Ausbürgerungen: Der Bund bleibt stur

Nr. 50 –

Die Schweiz will erwachsene Dschihadreisende nicht ins Land zurückholen und hat kürzlich einer Frau das Bürgerrecht entzogen. Damit stellt sie sich gegen Uno und IKRK.

Zwei Mädchen, neun und fünfzehn Jahre alt, sind kürzlich aus Nordostsyrien in die Schweiz zurückgekehrt. Zusammen mit ihrer Mutter waren sie in der kurdisch verwalteten Ortschaft Roj in einem Internierungslager für Mitglieder des sogenannten Islamischen Staates (IS) und deren Angehörige untergebracht gewesen. Die Mutter der zwei Halbschwestern, eine gebürtige Genferin, muss hingegen in Syrien bleiben: Ihr hat das Staatssekretariat für Migration (SEM) die schweizerische Staatsangehörigkeit rechtskräftig entzogen.

Das ist ein höchst umstrittenes Vorgehen. Peter Maurer etwa, der Präsident des IKRK, rief im März bei einem Besuch in Nordostsyrien alle Staaten dazu auf, ihre dort gestrandeten Staatsbürger:innen zu repatriieren und dabei die Familieneinheit zu respektieren. In den beiden Internierungslagern al-Hol und Roj halten sich über 60 000 Menschen auf, achtzig Prozent davon sind Frauen und Kinder. Als «Ort, an dem die Hoffnung stirbt», bezeichnete Maurer das Lager von al-Hol.

Ein Dutzend Fälle

Auch Menschen, die sich dem IS angeschlossen hätten, hätten ein Recht auf ein faires Verfahren – inklusive Rechtsvertretung und konsularischen Beistands, betont etwa die Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Und das Uno-Hochkommissariat für Menschenrechte hat erklärt, die Aberkennung der Nationalität dürfe nicht willkürlich erfolgen und müsse verhältnismässig sein in Bezug auf die Interessen, die sie schützen solle, im vorliegenden Fall also die nationale Sicherheit der Schweiz.

Die heute 32-jährige Genferin hat auch die französische und die tunesische Staatsangehörigkeit. 2016 reiste sie mit ihren zwei Töchtern ins damalige IS-Kalifat, und nach dessen Zusammenbruch 2018 wurden die drei von den Behörden der kurdischen Selbstverwaltung zunächst ins Camp al-Hol gebracht und später nach Roj. Heute bereue sie ihre Reise nach Syrien, sagte die Mutter Anfang Oktober gegenüber der Westschweizer Zeitung «Le Temps»; sie sei von der Propaganda des IS getäuscht worden, und von der ganzen Gewalt innerhalb des Kalifats der Terrororganisation habe sie keine Vorstellung gehabt.

Mit Verweis auf die Sicherheit der Schweizer Bevölkerung bleibt der Bundesrat bisher bei seinem Entscheid vom März 2019, erwachsene Dschihad-Reisende nicht aktiv zu repatriieren. Das SEM, das dem Justizdepartement angehört, prüft zurzeit in rund einem Dutzend Fälle einen Bürgerrechtsentzug; neben der Genferin wurde bisher ein Mann rechtskräftig ausgebürgert, der nun nur noch den türkischen Pass hat. Gemäss Bundesstrafgericht hatte er Propaganda für eine Terrormiliz gemacht.

Strafverfolgung statt Ausbürgerung

Ausbürgerungen gab es in der Schweiz zuletzt zur Zeit des Zweiten Weltkriegs: Damals wurde vor allem Nazis die Staatsangehörigkeit aberkannt, letztmals 1947. Erst nach dem 11. September 2001 wurde der Passentzug wieder zum Thema, und im neuen Bürgerrechtsgesetz, das 2018 in Kraft trat, ist er detailliert geregelt. Unter Bundesrätin Karin Keller-Sutter begann das Justizdepartement 2019, den entsprechenden Artikel 42 auf Dschihadreisende anzuwenden. Ausschliesslich Doppelbürger:innen sollen ausgebürgert werden, denn es widerspricht dem Völkerrecht, Staatenlose zu schaffen. Dass ausschliesslich Doppelbürger:innen betroffen sind, verstosse jedoch wiederum gegen das völkerrechtliche Diskriminierungsverbot, argumentiert Fionnuala Ni Aolain, Uno-Berichterstatterin für die Einhaltung der Menschenrechte bei der Terrorismusbekämpfung. Ausbürgerungen seien aus diesem Grund absolut verboten, sagt sie gegenüber der WOZ.

Der Artikel 42 des Schweizer Bürgerrechtsgesetzes besagt, dass das SEM Doppelbürger:innen mit Zustimmung des Heimatkantons das Bürgerrecht entziehen kann, wenn deren Verhalten den Interessen oder dem Ansehen der Schweiz erheblich schade. Ni Aolain fordert hingegen, dass Staaten weniger schwerwiegende Alternativen bevorzugen sollten: Bürger:innen sollten ins Land zurückgeholt und allenfalls strafrechtlich belangt werden.

Ausbürgerungen dürften nicht mit dem einzigen Ziel erfolgen, Staatsbürger:innen auszuweisen oder ihre Rückkehr zu verhindern, sagt Fionnuala Ni Aolain. Zudem müsse die Schwere von Verbrechen berücksichtigt werden. Den meisten Frauen in den syrischen Camps werde bloss eine Verbindung mit ausländischen terroristischen Kämpfern vorgeworfen, erklärt die Uno-Berichterstatterin. Und sie kritisiert, dass die Kommunikation der Frauen mit der Aussenwelt stark eingeschränkt sei – und deshalb auch der Zugang zu juristischer Unterstützung. Ein faires Berufungsverfahren werde durch die Inhaftierung oft behindert.

Gemäss NGOs wie Amnesty International und humanrights.ch war dies auch im Fall der betroffenen Genferin nicht anders: Weil ihr Aufenthaltsort zu jenem Zeitpunkt unbekannt war, gab das SEM ihre Ausbürgerung Ende 2019 via Bundesblatt bekannt. Es sei deshalb fraglich, ob sie im Internierungscamp ihr Berufungsrecht überhaupt habe wahrnehmen können.