Altersvorsorge: Reformpaket in der Schwebe

Nr. 6 –

Die Bürgerlichen wollen einen Rentenabbau auf Kosten der Frauen. Die Linke ist gegen eine Erhöhung des Rentenalters. Die Rentenreform des Bundesrats scheint schon jetzt gescheitert zu sein.

Viele bürgerliche PolitikerInnen leben offenbar in einer Blase der Wohlhabenden, die sich keine Sorgen um ein auskömmliches Leben im Alter machen müssen. Sie politisieren, als ginge es bei den Reformen der ersten und zweiten Säule, die in diesem Jahr im Parlament verhandelt werden, um eine isolierte arithmetische Knobelaufgabe und nicht um das reale Leben.

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) hat errechnet, dass die Hälfte der künftigen RentnerInnen bereits bei den jetzt geltenden Vorsorgeregelungen mit weniger als 3500 Franken im Monat auskommen müssen. Betrachtet man allein die Frauenrenten, sieht es noch erheblich schlechter aus. Bei ihnen liegt das mittlere Renteneinkommen gerade mal bei 2900 Franken. Für viele heisst das: Sie sehen einem Alter entgegen, in dem sie zwar überleben, nicht aber anständig leben können, wie es die Bundesverfassung postuliert. Betroffen ist auch der Mittelstand. Wegen Kürzungen bei den Umwandlungssätzen im überobligatorischen Teil sind die Rentenversprechen der Pensionskassen um bis zu zwanzig Prozent und mehr gesunken.

Und es käme noch schlimmer, wenn man wegen des Seitenwechsels der Mitte die mittlerweile geschlossene bürgerliche Phalanx machen liesse. FDP und SVP verlangen schon seit langem eine Erhöhung des Rentenalters und eine Kürzung der BVG-Renten auch im obligatorischen Teil.

Ständerat: Auf Kosten der Frauen

2017 scheiterte Alain Bersets Vorlage, mit der er die erste und die zweite Säule zusammen reformieren wollte, am Widerstand der Rechtsbürgerlichen und eines Teils der Linken. Nun behandelt das Parlament die beiden Säulen getrennt. FDP und SVP hatten vor der Abstimmung im Jahr 2017 geprahlt, sie hätten einen Plan B, mit dem sich die Altersvorsorge rasch reformieren lasse. Wie damals bedeutet Plan B auch dreieinhalb Jahre danach: Renten senken, Pensionsalter erhöhen. Die Jungfreisinnigen haben eine Initiative gestartet, die das Rentenalter schrittweise auf 66 erhöhen und danach an die Lebenserwartung koppeln will.

Die AHV-Vorlage des Bundesrats sieht ebenfalls eine Erhöhung des Rentenalters der Frauen auf 65 vor. Doch er möchte den Frauen einer Übergangsgeneration der Jahrgänge 1957 bis 1964 den hohen Preis, den sie bezahlen, mit bescheidenen Kompensationszahlungen schmackhaft machen. 700 Millionen Franken will er dafür aufwerfen. Den Bürgerlichen ist das immer noch zu viel: Ihre Mehrheit in der Sozialkommission des Ständerats will den Betrag auf 400 Millionen kürzen. Ausserdem soll ein flexibler Rentenbezug erst ab 63 und nicht wie vom Bundesrat vorgeschlagen ab 62 möglich sein. Immerhin gesteht sie der Mitte ein Zückerchen zu. So soll die Ehepaarrente steigen. Ein Ausbau, den auch die Linke unterstützt. Doch anders als 2017 ist die SP gegen jede Rentenaltererhöhung und damit gegen den Kern der AHV-Vorlage. In der Frühjahrssession wird darüber im Ständerat debattiert.

Der Widerstand ist enorm

Gegen die Abbauvorschläge der Bürgerlichen formiert sich bereits massiver Widerstand der Gewerkschaften. Einen vom Gewerkschaftsbund online gestellten offenen Brief an «die Herren im Ständerat» haben in Wochenfrist mehr als 300 000 Frauen und Männer unterschrieben. Dort heisst es unter anderem: «Wir wollen endlich eine bessere Rentenabsicherung im Alter und höhere Frauenrenten. Knapp zwei Jahre nach dem Frauen*streik folgt genau das Gegenteil! Eine Ohrfeige.» Überraschend sind die Vorstösse der ständerätlichen Kommission freilich nicht. SVP, FDP, CVP (heute die Mitte) und GLP hatten sich bereits im vergangenen Jahr auf tiefere Kompensationszahlungen für die Frauen geeinigt.

Mit der bürgerlichen Einigkeit ist es allerdings nicht weit her. Der Mitte-Parteipräsident Gerhard Pfister kritisiert die Abbauvorschläge der Sozialkommission. Notfalls ergreife er dagegen das Referendum, sagte er am Dienstag in einem Interview mit dem «Blick» – und bezieht sich auf Rückmeldungen aus seiner Basis. Man kann Pfisters Ansage auch als Disziplinierung seiner Fraktion lesen, denn die Entscheide in der Sozialkommission kamen nur dank der CVP-StänderätInnen zustande. Bereits 2017 hatte Pfister einer rechten Abbauvorlage an der Urne keine Chancen gegeben und die Einbindung der Linken in einen Kompromiss als wichtig bezeichnet. Pfister sagt zur WOZ: «Wir müssen noch in dieser Legislatur zwei Vorlagen hinbekommen, die an der Urne eine Chance haben.»

Sinkende BVG-Renten

Das grosse Sorgenkind ist allerdings nicht die AHV. Nach Annahme der Steuerreform und AHV-Finanzierung (Staf) ist sie vorläufig gesichert. Die AHV-Renten sind also stabil. 2020 haben die Anlagen der ersten Säule zudem gut rentiert – wahrscheinlich schliesst das wichtigste Sozialwerk positiv ab. Das grosse Sorgenkind ist die zweite Säule. Im Gegensatz zur AHV sinken die Rentenversprechen der Pensionskassen bereits seit Jahren. Auch hier greift die Rechte die bundesrätliche BVG-Vorlage an, die den sogenannten Sozialpartnerkompromiss von Arbeitgeberverband und Gewerkschaften aufgreift. Dieser will die Senkung des Umwandlungssatzes mit stabilen Kompensationszahlungen an die RentnerInnen auffangen – neu mit einem Umlageelement, also einer Umverteilung von oben nach unten.

Die Kommission für Soziales und Gesundheit des Nationalrats hat Eintreten auf die Vorlage beschlossen, will aber von der Verwaltung noch genauere Auskünfte. Kommissionsmitglied Barbara Gysi (SP) befürchtet aber, dass der Sozialpartnerkompromiss auf bürgerlicher Seite einen schweren Stand haben wird. Allerdings sind sich die GegnerInnen der Vorlage, namentlich der Gewerbeverband und die Versicherungswirtschaft, uneinig über Alternativen. «Wir müssen die Erosion der Renten in der zweiten Säule stoppen. Der Sozialpartnerkompromiss ist ein Schritt vorwärts – besonders für Frauen und Teilzeitarbeitende», sagt Barbara Gysi. Jeder Angriff von rechts auf diesen Kompromiss werde dazu führen, dass die SP aussteige.

Minimalziel stabile Renten

Zusammengenommen scheinen die neuerlichen Reformbemühungen der Altersvorsorge bereits gescheitert, ehe sie richtig in Fahrt kommen. Die Forderungen der Bürgerlichen stehen jenen der Linken diametral entgegen. Denkbar wäre ein Einlenken der SP allenfalls dann, wenn die Kompensationszahlungen massiv höher ausfielen. Doch die SozialdemokratInnen ziehen vor ihrer Delegiertenversammlung an diesem Wochenende schon mal «rote Linien»: keine Erhöhung des Rentenalters, keine Senkung der Renten, keine Verschlechterung des BVG-Kompromisses der Sozialpartner, Verbesserung der Pensionskassenrenten, keine Verknüpfung der beiden Reformen, wenn damit Leistungseinbussen verschleiert werden sollen.

Steigt die SP ganz aus, wird sie Vorschläge vorlegen, die AHV auf Kosten der Pensionskassen zu stärken: Denkbar wäre die Verschiebung von den hohen Lohnprozenten für die zweite Säule hin zur AHV. Mit dieser unbürokratischen und schnell umsetzbaren Übung könnten die tieferen Renten stabilisiert und gesichert werden. Der Gewerkschaftsbund sammelt zudem unabhängig vom Ausgang der Reformen Unterschriften für einen 13. «Monatslohn» für die AHV-RentnerInnen.