Leser:innenbriefe

Nr. 50 –

Von Herisau bis Havanna

«Impfskepsis: Misere mit langer Vorgeschichte», WOZ Nr. 49/2021

Ein Bild in der Zeitung sollte, nach unserer Auffassung, eigentlich einen dazugehörigen Text ergänzen. In der WOZ vom 9. Dezember füllt ein Foto über dem Artikel nur die Seite. Es bringt kein tieferes Verständnis zum Text, sondern wertet das Impfzentrum Herisau ab, vor allem mit dem Bildtext «nicht gerade einladend».

Wir waren drei Mal zum Impfen an diesem Ort. Dass der Eingang zu einem unterirdischen Spital nicht mit dem Eingang zu einem Hotel zu vergleichen ist, dürfte klar sein. Was man aber im Innern antrifft, ist alles andere als abweisend. Es ist sehr zweckmässig eingerichtet. Man wird von freundlichen Betreuerinnen eingewiesen. Beim kurzen Warten für die Registration konnten wir erleben, wie mit grosser Hilfsbereitschaft fremdsprachigen Personen geholfen wurde. Geimpft wird in abgedeckten Kabinen. Im grossen Ruheraum, wo auch ein Arzt anwesend ist, wartet man betreut auf das Zertifikat.

Nicht nur das: Der Ort liegt zentral, Parkplätze befinden sich vor dem Eingang, und das kantonale Spital wäre im Notfall in unmittelbarer Nähe.

Ursula und Ruedi Steiner, Bühler AR

Der Artikel über die Impfskepsis bringt ein reiches Spektrum an möglichen Antworten zusammen. Als Literaturkenner finde ich die These von Jo Lang interessant, dass die Romantik als Fortsetzung der Geistesgeschichte nach der Aufklärung im deutschsprachigen Raum eine bis heute anhaltende Wirkung besitzt. Friedrich Hölderlin war und ist ja bis heute eine der Lichtgestalten der deutschen Romantik. Er wird einerseits als Revolutionär verehrt, andererseits als reaktionärer Bewahrer des deutschen Wesens (und des Verhältnisses zur Natur). In seinen Schriften widerspiegelt sich das janusköpfige Wesen der Aufklärung. In Karl-Heinz Otts Buch «Hölderlins Geister» habe ich folgendes Zitat von Peter Handke gefunden: «Am Rande der Verzweiflung wiederholen sich die Mythen.» Kurz und bündig zeigt es mir, wie sich wahrscheinlich ganz viele Menschen, still oder laut, in diesen pandemischen Zeiten fühlen und wohin die widersprüchlichen, verwirrlichen Gefühle sie treiben …

Beat Eberle, Wasterkingen

Danke für die differenzierte transnationale Expertise. Schade, wurde Kuba nicht berücksichtigt. Von Kuba könnten wir lernen. Kuba hat sein Covid-Know-how und seine medizinischen Leistungen auf die internationale Bühne gebracht; aber darüber liest man in den Mainstreammedien natürlich nichts. An einem Podium von Medicuba Suisse vom 14. November in Zürich zum Thema «Kuba im Zeitalter des Covid – Einblicke von innen und aussen» hat Dr. Nélido González, Leiter der Nationalen Onkologiegruppe, gesagt, dass hundert Prozent der kubanischen Bevölkerung ab dem Alter von zwei Jahren mindestens eine Impfung erhalten haben und achtzig Prozent bereits drei. Zweijährige werden geimpft, weil sie den Erreger weitergeben können.

Die erste Massnahme, die Kuba initiiert hat, war eine breite Beratungskampagne, auch von Tür zu Tür, da wurde unter anderem auch interferonhaltiger Nasenspray verteilt, weil er die Multiplizierung der Viren verhindert. Die Prävention und die Beratung (Wissen vermitteln, Ängste abbauen) sind vorbildlich. Die Motivation der Kubaner:innen für die Impfung sei sehr gross, weil die kollektive Haltung in der Bevölkerung verankert sei – nicht individuelle Bedürfnisse seien im Vordergrund. Das hat Michael Hofmann gesagt, Leiter des Bereichs Contact Tracing in Luzern, der vier Jahre in Kuba gearbeitet hat.

Viele Menschen haben Angst vor dem mRNA-basierten Impfstoff. Zwei der eigenen Impfstoffe, Abdala und Soberana, beruhen auf der herkömmlichen Methode, nämlich aus aufbereiteten Proteinen des Erregers, was die Impfmotivation erhöht. Und die Resultate zeigen den Erfolg des vorbildlichen (unentgeltlichen!) Gesundheitssystems: Die aktuelle 7-Tage-Inzidenz beträgt in Kuba 5,7 pro 100 000 Einwohner, in der Schweiz sind es 781,2.

Margrith Nagel, Uster

Um des Evangeliums willen

«Evangelikale Kindheit: Emanzipation von der Erlösung», WOZ Nr. 48/2021

Was da über evangelikale Gruppen recherchiert wurde und in den Berichten von Aussteigern berichtet wird, ist mir wohlvertraut. Immerhin war ich über vierzig Jahre evangelischer Pfarrer, und die «evangelikale» Szene schwappt auch immer wieder in die «normale» Kirche herein.

Es ist wohl so wie in Politik und Kultur: Bei der kritischen Betrachtung – sowohl bei denen, die sich gelöst haben, doch auch im Geist des Berichtes – werden Kirchen und Christentum pauschal mit diesen «Gläubigen» in einen Topf geworfen. Das mag auch damit zusammenhängen, dass besonders in der Schweiz die Freikirchen auch in den offiziellen Medien einen beachtlichen öffentlichen Auftritt bekommen. Und ausserdem wird evangelikalen Pfarrern in den Landeskirchen immer wieder ein Betätigungsfeld angeboten. Da hechelt man, denke ich, oft den erfolgreichen Rattenfängern nach.

Als langjähriger Pfarrer muss ich mir dabei schuldbewusst auf die Schulter klopfen und mich und meine Kollegen und Kolleginnen fragen: Wir haben doch alle Theologie studiert und Fundamentalismus hinter uns gelassen. Und dann haben doch die meisten Christen in unseren Landen eine langjährige Karriere mit Kirche und qualifiziertem Religionsunterricht. Da sollte doch Aufklärung geschehen sein. (Man vertraut doch auch eher qualifizierter Medizin und nicht Quacksalberei … ) Was ist da fehlgelaufen? Wenn es da etwa heisst «Christliche Musik habe er nie gemocht», dann frage ich: Noch nie etwas von Bach etc. gehört? Kirche und damit auch Glaube soll auch einen Anspruch auf Qualität haben. Dafür bürgen dann auch Namen wie Karl Barth und Kurt Marti und viele andere … Warum ist das nicht «im Volk» angekommen …? Und schliesslich: Im Geiste Jesu liegt mir die WOZ näher als viele fromme Blättchen. So hat auch euer Stefan Keller bei uns gepredigt … Also, ohne lieblos zu sein: Gegen religiöse Verdummung sollte eingeschritten werden, und die Kirchenleitung möge sich – um des Evangeliums willen – von Evangelikalen und fundamentalistischen Freikirchen abgrenzen …

Hans Jaquemar, Pfr. em., Nendeln FL

Dem Autor ist im Titel eine Ungenauigkeit unterlaufen: Evangelikale sind zwar häufig Freikirchen, aber nicht alle Freikirchen sind evangelikal. Wir haben in Glattbrugg eine starke buddhistische Freikirche sowie eine muslimische – absurd, denen Evangelikalismus zu unterstellen. Äpfel sind Obst, aber nicht alles Obst sind Äpfel. Freikirchen sind jene Glaubensgemeinschaften, die keine staatliche Steuer erheben, wie ferner Lutheraner, Anglikaner, Waldenser, Quäker, jüdische Gemeinden, Anthroposophen u. a. m. Andererseits kenne ich evangelikale Gruppierungen innerhalb der reformierten Landeskirche, zum Beispiel bei CVJM-Jungscharen.

Auch ich selber gehöre zu jener Minderheit von 200 000 Schweizern, die beispielsweise vor dem Mittagessen beten; ich weiss, dass mein Erlöser Jesus lebt, und ich lese und schätze schon sehr lange die WOZ.

Hans Richner, Glattbrugg