Das Geschäft mit den Renten: Die Lex UBS

Nr. 48 –

Nächste Woche kommt die Reform der Berufsvorsorge ins Parlament. Recherchen zeigen: Die Vorschläge der Nationalratskommission zu den künftigen Renten wurden von Versicherern und Banken geschrieben.

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Der nächste Dienstag ist für Thomas de Courten ein grosser Tag. Seit Monaten kämpft der SVP-Nationalrat in der Kommission für Sozialversicherungen an vorderster Front dafür, dass die Berufsvorsorge nach seinen Vorstellungen umgekrempelt wird. Nun kommt das Geschäft erstmals ins Parlament. Je mehr Punkte seines Plans de Courten durchsetzen kann, desto tiefer fallen künftig die Renten aus.

Wie Hintergrundgespräche mit gut einem Dutzend Insider:innen sowie Aktenrecherchen zeigen, wurde de Courtens Plan von Versicherungen und Banken diktiert. Als Verwaltungsrat der grossen Pensionskasse Asga ist er eng mit der Versicherungsindustrie verstrickt. Die Reform ist für die Branche entscheidend: Die Verwaltung von rund einer Billion Franken Rentenersparnissen ist bereits heute ein Milliardengeschäft. Doch die Branche will noch mehr.

Gegen den Sozialkompromiss

Zusammen mit FDP und Mitte-Partei hat es de Courten geschafft, den Kommissionsvorschlag für die Reform der 2. Säule schrittweise nach den Wünschen der Versicherer und Banken umzubiegen. Nach dem Scheitern der letzten Reform an der Urne 2017 hatten sich der Gewerkschaftsbund (SGB) und Travail Suisse mit dem Arbeitgeberverband auf einen Kompromiss verständigt, den der Bundesrat vor einem Jahr dem Parlament vorlegte.

Der Kompromiss lässt sich einfach zusammenfassen: Die Gewerkschaften stimmten der Senkung des Umwandlungssatzes von 6,8 auf 6 Prozent zu; für 100 000 Franken Erspartes soll es jährlich nur noch 6000 Franken Rente geben. Das gilt allerdings nur für die obligatorischen Ersparnisse – der Umwandlungssatz für zusätzliche freiwillige Ersparnisse liegt bereits darunter. In der heutigen Zeit der Minuszinsen werden profitable Anlagen immer rarer.

Obwohl die Gewerkschaften viel lieber die AHV ausbauen möchten, schluckten sie zudem einen Ausbau der Berufsvorsorge, insbesondere durch die Senkung des Koordinationsabzugs auf dem Lohn: je kleiner dieser Abzug, desto höher der versicherte Lohn – und damit auch der Beitrag in die Kasse. Der höhere Beitrag soll langfristig die Senkung des Umwandlungssatzes kompensieren.

Im Kompromiss liegt jedoch auch etwas für die Gewerkschaften drin: Mit einem kleineren Koordinationsabzug würden insbesondere Frauen mit tiefen Löhnen und Teilzeitpensen besser versichert. Vor allem aber sieht der Kompromiss eine Abgabe von 0,5 Prozent auf dem Lohn vor, die (wie bei der AHV) direkt als Zusatzleistung den Neurentner:innen weitergegeben würde, die keine Zeit mehr hätten, um mehr anzusparen (in den ersten fünf Jahren 200 Franken, dann weniger). Später würde dieser Zuschlag für Leute mit tiefen Löhnen eine kleine Rentenerhöhung ermöglichen.

Der Plan der Versicherer

Während SP und Grüne trotz Zugeständnissen den Kompromiss von Gewerkschaften und Arbeitgebern akzeptierten, wandten sich SVP, FDP, Mitte-Partei und GLP früh davon ab. Mitte-Präsident Gerhard Pfister erinnerte in der WOZ daran, dass seine Partei 2017 mit einem ähnlichen Rentenkompromiss am Arbeitgeberverband gescheitert war (siehe WOZ Nr. 12/2020 ). Es roch nach Rache.

Letzten Sommer jedoch stimmte zunächst eine Mehrheit der Nationalratskommission dem Kompromiss überraschend zu: Die beiden Westschweizer FDP-Mitglieder, ein Teil der Mitte-Partei und die GLP votierten gemeinsam mit SP und Grünen. Im August folgte die erwartete Wende. FDP und Mitte-Partei wollten nicht einmal mehr etwas von einem Vorschlag der GLP wissen, der einige Abstriche am Sozialpartnerkompromiss vornahm. Zusammen mit der SVP stimmten sie für de Courtens Plan.

Zusatzleistungen sollen demnach nur jene erhalten, die von der Senkung des Umwandlungssatzes betroffen wären. Für viele Versicherte, die auch überobligatorische Ersparnisse haben, ist das nicht der Fall: Diese Ersparnisse werden von den Kassen verwendet, um den Umwandlungssatz auf den obligatorischen Ersparnissen querzufinanzieren. Sinkt der Satz nun um 0,8 Prozent, könnten die Kassen ihn für überobligatorische Ersparnisse so weit anheben, dass die Rente die gleiche bleibt. Zudem will de Courten die Zusatzrenten nur für die ersten fünfzehn Jahrgänge ab Beginn der Reform zahlen. Entsprechend sind viel tiefere Lohnabgaben vorgesehen.

Ein paar technische Retuschen? Keineswegs, damit würden Milliarden verschoben.

Wie Kommissionsunterlagen zeigen, stammt de Courtens Plan direkt vom Schweizerischen Versicherungsverband (SVV) sowie vom Pensionskassenverband (Asip). SVV und Asip hatten der Kommission ihre Pläne bereits Anfang 2021 bei einem Besuch in Bern auf den Tisch gelegt. Die Kommission beauftragte darauf das Bundesamt für Sozialversicherungen, die Wünsche durchzurechnen. De Courten übernahm den Plan des Versicherungsverbands, wobei er etwa bei der zeitlichen Beschränkung der Zusatzrente dem noch radikaleren Asip folgt. Hinter diesem steht der noch mächtigere Arbeitgeberverband der Banken – an dessen Spitze: Lukas Gähwiler, Präsident der UBS Schweiz und eben zum Vize des Gesamtkonzerns gewählt.

Versicherer im Parlament

Für dieses Ja zu de Courtens Plan haben die Versicherer und Banken monatelang über ihre Drähte in die Kommission lobbyiert. Und diese sind kurz: Präsident des Versicherungsverbands ist Rolf Dörig, Chef des grössten Schweizer Versicherers Swiss Life. SVP-Mann Dörig hat beste Verbindungen zu Kommissionsvize Albert Rösti, mit dem er die SVP-Stiftung «für bürgerliche Politik» anführt. Mit FDP-Kommissionsmitglied Marcel Dobler sitzt er im Vorstand des Wirtschaftsverbands Economiesuisse. Besonders hart lobbyiert hat jedoch Thomas Helbling, Geschäftsführer von Dörigs Versicherungsverband. Der FDP-Mann sitzt mit Regine Sauter – die für die FDP das Dossier in der Kommission anführt – in der Geschäftsführung von Economiesuisse. Als Direktorin der Zürcher Handelskammer vertritt Sauter auch die gesamte Zürcher Finanzindustrie.

Hart lobbyiert hat auch Lukas Gähwiler, Chef des Banken-Arbeitgeberverbands, der mit Dobler im Vorstand von Economiesuisse ist. Mit Verwaltungsrat de Courten sitzt zudem die Asga am Kommissionstisch. Deren Geschäftsführer Sergio Bortolin ist wiederum auch Vorstandsmitglied des Asip und Präsident des Sammelstiftungsverbands Inter-Pension, der für den Asip-Plan wirbt. Mächtigster Player hinter Inter-Pension wiederum ist der Versicherer AXA. Schliesslich unterhält der Asip eine eigene parlamentarische Gruppe, für die Asip-Direktor Hanspeter Konrad (SVP) das Sekretariat führt. Präsidiert wird die Gruppe von CVP-Nationalrätin Ruth Humbel, Präsidentin der Versicherungskommission.

Der vorliegende Plan sei nicht im Interesse der Finanzbranche, sagen de Courten und Humbel, sondern im Interesse der Rentner:innen (vgl. «‹Es wird ein hart geführter Abstimmungskampf›» ); die Anfrage der WOZ an Regine Sauter (FDP) blieb unbeantwortet. Welchen Einfluss Versicherer und Banken in der Kommission genau hatten, lässt sich nicht sagen. Sicher ist aber, dass de Courten, Sauter und Humbel deren Plan durchgebracht haben.

Das Milliardengeschäft

Der Plan der Finanzbranche deckt sich mit der ideologischen Überzeugung vieler bürgerlicher Politiker:innen, dass es in der Berufsvorsorge keine Solidarität zwischen Versicherten geben darf, auf die der Sozialpartnerkompromiss setzt (vgl. «SVP gegen Gewerbe» im Anschluss an diesen Text). Er dient jedoch in erster Linie dazu, das Milliardengeschäft mit den Renten auszubauen.

Um die Verwaltung von heute circa einer Billion Franken an Rentenvermögen weibeln rund 1500 Kassen: einerseits die der öffentlichen Verwaltung und einzelner Firmen; andererseits die Lebensversicherer Helvetia, Bâloise, Allianz, Pax und Swiss Life. Hinzu kommt das rasant wachsende Geschäft der Sammelstiftungen, die die Gelder verschiedener Firmen verwalten – darunter die Stiftungen von Swisscanto, AXA oder auch Swiss Life.

Klassische Pensionskassen machen mit der Verwaltung der Gelder keinen Profit. Umso mehr aber Sammelstiftungen wie jene von AXA, indem sie einen Teil der Vermögensverwaltung selber erledigen oder für die eigene Stiftung gewisse Risiken rückversichern. Auch Lebensversicherer wie Dörigs Swiss Life verdienen viel Geld. Hinzu kommen Berater wie C-alm (der Verfasser hinter dem Asip-Plan), die für die Kassen die Vermögensverwalter aussuchen: zuvorderst auch Gähwilers Banken, inklusive seiner UBS, oder der Credit Suisse – deren Pensionskasse wiederum im Asip sitzt. Schliesslich verdienen an den Renten auch Broker:innen, die Firmen an Kassen vermitteln, oder Wirtschaftsprüfer wie Pricewaterhouse Coopers, die ebenfalls im Vorstand des Asip ist.

Satte 5,6 Milliarden Franken verdient die Finanzbranche laut Zahlen des Bundes mit der Verwaltung der Renten. Und jedes Jahr werden es mehr.

Die von den Sozialpartnern vorgeschlagene Lohnabgabe soll deshalb gekürzt werden, weil die Finanzbranche damit nichts verdient – da sie direkt als Rente weitergegeben wird. Die entsprechend tiefen Zusatzrenten ebnen dafür den Weg, um die Renten mit zusätzlichen Einzahlungen in die Kassen und in die 3. Säule zu erhöhen – womit die Branche ihre Milliarden macht.

Nebst der Senkung des Koordinationsabzugs, die mehr Geld in die Kassen spülen würde, will die bürgerliche Kommissionsmehrheit, dass künftig bereits ab dem 20. statt 25. Lebensjahr gespart werden soll. Um zudem auch an den Lohnabgaben verdienen zu können, sollen diese den Kassen zum Anlegen überwiesen und nicht direkt als Renten weitergegeben werden (wie das der Sozialpartnerkompromiss wollte).

Vor allem aber übernahm die Kommissionsmehrheit einen Antrag von SVP-Mann Thomas Aeschi (Verwaltungsrat Helvetische Bank), der den maximalen jährlichen Beitrag an die 3. Säule von rund 6900 auf 10 300 Franken erhöhen will. Versicherungen und Banken verwalten bereits heute 130 Milliarden Franken aus der 3. Säule, womit sie mehrere Hundert Millionen verdienen. Kurz: Der Kommissionsplan würde dem Milliardengeschäft mit den Renten einen weiteren Schub verpassen.

Viele Rentner:innen käme er jedoch teuer zu stehen: Gegenüber dem Sozialpartnerkompromiss gingen gemäss Berechnungen des Bundesamts für Statistik fast zwei Drittel der Rentner:innen wegen ihrer überobligatorischen Ersparnisse leer aus. Dabei erhalten sie für diese seit Jahren immer tiefere Renten. Selbst von den Versicherten mit tiefen Einkommen würde die Hälfte trotz ihrer Lohnabgabe nichts erhalten. Wegen der fünfzehnjährigen Begrenzung müssten zudem jüngere Versicherte zahlen, ohne dafür jemals einen Rappen zu sehen.

Wer folgt der Finanzbranche?

Vor einem Monat gelang de Courten in der Kommission ein letzter Streich. Zuvor intervenierte gemäss mehreren Quellen FDP-Justizministerin Karin Keller-Sutter persönlich, um kompromissbereite FDP-Mitglieder auf Linie zu halten. Sie war bis zu ihrer Wahl in den Bundesrat Präsidentin der Berufsvorsorgestiftung Pensimo und Verwaltungsratsmitglied der Bâloise sowie der Asga. FDP und Mitte-Partei folgten einem Antrag von de Courten, die Lohnabgabe von 0,4 weiter runter auf 0,15 zu drücken, wie es UBS-Mann Gähwiler von Anfang an wollte. Asip-Direktor Hanspeter Konrad zeigte sich noch am selben Tag in einer Medienmitteilung erfreut, dass die Kommission einer an den Asip-Plan «angelehnten» Reform folge.

Vor der Parlamentsdebatte machen Konrad, Helbling und Gähwiler Druck. In einem Brief an die bürgerlichen Parlamentarier:innen, der der WOZ vorliegt, mahnen sie diese «eindringlich», dem vorliegenden Plan zuzustimmen. Nächste Woche zeigt sich, wer ihnen folgt.

Rentenreform : SVP gegen Gewerbe

In der Berufsvorsorge solle es keine Solidarität geben, sagt SVP-Nationalrat Thomas de Courten. Auch deshalb hat er mit Regine Sauter (FDP) und Ruth Humbel (Die Mitte) in der Versicherungskommission des Nationalrats den Kompromiss der Sozialpartner zur Rentenreform gekippt: De Courtens Plan, der von der Finanzbranche geschrieben wurde, würde nicht nur das Geschäft der Branche befeuern, er wäre auch im Interesse der Topverdienenden.

Gewerkschaften und Arbeitgeberverband möchten die Zusatzrente – die die Senkung des Umwandlungssatzes kompensieren soll – mit einer Abgabe auf Löhnen bis maximal 860 400 Franken finanzieren. Wie bei der AHV würden Topverdienende so mehr einzahlen, als sie via Zusatzrente zurückerhielten. Normal- und Kleinverdienende bekämen umgekehrt mehr zurück. Um dies zu verhindern, will de Courten die Löhne nur bis 86 000 Franken belasten. Darauf drängten auch die Pensionskassen der Hochlohnbranchen wie etwa der Finanzindustrie, die zudem durchgesetzt haben, dass die Kassen für die Zusatzrente zuerst ihre Rückstellungen aufbrauchen. So würden sie als reiche Kassen geschont.

Gleichzeitig würden mit de Courtens Plan die Hälfte der Leute mit tiefen Einkommen eine Lohnabgabe entrichten, ohne selber eine Zusatzrente zu erhalten – was vor allem Frauen trifft. Dies, weil sie angeblich genug überobligatorische Ersparnisse haben – für die sie jedoch seit Jahren immer weniger Rente erhalten. Betroffen wären auch Gewerbler:innen, was Gewerbeverband-Präsident Hans-Ulrich Bigler (SVP) nicht daran hindert, für den Plan der Finanzbranche zu kämpfen.

Dabei ist in der Altersvorsorge längst eine Umverteilung von unten nach oben im Gang: Die Kassen investieren immer mehr in Immobilien, was die Mieten in die Höhe treibt, mit denen die Renten finanziert werden. Diese Mieten wiederum zahlt der grosse Teil der Bevölkerung, der sich kein Wohneigentum leisten kann. Topverdienende ihrerseits zahlen viel mehr in die dritte Säule ein, was sie vollumfänglich von den Steuern abziehen können. Auf Antrag der SVP will die Kommission den Maximalbetrag, der jährlich einbezahlt werden kann, gar weiter erhöhen. Davon würden laut Bund nur die elf Prozent Reichsten profitieren. Gleichzeitig brächte es einen Steuerausfall von einer halben Milliarde Franken.  

Yves Wegelin

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