rentenabbau: Grosse Medien schauen weg

Nr. 38 –

Am Wochenende protestierten 15 000 DemonstrantInnen gegen die Erhöhung des Rentenalters für Frauen und die im Parlament aufgegleiste Senkung des Rentenniveaus. Es war wohl die grösste Demonstration der letzten zwei Jahre. Das Echo in den überregionalen Medien auf die aktuell sozialpolitisch relevanteste Frage fiel sehr bescheiden aus. Dem «Tages-Anzeiger» waren der Aufmarsch und die Hintergründe des Protests in der Printausgabe keine Zeile mehr wert. Den Konflikten um die kleineren Coronademos oder dem Zoff um den kleinen Auflauf «Marsch fürs Läbe» am selben Wochenende war hingegen die hingebungsvolle Aufmerksamkeit der Redaktionen sicher. Diese Ignoranz überrascht nicht. Frauen und ihre Anliegen sind in der medialen Realität nach wie vor stark unterrepräsentiert.

Dabei steckt hinter dem Rentenprotest eine breite Bewegung. Betroffen sind im Kern alle in der Schweiz lebenden Menschen, insbesondere jene mit tiefen Löhnen, die Pflegerin oder die Kassierin. Im Juni vor zwei Jahren gingen mehr als eine halbe Million Frauen auf die Strasse und forderten lautstark die seit dreissig Jahren in der Verfassung festgeschriebene Gleichstellung. Die grössten Strassenproteste der jüngeren Schweizer Geschichte verlangten ein Ende von Diskriminierung und sexueller Belästigung sowie Lohngleichheit und Gleichstellung in den Sozialversicherungen. Die Benachteiligung der Frauen spiegelt sich besonders krass in ihren deutlich tieferen Renten. Die Hälfte der Frauen muss schon heute mit 2900 Franken oder weniger auskommen. Damit ist materiell kein wirklich selbstbestimmtes Leben möglich. Das ist der eigentliche Skandal.

Rentenerhöhungen, nicht die Senkung des Rentenniveaus wäre das Thema der Stunde. Die überregionalen Medien beziehungsweise die tonangebenden Spitzen in den Redaktionen haben das Framing der Bürgerlichen aber offensichtlich längst verinnerlicht: Ohne Rentenaltererhöhung werde die Altersvorsorge im nächsten Jahrzehnt pleitegehen. Als gäbe es in diesem reichen Land keine Alternativen. So berichteten die meinungsbestimmenden Medien ausführlich über die Initiative für das Rentenalter 66 der Jungfreisinnigen, während sie die zustande gekommene Initiative der Gewerkschaften und linken Parteien für eine 13. AHV-Rente links liegen lassen. Das ist auch eine Folge der Medienkonzentration. Die Monopolisierung der Meinungsmacht der vier grossen bürgerlichen Medienhäuser ist ein Problem für das Land.

Wer einem Rentenausbau das Wort redet, gilt als ökonomischeR TraumtänzerIn. Dabei gibt es realistische Finanzierungen, die allerdings medial nicht ernsthaft erörtert werden. Die Gewerkschaft Travail Suisse etwa hat ausgerechnet, dass die rasche Herstellung der Lohngleichheit etwas mehr als 800 Millionen Franken in die AHV-Kasse spülen würde. Zusammen mit den derzeit vom Ständerat beschlossenen Ausgleichszahlungen wäre das Sanierungsziel ohne Frauenrentenalter-Erhöhung erreicht.

Dass Alternativen kein Thema sind, erstaunt nicht weiter. Die offensivste sozialpolitische Kraft im Land sind die Gewerkschaften, ihre Anliegen sind aber auf den Redaktionen nicht besonders wohlgelitten. Manche Medienhäuser sind dafür ausgesprochen reichenfreundlich. Der «Blick» oder das «St. Galler Tagblatt» rechneten kürzlich gegen die 99-Prozent-Initiative der Juso vor, dass die Reichen und Wohlhabenden mehr Steuern bezahlen als «Büezer». Sie «deckten auf», dass die Schweiz die SteuerzahlerInnen nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit besteuert. Im internationalen Vergleich ist der Spitzensteuersatz allerdings tief, er ist seit 2007 sogar um rund ein Prozent gesunken. Es gibt also Spielraum nach oben.

Den gibt es auch für die tonangebenden Medien. Als im Frühjahr in Wochenfrist über 300 000 Unterschriften gegen die Rentenaltererhöhung der Frauen zusammenkamen, war das keine Schlagzeile wert. Diese tendenziöse Berichterstattung untergräbt eine öffentliche Debatte über angemessene Renten für alle. Denn wer einseitig informiert ist, glaubt schliesslich das Mantra von Rentenkürzungen und Rentenaltererhöhung.