Kino-Film «Grosse Freiheit»: Liebe im Vollzug
«Berühren des fremden Penis, wechselseitige Onanie, Fellatio aktiv, Fellatio passiv und Coitus analis in einem Fall» lautet die Anklageschrift gegen Hans Hoffmann (Franz Rogowski). Sein Urteil liest sich kürzer: «24 Monate unbedingt». Sebastian Meises Film setzt im Jahr 1968 ein und wartet schon in der Anfangsszene mit einer historischen Erkenntnis auf: Freie Liebe war damals nicht für alle zu haben – für Schwule stand sie (noch bis 1969) unter Strafe. Im Gefängnis steht anschliessend der entsprechende Paragraf 175 über Hans’ Namen an der Zellentür. Die Stigmatisierung endet also nie, selbst wenn er die Strafe absitzt. Hans freundet sich schliesslich dennoch mit seinem Zellennachbarn Viktor (Georg Friedrich) an. Als dieser die tätowierte Nummer auf Hans’ linkem Unterarm bemerkt, fragt er erstaunt in dickflüssigem Wiener Dialekt: «Wos isn dos?» Und wie die Insassen alte Naziuniformen umnähen müssen, ahnt man, was Zellenkollege Viktor später ausspricht: «Die stecken di vom KZ in’ Bau.»
Unberührt von Weltkriegen und Regimewechseln wird die Repression gegen schwule Liebe so als historische Konstante greifbar. Den Leidtragenden dieser Politik verkörpert Franz Rogowski mit stoischer Ruhe. 1968, 1957, 1945: In Zeitsprüngen streift der Film durch die deutsche Nachkriegsgeschichte; im Gefängnis wechseln bloss die Wachen und die Farben der Laken, die Hans als Häftling zusammennähen muss. Mit Viktor verstrickt er sich weiter in ein Netz aus gegenseitigen Gefallen, Abhängigkeiten und körperlicher Nähe. Die beiden Hauptdarsteller Franz Rogowski und Georg Friedrich vertrauen dabei meist auf die Vielsprachigkeit ihrer Blicke und die schlichte Wucht ihres Schauspiels. In Licht und Saxofonsoundtrack erweist Regisseur Meise immer wieder dem Nachkriegsregisseur Rainer Werner Fassbinder filmische Reverenz und weitet seine Geschichte der Unrechtserfahrung zu einem erschütternden Kammerspiel über die Unterdrückung von Begehren aus.
Grosse Freiheit. Regie: Sebastian Meise. Österreich 2021