Green Pass in Italien: Welche Lösung wäre denn sauber?

Nr. 43 –

Nur wer geimpft, genesen oder getestet ist, darf zur Arbeit: In Italien gelten die schärfsten Zertifikatsregeln Europas. Während in den Gewerkschaften Uneinigkeit herrscht, sieht die Regierung sich in ihrem Kurs bestätigt.

«Seit Tagen haben wir Personalmangel auf der Wache», erzählt der Carabiniere Marco A. aus Rom. «Praktisch jeden Morgen rufen diverse Kollegen an und sagen, sie würden nicht zum Dienst erscheinen.» Nein, das seien keine Krankmeldungen, sagt A., der seinen Nachnamen nicht öffentlich machen will. Alle diese Kollegen sagten bloss, sie könnten «wegen des Dekrets Nr. 127 nicht kommen».

Seit dem 15. Oktober ist das Dekret in Kraft, und es enthält die europaweit wohl härtesten Coronanormen für die Arbeitswelt. Alle, wirklich alle Menschen, die in Italien berufstätig sind, egal ob als Angestellte oder Selbstständige, müssen jetzt im Besitz des «Green Pass» sein, sprich nachweisen, dass sie geimpft, genesen oder binnen der letzten 48 Stunden getestet worden sind. «Impfzwang durch die Hintertür» sei das, schimpft Marco A. Bei ihnen auf der Wache gebe es jede Menge Impfgegner:innen, «ich gehöre auch dazu». Disziplinarverfahren drohten den Kolleg:innen, die den Dienst nicht anträten, zwar nicht – wohl aber die Suspendierung ohne Lohnzahlung für die Ausfalltage. Weit teurer würde es, wenn sie ohne Green Pass zur Arbeit erschienen. Dann winken Geldbussen von 600 bis 1500 Euro.

Gespalten und aufgeheizt

Marco A. kann sich Verdienstausfälle nicht leisten, deshalb macht er alle 48 Stunden den Test. Auch das geht ins Geld, 15 Euro sind jedes Mal fällig, «bei meinen Dienstplänen brauche ich zehn bis zwölf Tests pro Monat, bis zu 180 Euro kostet mich der Irrsinn».

Irrsinnig findet die junge Apothekerin, die in einer Apotheke an der Via Nemorense in Rom arbeitet, hingegen vielmehr die Einstellung von Leuten wie dem 45-jährigen Carabiniere. Das Geschäft mit den Tests brummt, draussen vor dem Testzelt stehen die Kund:innen Schlange, doch über die Extraeinnahmen mag sie sich nicht freuen. Die Regierung müsse «diesen Idioten viel mehr für die Tests abknüpfen, die sollen sich endlich impfen lassen!» Es sind Äusserungen, wie man sie in Italien derzeit oft hört – von der einen wie der anderen Seite. Das Land ist tief gespalten zwischen der grossen Mehrheit der schon Geimpften, die in der Regel auch die harten Massnahmen der Regierung unterstützen, und der Minderheit derer, die den Impfungen mit Skepsis, wenn nicht gleich mit offener Ablehnung gegenüberstehen.

Mehr als 74 Prozent der gesamten Bevölkerung sind mittlerweile komplett geimpft. Unter den über Zwölfjährigen sind es sogar 82 Prozent. Trotz der guten Impfquote denkt Ministerpräsident Mario Draghi aber nicht daran, einen «Freedom Day» auszurufen, wie er anderswo zelebriert werden soll – im Gegenteil. Er setzt darauf, den Druck auf die Ungeimpften weiter zu erhöhen.

Der Schritt zur Zertifikatspflicht am Arbeitsplatz war von einer doppelten Sorge begleitet: Draghis Regierung fürchtete einerseits grosse, gewalttätige Proteste sowie andererseits ein Chaos bei der Abwicklung der nun für mehr als eine Million Menschen alle zwei Tage fälligen Tests. Gerade die erste Befürchtung schien sich zunächst voll zu bestätigen. Am 9. Oktober kamen mehr als 20 000 Menschen zur grossen «No-Pass»-Demonstration in Rom zusammen, einige Tausend zogen dann – angeführt von den Chefs der faschistischen Gruppe Forza Nuova – randalierend durch Rom, stürmten und verwüsteten die Zentrale der CGIL, des grössten Gewerkschaftsbundes des Landes.

Eine Woche später gingen in Mailand wieder Zehntausende auf die Strasse, wieder gab es Scharmützel mit der Polizei – diesmal allerdings hatten sich Anarchist:innen an die Spitze des Zugs gesetzt. Akt drei schliesslich war Triest. Dort hatte eine kleine betriebsinterne Gewerkschaft verkündet, sie werde den Hafen der Stadt «lahmlegen». Einige Tausend Protestierende reisten aus anderen Städten an, am 15. Oktober konnten sie jedoch nur ein Tor blockieren, während der Hafenbetrieb ansonsten weiterging. Nach drei Tagen löste die Polizei mit Wasserwerfern auch diese Blockade auf. Die daraufhin in Triest fürs letzte Wochenende angekündigten «No Pass»-Massenproteste fielen sang- und klanglos aus, wie es auch sonst in Italien weitgehend ruhig blieb. Nur in Mailand gab es am Samstag einen neuen Protestzug mit rund 10 000 Teilnehmer:innen.

Nur heimlich einig

Keinerlei Sympathien geniesst die Protestfront bei den grossen Gewerkschaftsbünden. Sie unterstützen den Regierungskurs, wenn auch zuweilen mit Bauchschmerzen. So sagt ein hoher Funktionär der CGIL aus der Toskana, der namentlich nicht genannt werden möchte, er würde sich wünschen, dass die Unternehmen die Kosten der Tests für ihre Beschäftigten übernehmen. Dann aber legt er hinter vorgehaltener Hand nach: «Eigentlich wäre doch ein genereller Impfzwang die sauberste Lösung, dann wäre Schluss mit dem Gezerre um den Green Pass.»

Damit ist er gar nicht so weit von der radikal linken Basisgewerkschaft USB. Sie bezichtigt zwar die CGIL und die anderen grossen Bünde der Komplizenschaft mit der Regierung Draghis. Für den Green Pass fordert sie einen Stopp, zugleich aber erklärt ihr Vorsitzender Pierpaolo Leonardi, es sei am Staat, «im Zweifelsfall die Pflichtimpfung anzuordnen».

Solche Massnahmen zeichnen sich vorerst nicht ab, auch weil die Regierung sich mit Blick auf die jüngsten Fallzahlen in ihrem Kurs bestätigt sieht. Das Testchaos blieb aus, und die Sieben-Tage-Inzidenz lag zuletzt mit 34 pro 100 000 Einwohner:innen so niedrig wie in kaum einem anderen europäischen Land.