In eigener Sache: Liebe Leser:innen

Nr. 39 –

Sofern dies nicht die erste WOZ-Ausgabe ist, die Sie in den Händen halten, dürfte Ihnen schon bei der Lektüre des ersten Bunds aufgefallen sein, dass die WOZ ein Satzzeichen nun viel häufiger verwendet: den Doppelpunkt. Den Genderdoppelpunkt, um genau zu sein. Nach 38 Jahren der treuen Dienste schicken wir das Binnen-I in Pension und stellen auf eine zeitgemässere Form der geschlechtergerechten Schreibweise um.

Als die WOZ 1983 das Binnen-I in ihren Texten einführte, nahm sie im deutschen Sprachraum eine Pionierrolle ein. Die Reaktionen waren damals zum Teil geharnischt, Leser:innen kündigten ihre Abos, freie Mitarbeiter:innen zogen ihre Texte zurück. Die Argumente, die dagegen ins Feld geführt wurden, sind bis heute dieselben geblieben, wenn es um geschlechtergerechte, inklusive Sprache geht: Das Binnen-I sei nicht ästhetisch, störe den Lesefluss und könne nicht ausgesprochen werden, es handle sich dabei um «Sprachverhunzung», überhaupt dürfe und könne man Sprache nicht per Dekret von oben herab verändern. Die Vorstellungen von oben und unten waren also schon in den achtziger Jahren recht verschoben.

All diesen Einwürfen zum Trotz etablierte sich das Binnen-I über die Jahre auch ausserhalb von links-grün versifften Zusammenhängen und bringt heute kaum noch jemanden zum Hyperventilieren. Das erledigt mittlerweile vor allem das Gendersternchen, flankiert von Unterstrich und eben auch Doppelpunkt.

So prägend das Binnen-I für die WOZ war (es war gewissermassen unser Markenzeichen), es ist nun Zeit, sich davon zu verabschieden. Es erfüllte viele Jahre seine wichtige Funktion als Instrument gegen das ewige Mitgemeintsein von Frauen in Texten im generischen Maskulinum (das bekanntlich bis heute von den meisten Medien weiter verwendet wird – so viel zu oben und unten). Doch so wie sich die Sprache im Laufe der Zeit stetig wandelt, veränderte sich auch das Bewusstsein dafür, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt.

Aus der queerfeministischen Bewegung entstanden in den nuller Jahren mit dem Unterstrich und dem Gendersternchen neue Schreibweisen, die als Platzhalter auch jene zumindest typografisch sichtbar machen sollten, die weder Mann noch Frau sind. Queere, nonbinäre, trans oder intersexuelle Menschen, die auch nicht länger nur mitgemeint sein wollten. Ihnen trägt das Binnen-I keine Rechnung. Wurden diese neuen Schreibweisen anfangs vor allem in queerfeministischen und akademischen Kontexten verwendet, findet man sie heute in der Werbung und in Zuschriften von Gemeindeverwaltungen oder Unternehmen, die sich einen fortschrittlichen Anstrich geben wollen.

Anders als beim Binnen-I nimmt die WOZ mit der Einführung des Genderdoppelpunkts also keine Vorreiterrolle ein. Die basisdemokratischen Mühlen mahlen bekanntlich langsam – aber sie mahlen gründlich. Wir haben innerhalb unseres Betriebs ausführliche und teils auch emotionale Diskussionen geführt. Das Binnen-I war manchen doch so sehr ans Herz gewachsen, dass sie sich eine WOZ ohne fast nicht vorstellen konnten. Nach sorgfältiger Abwägung verschiedener Optionen (um aus dem Nähkästchen zu plaudern: Gar die Einführung des generischen Femininums wurde diskutiert) entschied sich das Kollektiv schliesslich mit einer deutlichen Mehrheit dafür, zukünftig den Genderdoppelpunkt zu verwenden.

Der Doppelpunkt hat sich in letzter Zeit vermehrt durchgesetzt, weil er unter anderem als inklusiver gilt als etwa das Gendersternchen: Denn er werde von Screenreadern für sehbehinderte und blinde Menschen nicht ausgesprochen, sondern als kurze Pause vorgelesen. Die Frage, wie barrierefrei der Doppelpunkt für blinde und sehbehinderte Menschen wirklich ist, bleibt umstritten. Doch so wie Vorleseprogramme ständig verbessert werden, wird sich auch die Sprache weiter entwickeln.

Noch wissen wir nicht, ob der Genderdoppelpunkt uns so lange begleiten wird, wie das Binnen-I es getan hat. Für uns Journalist:innen ist die Sprache unser wichtigstes Werkzeug, es macht uns Freude, zu beobachten, wie sie sich verändert, neue Formen auszuprobieren, unser Bewusstsein für Diskriminierungsmechanismen zu schärfen. Wir sind also selbst gespannt, wie es weitergeht!

Die WOZ-Redaktor:innen