Covid-Politik in China: Das krachende Ende einer Erfolgsgeschichte

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Überfüllte Spitäler, kaum wirksame Impfstoffe: China war schlecht auf die Abkehr von der «Zero Covid»-Strategie vorbereitet. Dass sie diese auf Druck der Bevölkerung vollzog, will die Regierung nicht zugeben.

Am Samstag räumte die Nationale Gesundheitskommission der Volksrepublik China 60 000 Todesfälle im Zusammenhang mit Covid-19 seit dem 8. Dezember 2022 ein. Davor hatte die Zentralregierung das Ausmass der jüngsten Infektionen und Todesfälle verschwiegen und war dafür von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) getadelt worden. Auch die Zahl 60 000 dürfte zu niedrig sein, schliesslich berichteten Beamt:innen aus mehreren Provinzen von hohen Infektionsraten im Dezember und im Januar – es geht um Hunderte Millionen Infizierte, der bisher grösste Ausbruch weltweit.

Ein turbulentes Jahr

Zu Beginn des Jahres 2022 hatte es noch nicht nach einer solch dramatischen Entwicklung ausgesehen. Die «Null Covid»-Strategie der Regierung schien erfolgreich. Es gab nur wenige Infektionen zu einer Zeit, in der die Pandemie in anderen Ländern ihren traurigen Höhepunkt erreichte. Als die Omikronwelle im Frühling auch in der Volksrepublik zu höheren Infektionszahlen führte, reagierte die Regierung mit vermehrten Massentests und Lockdowns, um die Verbreitung der ansteckenderen Variante zu verhindern. Die Folgen für die Menschen waren schmerzhaft. Schon im Sommer 2022 kam es vereinzelt zu Protesten auf der Strasse, in Universitäten und Betrieben, Ende November eskalierten diese in der sogenannten Weisses-Papier-Bewegung («baizhi yundong»).

Anfang Dezember beendete die Regierung alle «Null Covid»-Massnahmen abrupt – ohne zuzugeben, dass dies in Reaktion auf die Proteste geschah. Die enorm schnelle Zunahme der Infektionen legt nahe, dass sie bereits im November wusste, dass ihre Massnahmen die Ausbreitung der Omikronvariante nicht mehr würden aufhalten können. Statt zuzugeben, dass die Eindämmungspolitik gescheitert war, spielte sie die Gefahr von Omikron herunter und behauptete, die Bevölkerung sei gegen die Ausbreitung dieser «harmloseren» Variante ausreichend geschützt.

Dem ist offensichtlich nicht so. Mit der massiven Zunahme von Infektionen ist auch die Zahl schwerer Verläufe gestiegen. Zahlreiche Berichte in sozialen Medien sowie Recherchen westlicher Medien zeigen, dass in vielen Städten ab Mitte Dezember die Krankenhäuser kaum noch mit den vielen Covid-Fällen zurechtkamen und Bestattungsinstitute wie Krematorien enorm überlastet waren.

Drei Jahre nach Beginn der Pandemie und angesichts einer lange erfolgreichen Eindämmung stellt sich die Frage, warum die Regierung darauf so schlecht vorbereitet war: Viele alte Menschen sind nicht ausreichend geimpft; die chinesischen Impfstoffe schützen kaum gegen Omikron, wirksamere ausländische Impfstoffe sind jedoch nicht zugelassen; antivirale Medikamente sind nicht in ausreichender Menge verfügbar; und mancherorts ist die Ausstattung medizinischer Einrichtungen mangelhaft.

Krise der Legitimität

Die Ansteckungswelle und die mangelnde Vorbereitung treffen auch in China nicht alle Menschen gleich hart. Junge Leute überstehen eine Infektion meist ohne grössere Probleme, und sie geniessen die Rückkehr zur «Normalität» nach dem Ende der Restriktionen. Für alte Menschen ist eine Infektion jedoch oft lebensgefährlich. Und anders als Angehörige der städtischen Mittelklasse können Arbeiter:innen kaum von zu Hause aus arbeiten oder sich dort isolieren, und sie können sich auch keine Fahrt nach Hongkong oder Macau leisten, um sich dort mit ausländischen mRNA-Präparaten impfen zu lassen. Viele verschulden sich zudem, weil Behörden und Versicherungen die Kosten von Covid-Behandlungen oft nicht mehr vollständig übernehmen und Krankenhausrechnungen mehrere Monatslöhne ausmachen können.

Die Krise droht sich noch zu verschärfen, da Millionen Wanderarbeiter:innen anlässlich des chinesischen Neujahrsfests vom 22. Januar aus den urbanen Zentren in ihre Heimatorte fahren. In Kleinstädten und Dörfern ist die medizinische Versorgung noch schlechter als in den Grossstädten. Eine weitere Welle von Infektionen, Hospitalisierungen und Toten deutet sich an. Schätzungen ausländischer Expert:innen zufolge könnten in der Volksrepublik in den nächsten Monaten etwa 1,5 Millionen Menschen im Zusammenhang mit Covid sterben.

Durch die abrupte Aufgabe der «Null Covid»-Strategie und die Explosion der Infektionen hat die Regierung unter Xi Jinping in der Bevölkerung an Glaubwürdigkeit verloren. Derweil spitzen sich andere Krisen zu: Schon die Kosten und die Auswirkungen von «Null Covid» hatten die Wirtschaft belastet, nun führt die Infektionswelle zu weiteren Engpässen und Ausfällen. Aufgrund einer geschwächten Nachfrage aus westlichen Ländern sind Ende 2022 auch die chinesischen Exporte eingebrochen, die Immobilienkrise schwelt weiter, und das Wirtschaftswachstum hat sich 2022 noch einmal verlangsamt. Aussenpolitisch drohen weitere Konfrontationen mit westlichen Regierungen und anhaltende Spannungen durch die «strategische Partnerschaft» mit dem russischen Regime.

2012 war Xi Jinping angetreten, um den «chinesischen Traum» vom Aufstieg zu einer respektierten und prosperierenden Weltmacht zu verwirklichen. Elf Jahre später erinnert die Realität Millionen Menschen in China eher an einen Albtraum.