Wichtig zu wissen: Griechischer Wein in alten Schläuchen

Nr. 48 –

Ruedi Widmer über neue Begriffe und das gefährdete Gewerbe

Zwischen Marathon und Athen gab es einst einen geschichtsträchtigen Lauf. Zwischen Delta und Omikron gab es kürzlich eine geschichtsträchtige Volksabstimmung.

Am letzten Wochenende, in der Delta-Omikron-Gleiche, ist es in vielerlei Hinsicht für einmal gut gelaufen. Das Volk hat zusammen mit dem Bundesrat die Deltavariante so gut wie verboten, und zwar so deutlich, dass man auf die Idee kommen könnte, ob denn das Volk mit dem Bundesrat unter einer Decke stecke, was verfassungsmässig natürlich ein Affront, nein, ein krimineller Akt wäre, der jeden Freund der Verfassung noch weiter in seine geistige Verfassung hineintreiben könnte.

Das Volk ging mit seinem Befürwortungsterror gar so weit, dass Nicolas A. Rimoldi (eine billigere Ausgabe von Andreas Thiel, ähnlich wie Dacia von Renault bzw. Skoda von VW) zusammen mit seinem riesigen Trotz und seinem kleinen Tross «Mass voll» in den Untergrund gehen musste.

Kleiner Tipp für Parlamentarier:innen der linken Seite: Man kann nun der SVP bei allen möglichen und unmöglichen Vorstössen ihr eigenes Plakat «Menschen diskriminieren? – NEIN» vorhalten (auf im Saal vorbereiteten Tafeln). Doch nun ist eben Omikron da, Dein neues Produkt aus der Linie der Coronaviren. Jetzt Probe fahren. «Der neue Omikron» – das klingt wie ein neuer SUV von Skoda. Aber lustig ist es natürlich nicht. Für sehr viele nicht.

Omikron ist zwar keine Biermarke und keine Eurodance-Gruppe wie Corona und auch keine Fluggesellschaft wie Delta. Aber da gibt es die Omikron AG in Netstal (GL), die Büromobiliar und EDV-Lösungen vertreibt, und da ist auch die Omicron AG – «Ihr Partner für IT-Security in Wallisellen»: zwei Schweizer KMUs, die nun mit abgesägten Hosen dastehen, dem «Hihihi»-Publikum auf der Suche nach dem möglichst schnellen und oberflächlichen Witz schutzlos ausgeliefert, vom Bundesamt für Humor in keinster Weise unterstützt. Weltweit ist es noch viel schlimmer: Omicron Elevadores SA aus Badajoz, Spanien. Oder Omicron electronics GmbH aus 6833 Klaus (Österreich), bereits mit Ablegern auf vier Kontinenten: «Omicron ist ein internationales Unternehmen, das innovative Test-, Diagnose- und Monitoringlösungen für die elektrische Energiewirtschaft zur Verfügung stellt.»

Besonders bitter ist es aber für die kleine Omicron Pharma Handels GmbH in Salzburg. Wie viele verängstigte Menschen werden in den nächsten Tagen vor die unscheinbare Tür an der Franz-Berger-Strasse 5 ziehen und nach dem Impfstoff gegen die neue Mutante lechzen, den sie verständlicherweise im Haus drin vermuten? Gerade am Tag der Niederschrift dieser schwer auf dem Magen liegenden Zeilen trat in Salzburg, nach Tirol und Vorarlberg, der dritte Omikron-Fall in Österreich auf.

Im Nachbarland Ungarn wurde 1991 in 6044 Kecskemet-Hetenyegyhaza eine Landmaschinenfirma gegründet mit einem Logo, das einen Traktor zeigt, dessen Räder die beiden «O» des Wortes «Omikron» bilden. Ja, herrje, was passiert jetzt mit Omikron-Landmaschinen? Wer rettet diese Firmen, denen die Kund:innen ausbleiben, aus lauter Angst vor dem Klang von Verderben und Tod? Wie konnten die rücksichtslosen Wissenschaftler:innen nur einen solchen Namen für das ansteckendste Virus aller Sars-CoV-2 nehmen? Wo sie sich des Problems doch bewusst sind: Hatten sie nicht schon «Ny» aus Rücksicht auf die Trump-Stadt New York und «Xi» aus Angst vor Xi Jinping ausgelassen und sind direkt von Lambda (wer hatte übrigens diese Mutante?) auf Omikron gesprungen (ein beispielloser Vorgang, bei dem sich die ganze griechische Mythologie im Grab umdreht)?

Der kapitalistische Grundsatz ist mit Omikron erfüllt: Alles, was schon da war und man nicht brauchen kann, ist jetzt erneut da, einfach unter anderem Namen.

Ruedi Widmer ist seit gefühlt der Antike Bewohner von Winterthur.