Auf allen Kanälen: Obacht, Desinformation!

Nr. 43 –

Das neue Jahrbuch «Qualität der Medien» widmet sich unter anderem der Verbreitung von irreführenden Nachrichten in der Schweiz. Man muss aber aufmerksam lesen, was da genau untersucht wurde.

Seit der Coronapandemie steht das Gespenst irreführender Nachrichten auch in der Schweiz zunehmend im Raum: Fast die Hälfte der Erwachsenen halten absichtlich verbreitete Falschinformationen für ein grosses oder sehr grosses Problem. Eine knappe Mehrheit hingegen erkennt darin keine dringliche Gefahr.

Das besagt eine repräsentative Umfrage zur «Wahrnehmung von Desinformation in der Schweiz» des Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft (Fög). Die Studie wurde als Teil des neuen Jahrbuchs «Qualität der Medien» am vergangenen Montag an der Universität Zürich präsentiert und diskutiert. Der zwölfte Band mit dem jährlich publizierten Qualitätsranking von Schweizer Medien widmet sich zudem der medialen Sichtbarkeit von Frauen und Muslim:innen, der Lage des Kulturjournalismus und der Berichterstattung während der zweiten Pandemiewelle. Die Vielfalt der medial Repräsentierten erwies sich dabei als mangelhaft. Kulturthemen wurden immerhin noch nicht völlig eingespart.

Positive Entwicklungen machte das Fög in der häufigeren Einordnung von Zahlen und Statistiken zu Corona aus, generell liessen sich weder «Panikmache» noch «Hofberichterstattung» nachweisen. Insgesamt habe aber die Pandemie die Krise des Informationsjournalismus weiter verstärkt: Die Vielfalt der Berichterstattung nahm im Jahr 2020 weiter ab, die Werbeeinkünfte im Onlinebereich gingen erstmals zurück.

Trotzdem stieg das Vertrauen in den Journalismus – und das, gerade weil sich die Bürger:innen in der Pandemie über soziale Medien und Messengerdienste mit Falschinformationen und Verschwörungstheorien konfrontiert sahen.

Phänomen oder Phantom?

Unter «Desinformation» versteht die Kommunikationswissenschaft Falschnachrichten, die absichtlich verbreitet werden. Dies unterscheidet sie von anderen Formen der «Misinformation», die auch versehentlich in Umlauf geraten können, sowie vom schwammig definierten, häufig politisch instrumentalisierten Begriff der «Fake News». Wie es hierzulande um das Problem der Desinformation steht, ist wenig erforscht.

«Verglichen mit anderen Ländern erwies sich die Schweiz bisher als resilient», sagte die Kommunikationswissenschaftlerin Edda Humprecht allerdings an der Podiumsdiskussion an der Uni Zürich. Gezielt falsch informierte Bürger:innen wären gerade in einer direkten Demokratie fatal. Die Journalistin Ingrid Brodnig ergänzte, dass Desinformation, selbst wenn sie nicht für voll genommen werde, bereits Schaden anrichte, indem sie Zweifel säe – man denke nur an die Impfskepsis.

In der Studie heisst es, dass die Frage, wie «das Problem von Desinformation und dessen Ausmass während der Pandemie einzuschätzen» ist, «hochrelevant» sei. Allerdings verrät die Methode einer Befragung mehr über unsere Wahrnehmungsmechanismen als über den eigentlichen Sachverhalt.

Lustige Effekte

So wurde erfragt, wie oft und durch welche Quellen die Leute «glauben», auf das «Phänomen der Desinformation» zu treffen, oder wie sie das Problem einschätzen und damit umgehen. Dabei zeigen sich auch einige lustige Effekte: Die Befragten stuften ihre eigene Fähigkeit, Falschinformationen zu erkennen, als höher ein als die Medienkompetenz anderer. Besonders befähigt fühlten sich Männer und junge Erwachsene.

Die Vermittlung von auf diese Weise gewonnenen Ergebnissen ist aber nicht ohne Fallstricke. Nach der Präsentation der Studie kam aus dem Publikum prompt die Frage, wie das vermeintlich häufige Vorkommen sogenannter Social Bots als Quelle von Desinformation ermittelt wurde. Faktisch beruhen die Befunde der Studie jedoch lediglich auf der Einschätzung der Befragten; um das zu erkennen, muss man aber das Drumherum zum entsprechenden Diagramm in der Studie – fett beschriftet mit «Urheber:innen von Falschinformation» – schon sehr genau lesen. Unter Schlagzeilen wie «Fake News haben Hochkonjunktur» (SRF) wird nun aber so berichtet, als wäre erhoben worden, wie viel Desinformation tatsächlich in der Schweiz herumgeistert.

Dabei ist ja gerade aus der Forschung zum Entlarven von Falschinformationen bekannt, dass besonders plausibel erscheinende Informationen oft auch dann in unseren Köpfen hängen bleiben, wenn sie erst im Nachhinein präzisiert oder berichtigt werden.