«Succession»: Konsequente Vergiftung der Welt
Die Serie rund um einen Haufen superreicher Widerlinge, die mit der Macht jonglieren und sich druckreife obszöne Sätze an den Kopf werfen, ist zu Ende. Eine Liebeserklärung mit Spoilern.
Die HBO-Serie «Succession» ragt aus dem Strom aktueller Serien wie ein Monolith. Am Pfingstsonntag wurde die letzte Folge der vierten und letzten Staffel dieser Saga über die zähen Nachfolgequerelen rund um einen alternden, fiesen Medientycoon ausgestrahlt. Müsste man einer Zeitreisenden aus der Zukunft den Teil unserer Gegenwart näherbringen, der mit Big Business, sinnlos viel Geld und rechtspopulistischen Abwärtsspiralen zu tun hat: Mit «Succession» könnte man sie unterhaltsam aufklären.
Immer begeisterter ist in den letzten Jahren über die Serie des britischen Schriftstellers und Drehbuchautors Jesse Armstrong geschrieben worden: über die Ähnlichkeiten zwischen der Familie Roy und dem Murdoch-Clan, über die hier detailliert entblätterte Verworfenheit von Superreichen, über den Nihilismus restlos aller Figuren dieses Dramas, das zumindest auf der Ebene der skalpellscharfen Dialoge im Gewand einer Komödie – oder gar einer Sitcom – daherkommt. Gut möglich, dass man noch in hundert Jahren einzelne «Succession»-Folgen studieren wird, so wie wir uns bis heute über «King Lear», «Macbeth» oder die Königsdramen beugen.
Überhaupt bleibt der Shakespeare-Vergleich ein guter Türöffner für «Succession», vor allem, wenn man nicht bloss die inhaltlichen Verwandtschaften anschaut, mit dem Patriarchen Logan Roy (Brian Cox) als Wiedergänger von König Lear und seinen Söhnen als destruktiven Hamlets. Zwischen der Abhängigkeit von der Krone (als Geldgeberin, aber auch als Zensurgewalt) und einer phänomenalen Unabhängigkeit des Geistes schuf Shakespeare Stücke, die historische Konstellationen spiegeln, in denen sich aber auch jede Gegenwart in den Jahrhunderten danach wiederfindet.
Verknotete Seelen
Eine komplexe Bündelung von «sozialen Energien»: So beschreibt der Literaturwissenschaftler Stephen Greenblatt Shakespeares Genie. Diese Energien sind so mächtig, dass Shakespeares «Intensität der Simulation» wie eine Art Lupe funktioniert, die den Blick immer wieder neu schärft: für folgenschwere Machtspiele im Grossen wie im Kleinen, Verknotungen der menschlichen Seele, gesellschaftliche und private Kippmomente.
«Succession» schafft eine ähnliche Bündelung; auf der inhaltlichen Ebene mit einer ausgeprägten Sensibilität für die asozialen Energien der Gegenwart, für die mächtigen familiären Fliehkräfte, für die noch stärkere Anziehung, aber auch Zerstörungsgewalt des Geldes. Oder wie es der Bruder des in der letzten Staffel nun doch ganz unvermittelt verstorbenen Logan Roy bei dessen Abdankung formuliert: «Er hat die schlimmstmöglichen Dinge angerichtet.» Und weiter: «Er war niederträchtig. Und er hatte ein niederträchtiges Bild der Welt. Er nährte eine armselige Haltung in den Menschen.»
Diese ungewöhnlich offenherzige Grabrede verstärkt das ödipale Erdbeben, das der seit der ersten Staffel angekündigte Tod des Patriarchen ausgelöst hat. Sogar die Kamera wird nach seinem Ableben wacklig und nervös. Der mögliche Thronfolger Kendall Roy (Jeremy Strong) muss als zweiter Redner am Sarg den aufgerissenen Abgrund der Wahrheit hastig mit Phrasen zuschütten. Viel steht auf dem Spiel.
Denn auch «Succession» ist in der aktuellen Politik verkantet. Die erste Staffel erschien 2018. Eineinhalb Jahre nach Donald Trumps Wahl zum US-Präsidenten zeichnete «Succession» nach, wie weltweit mit braunen Ideologien spekuliert wird, befördert von einem fatalen Schulterschluss zwischen Politik und Medien. Das Medienbusiness der Roys funktioniert ganz nach der Devise des bekannten rechtsradikalen Strategen Steve Bannon, Berater von Trump, Viktor Orbán und Roger Köppel: «Flood the zone with shit.» In «Succession» heisst das minimal vornehmer: «Toxification of the world».
Die Ernte dieser jahrelangen Vergiftung der Welt mit Fake News, Verschwörungstheorien, Attacken auf Solidarität und Menschenrechte wird in der drittletzten Folge eingefahren: Wir sind in den Räumlichkeiten von ATN (alias Fox News), des TV-Senders der Roys, während der US-Präsidentschaftswahlen. Die Hochrechnungen stehen auf unentschieden. Dann ruft ATN den explizit als Faschisten markierten Kandidaten zum Gewinner aus, trotz relevanter Ungewissheiten und obwohl man auch mit dem Gegenkandidaten in engem Austausch stand. Als chancenloser dritter Präsidentschaftsanwärter spielt ein weiterer irrlichternder Roy-Sprössling das Zünglein an der Waage.
Niemand ist verantwortlich
Nicht oft hat man den kalten Hauch des Faschismus und seiner Ermöglicher:innen in einem Unterhaltungsformat so deutlich zu spüren bekommen. Noch kühler wird es, weil klar ist, dass alle mitverantwortlich sind für diesen vorläufig letzten Tabubruch – und zugleich jede Verantwortung von sich weisen. Die meisten von ihnen teilen die politischen Inhalte des designierten Präsidenten nicht, es geht ihnen bloss ums Business. «Wir können mit ihm Geschäfte machen», sagt Kendall, dessen dunkelhäutige Tochter bereits von einem Anhänger des neuen Präsidenten auf der Strasse angepöbelt wurde.
Die Agenten des Umsturzes agieren ohne Rückgrat oder Verstand, aber mit angeborenem Machtbewusstsein und Instinkt für Intrigen und Hinterhalte. Dieser Roy-Nachwuchs verkörpert die aufgeblasene Banalität von Erbeliten perfekt. An der Seitenlinie beobachtet eine New-Tech-Gestalt, eine Art skandinavischer Elon Musk (Alexander Skarsgård), das Geschehen. Er steht in den Startlöchern, um das Medienimperium zu kaufen und digital umzurüsten. Nun macht er sich Sorgen um den Deal, versucht, das Doppelspiel der Roys zu kalkulieren, die mal zerstritten sind, sich mal wieder zusammenraufen.
Und wir? Weil die Serie Gegenkräfte und kritische Aussenperspektiven allenfalls momentweise aufblitzen lässt – «Antifa»-Proteste auf der Strasse, ein paar Faustschläge gegen gepanzerte Limousinenfenster, die Rede des Bruders an der Beerdigung –, bleiben nur wir Zuschauer:innen als Widerstandszelle gegen diese Roys übrig. Die politische Intelligenz von «Succession» zeigt sich aber noch in einem anderen Punkt: Trotz fehlendem Aussenblick und obwohl auf explizite moralische Urteile verzichtet wird, entsteht nie der Eindruck, dass da etwas abgefeiert oder verklärt wird. Deshalb ist es auch schwer vorstellbar, dass zugekokste Banker und Start-up-Millionäre jubelnd Episoden von «Succession» immer wieder nachschauen, wie sie das dem Vernehmen nach mit Oliver Stones «Wall Street» und Martin Scorseses «The Wolf of Wall Street» machen, weil sie diese zynischen Neureichen halt einfach geil finden.
Keine glücklichen Menschen
«Succession» lässt sich nie vom eigenen Spektakel mitreissen. Die shakespearsche «Intensität der Simulation» besteht hier ganz altmodisch aus reiner Schauspielkunst und virtuosen Dialogen, mit höchst sparsam eingesetzten Spezialeffekten. Das hat auch zur Folge, dass man vor allem die bis in die kleinen Rollen herausragenden Schauspieler:innen vermissen wird, weniger die erbärmlichen Figuren, die sie darstellten.
Dass die Zeit aus den Fugen ist, zeichnet sich konsequenterweise am klarsten in der Sprache ab. Die Triggerinfos und «Hinweise für Erziehungsberechtigte», die «Succession» begleiten, warnen weder vor expliziter Gewalt noch vor Sex, sondern vor massiver Obszönität. Viele Wortwechsel gipfeln in einer unappetitlichen Pointe: «Gleich werde ich deinem Mann ins Maul scheissen, und ich bin ziemlich sicher, er wird mir sagen, es schmecke wie Coq au vin.» Alle Beziehungen werden krude sexualisiert und vulgarisiert mit dem Ziel, das Gegenüber zu erniedrigen. Die Welt wird nicht von glücklichen reichen Menschen zerstört.
«Succession». Idee und Buch: Jesse Armstrong. USA 2018–2023. HBO. Deutsch auf Sky.