Politik als Theater: Macbeth oder Hulk Hogan?

Nr. 20 –

Die Versuchung ist gross, Donald Trump mit Richard III. oder Macbeth zu vergleichen. Viel entscheidender ist jedoch seine Rolle im Wrestlinguniversum.

Diesen Artikel hören (6:00)
-15
+15
-15
/
+15
Hulk Hogan bei einer Wahlkampfveranstaltung in New York im Oktober 2024
Legende im Ring: Im Oktober 2024 trat Hulk Hogan bei einer Wahlkampfveranstaltung in New York als Redner auf, um für Trump das Publikum anzuheizen. Foto: John Angelillo, Imago

Der Beitrag «Politik als Theater: Donald der Dritte?» von Tobi Müller in WOZ Nr. 15/25 ist nicht der erste Artikel, der zeitgenössische Machtmenschen im Allgemeinen und Donald Trump im Besonderen mit dem Rückgriff auf Shakespeare zu erklären versucht. Andere wählen einen Zwischenschritt: Hat nicht auch Frank Underwood aus der Serie «House of Cards» seine Ränkespiele bei Richard III. gelernt? Und entspricht das Familiendrama von «Succession» nicht genau der Konstellation von King Lear mit seinen Töchtern? Oder ist der Medienmogul und Machtpolitiker Logan Roy in dieser Serie vielleicht eher Macbeth nachgebildet? Erfahren wir also die heutigen Medienkonglomerate nicht via Streamingplattformen als eine Kombination von King Lear und Macbeth? Und schon findet man sich in einem schillernden Spiegelkabinett.

Doch statt sich der Person von Donald Trump und dessen Erfolg mit Shakespeare – oder via den weiteren Umweg über TV-Serien – zu nähern, sehen wir uns besser direkt seine TV-Persönlichkeit im Rahmen der US-Unterhaltungsindustrie an. Und dort vor allem im Reich des Wrestlings, des theatralischen Kampfsports oder Catchens. Einer Rolle im Wrestling entspricht Trump mehr als jeder Figur in einem Shakespeare-Drama. Was keine grundlegend neue Erkenntnis ist.

Schein als Realität

Die Beziehungen von Trump zur Wrestlingwelt sind vielfältig dokumentiert, auf finanzieller wie ideologischer Ebene. Mit der World Wrestling Entertainment (WWE), der monopolartigen Dachorganisation, war er früh kommerziell verbandelt, veranstaltete zweimal die «Wrestlemania», eine gigantische Show, die als Höhepunkt des Wrestlingjahres gilt. Dabei trat er selbst gegen den damaligen Chef der WWE in den Ring; Trump ist in die «WWE Hall of Fame» aufgenommen worden, Wrestlinglegende Hulk Hogan ist einer seiner prominentesten Fans.

Schon in der ersten Trump-Regierung bekleidete Linda McMahon, ehemalige Geschäftsführerin der WWE, Milliardärin und republikanische Grossspenderin, eine kleinere Rolle im Wirtschaftsministerium. In der aktuellen Regierung ist sie nun gar zur Bildungsministerin ernannt worden mit dem erklärten Ziel, die nationale Bildungsbehörde abzuschaffen. Und auf einem Nebenkampfplatz hat Trump den irischen Wrestler Conor McGregor empfangen, um ihm seinen Segen als Kandidat für die irische Präsidentschaft zu geben, während gleichzeitig ein Verfahren wegen Vergewaltigung gegen ihn läuft; gegen McGregor, auch wenn die Rollen hier ineinander überzugehen scheinen.

Unbekannt ist die symbiotische Beziehung zwischen Trump und Wrestling also nicht. Bereits 2017 hat ein Artikel solche Analogien besonders scharf erfasst, und zwar der Beitrag «Kayfabe» von Karen Ruoff in der deutschen Theoriezeitschrift «Das Argument». Der Begriff «Kayfabe», der im Zentrum der Analyse steht, meint die Übereinkunft zwischen Wrestler:innen und Promotor:innen, dass alles, was im Ring, aber auch ausserhalb geschieht, einer Storyline untergeordnet ist. Gut gegen Böse. Gross gegen Klein. Liebe in verschiedenen Varianten – na, eher auf Heteroversionen beschränkt. Grosse Emotionen, Spektakel.

Auch das ist nicht ganz neu. Aber Wrestling hat es zu einem neuen Gesamtpaket geschnürt. Und zwar als Pakt mit dem Publikum: Ich glaube dir, wenn du mir Spektakel und Emotionen lieferst. Emotional und spektakulär aber wird es nur, wenn ich dir glauben kann, dass hier echt gespielt wird. Der Unterschied zwischen Schein und Realität ist nicht nur vonseiten der Wrestler:in oder vonseiten Trumps aufgehoben, sondern diese Aufhebung wird vom Publikum mitgetragen. Kayfabe ist laut Ruoff «eine sonderbare Art des Echtseins». Trump mag lügen und unflätig sein und wahnsinnige Projekte aushecken. Seine Maga-Fans wissen, dass er spielt. Aber genau das wollen sie.

Den Spielraum nutzen

Das Spiel ist kein Spiel auf Shakespeares Bühne, dem «hölzernen O» – es ist «echt». Ruoff formuliert den entscheidenden Unterschied folgendermassen: «Ungleich dem Theater verlangt aber das Catchen die Wahrung der Spielidentität auch ausserhalb der Aufführung im engeren Sinn, die durchgehende Fusion von Rolle und Person in einer andauernden Erzählung.» So ist das Publikum seinen Figuren selbst im Alltag in emotionaler Treue süchtig verbunden.

Wobei diesem Pakt auch ein wenig Macht entspringt. Da die Figuren nur durch die Zustimmung der Zuschauenden existieren können, erhalten Letztere eine gewisse Kontrolle über ein Stück Wirklichkeit. Laut Ruoff handelt es sich allerdings vorrangig um einen «ästhetischen, keinen politischen Deal». Das lässt Spielraum.

Trumps Triumph von 2024 brachte seine Kayfabe-Fanbase mit den durch Inflation und Globalisierung Geschädigten zu einer knappen Mehrheit zusammen. Darin liegt auch unsere grösste Hoffnung: dass die (ökonomische) Realität die emotionale Kayfabe durchschlägt. Wenn also Lebensmittel und iPhones teurer und Arbeitsplätze unsicherer werden; wenn die demokratischen, gewerkschaftlichen, alternativen Kräfte eine auf die Realität gestützte Politik entwickeln, organisieren und vorführen – dann kann auch das emotionale Spektakel mit der Zeit nur noch bedingt fesseln. Von Shakespeare können wir uns gleichzeitig im Theater weiter hinreissen lassen.