«Succession»: Wann kommt endlich etwas Neues?

Nr. 46 –

Eine verstellte Zukunft, so weit das Auge reicht. Was das Revival von «Wetten, dass …?» mit einem italienischen Kommunisten und einer satirischen Serie über einen monströsen Medienclan gemeinsam hat.

Wie eine Shakespeare-Figur: Patriarch Logan Roy (Brian Cox) mit Tochter Shiv (Sarah Snook). Foto: Graeme Hunter, HBO

Ein alter Satz hat Hochkonjunktur. «Die Krise besteht genau darin: Das Alte liegt im Sterben, und das Neue kann nicht geboren werden; dieses Interregnum ist geprägt von vielfältigen morbiden Phänomenen.» Geschrieben hat das der sardinische Denker, Kommunist und Parlamentsabgeordnete Antonio Gramsci 1930 im Gefängnis, er war ein Opfer der politischen «Säuberungen» von Diktator Mussolini. Gemünzt war der Satz auf das Italien der Zwischenkriegszeit, gerichtet gegen den Faschismus als morbides Phänomen.

Heute wollen viele in Gramscis Bonmot eine Diagnose für die Gegenwart erkennen: vom slowenischen «Vielosophen» Slavoj Zizek bis zum SP-Bundesrat Alain Berset. Letzterer baute kürzlich eine ganze Rede an der Universität Zürich auf Gramsci auf – und interpretierte etwa Klimakatastrophe, Krise der Demokratie und Fake News als morbide Symptome einer stockenden Zeitenwende. Zizek schrieb über Wirtschaftskrisen, Schuldenkrisen und Europa. Vor allem aber setzte er eine ungenaue, dafür umso knalligere Übersetzung von «fenomeni morbosi» in die Welt: «Monster». Wir leben in einer «Zeit der Monster».

Verbrechen und Shareholder

Was viele Gramsci-Anwender:innen eint: Man verweilt fasziniert bei diesen «Monstern», bei den «morbiden Phänomenen». Doch was ist mit dem Alten, das stirbt, und dem Neuen, das nicht geboren werden kann? Eine verstörend unterhaltsame Nahaufnahme zu dieser Frage liefert die lang erwartete dritte Staffel der HBO-Serie «Succession». Sie handelt von einem wüsten Medienclan, inspiriert von den Murdochs, weitet sich aber zum Sinnbild für die Gegenwart. Die Welt wartet darauf, dass der kranke alte Patriarch Logan Roy (Brian Cox) endlich seine Nachfolge regelt. Doch in jeder Staffel verzögert sich sein Abgang wieder neu, was auch damit zu tun hat, dass seine Nachkommen auf je unterschiedliche Weise unfähig sind, das milliardenschwere Konglomerat, zu dem eine Kreuzfahrtschiffsflotte und Vergnügungsparks gehören, zu übernehmen.

Zum Ende der zweiten Staffel sollte sich der vielversprechendste Thronfolger auf Geheiss des Vaters opfern, die Verantwortung für im Schutz der Firma begangene Verbrechen übernehmen: Auf Kreuzfahrtschiffen waren Frauen und Sans-Papiers missbraucht, womöglich gar getötet worden. Doch anstatt selber ins Gefängnis zu wandern, wandte er sich in einer öffentlichen Stellungnahme gegen seinen Vater, gab ihm die Schuld an allem. Nun herrscht Krieg in der Familie, die gleichzeitig von aussen bedroht wird. Das Justizdepartement ermittelt, das FBI durchkämmt das New Yorker Firmenhochhaus. Und als ob das noch nicht genug wäre, steht ein heikles Shareholdermeeting an; die feindliche Übernahme des Konzerns durch einen langjährigen Widersacher droht.

Wie die vorangegangenen Staffeln beginnt auch die dritte quasi wieder auf Feld eins, mit dem alten Patriarchen als halbwegs gesund gespritztem Untoten, mal umnachtet, dann wieder quicklebendig und durchtrieben, aber konsequent unfähig oder unwillig, den Sessel zu räumen. Sein ebenso alter Konkurrent ist sogar an den Rollstuhl gefesselt, kann nur noch mit schwerer Zunge Anweisungen ins Ohr seiner Tochter flüstern – aber die Macht abgeben mag auch er nicht. «Succession» ist in einer Wiederholungsschleife gefangen, die Gramscis Einsicht leicht akzentuiert: Wenn das Alte nicht abtritt, kann nichts Neues entstehen. Und je länger der Stillstand andauert, desto dichter ist alles vom Gestern durchdrungen.

Wracks im Nahkampf

Die engsten Berater:innen des Chefs sind sichtlich angejahrt, die vier Nachkommen wenig eigenständig, in panischer Angst ums Erbe. Der Rebell Kendall ist ein arroganter Junkie, der jüngere Sohn Roman von Sarkasmus zerfressen. Die einzige Tochter, Shiv, legte sich schon früh mit dem Vater an, wird nun aber plötzlich gebraucht, weil ein weibliches Aushängeschild gefragt ist. Der verschrobene Älteste hat sich vom schmutzigen Geschäft abgeseilt, lebt feudal vom Familienvermögen und möchte sich nun als Präsidentschaftskandidat aufstellen lassen. Allesamt wohlstandsverwahrloste Wichtigtuer:innen ohne Rückgrat. Derweil denkt sich der Alte immer neue Spiele aus, um die Unreife seiner Entourage zu belegen – so bleibt alles im Käfig seiner Massstäbe.

Im Clannamen Roy klingt das französische Wort für König an. Die aberwitzig zugespitzten Dialoge der Serie enthalten Shakespeare-Zitate, doch der Einfluss ist grundlegender: Der alte Logan Roy erinnert an «King Lear» im Clinch mit Vergänglichkeit und Nachkommen, der Mörder Macbeth blitzt auf, der verzweifelte Prinz Hamlet. In «Succession» spielen alle alle gegen alle aus, zwischenmenschliche Wracks im ironischen Nahkampf, bis plötzlich einer fragt: «Das ist nun aber real, oder?»

Die Serie ist keine Tragödie, sondern Satire, virtuose, wortreiche Spiegelfechterei, die den Sturz in die Ernsthaftigkeit möglichst vermeidet. Trotzdem wird klar: Gramscis morbide Phänomene sind direkte Ausläufer des untoten Alten. In «Succession» sind das die Frauen- und Klassenverachtung, der jovial verpackte Antisemitismus: keine Nebensache, sondern der essenzielle Kitt, der die alte Ordnung zusammenhält. «Keine Schwarzen, Frauen oder Juden in den Teppichetagen» lautete jahrelang die heimliche Losung der Firma. Derselbe Dreck prägt die Schlagzeilen des hauseigenen Hetzsenders: «Nonbinäre Illegale könnten zweimal ins Land einreisen» – «Ich habe sie bloss angelächelt, nun droht mir die chemische Kastration.» Mit morbiden Phänomenen kann man Millionen verdienen.

Der grössere Teil des Produktionsbudgets von «Succession» wiederum floss in Haus- und Büromieten, in Privatjets, Helikopter, schwarze SUVs. Auf dieser Ebene von Architektur, Fortbewegung und Habitus ist «Succession» quasi soziologisch genau. Nicht wie in der realen Welt, wo die Armen bis auf die Knochen untersucht werden, die Reichen aber geschützt vor zudringlichen Analysen hinter ihren dicken Mauern bleiben dürfen. Die satirisch wie realistisch blossgelegten Roys sind ein grelles Abziehbild des einen Prozents Superreiche. Sie flirten mit Faschisten, bedrohen und bestechen Politiker:innen. Innerfamiliäre Rebell:innen kriechen immer wieder in den Schoss des Clans und des Geldes zurück.

Privileg Nostalgie

Der historische Satz aus dem faschistischen Kerker hatte 1930 eine andere Dringlichkeit. Nicht zuletzt hatte Gramsci eine Vorstellung davon, was das Neue wäre: der Kommunismus. Heute funktioniert sein Satz vor allem als Denkbild für die herrschende Aussichtslosigkeit. Wie den alten Monstern entkommen? Wer ein paar Stunden mit den Roys verbracht hat, möchte die ganze Bande sofort enterben. Und nicht nur diese Bande, denn die Frage zielt aus dem «Succession»-Universum direkt in unsere Gegenwart hinein. Wir stehen im Bann von alten Ordnungen. Um nur eine kleine Auswahl zu nennen: die Orientierungslosigkeit nach dem Rücktritt von Angela Merkel; die ernsthaft erörterte Frage, ob #MeToo und «Gendersprache» jeden Humor und gleich auch die heterosexuellen Paarbeziehungen zerstören könnten; der Anblick der versammelten G20-Staatsoberhäupter; die Reanimierung von «Wetten, dass …?» mit den bräsigen Witzen von Thomas Gottschalk.

Der Lieblingssatz des alten Logan Roy ist zugleich ein brachialer Abwehrzauber: «Fuck off!», hau ab. Er sagt das zu allem und allen, die ihm in die Quere kommen. Auch diesen Aspekt hat Gramsci vorweggenommen. Die alte Klasse lenke nicht mehr, sie dominiere nur noch, schreibt er. Diese leere Dominanz funktioniert heute auch deshalb so gut, weil keine echten Alternativen nachgewachsen sind. Beerbt wird so das Immergleiche, die Zukunft ist verstellt mit Nostalgie. Und Nostalgie war immer schon eine Domäne der Privilegierten, die viel zu verlieren haben.

Die dritte Staffel von «Succession» läuft ab 22. November 2021 auf Sky.