Am Ende bist du doch allein: Das frische Gesicht des aufgeräumten Staats
Da trainiert Emmanuel Macron. Innerlich. Im Wahlkampf, damals, spielte er Fussball, Tennis, fuhr Rad und sagte: «Wenn ich mitmache, dann ziehe ich es immer vor zu gewinnen.»
Sport ist der einzige Krieg, der sich zugleich gegen Fremde und sich selber richtet. Sage ich.
Als Präsident kürzte Macron das Budget des Sportministeriums.
Das frische Gesicht des aufgeräumten, konzerngeführten Staats wird sich schon etwas dabei gedacht haben. Denn denken kann er – und reden, und darum lieben ihn so viele. Deutsche. Wegen ihres Hangs zu Führern und Eleganz. Französische Linke hassen ihn, für seine noch konsequentere Grosskonzernausrichtung des Staats, die rigide Drogenpolitik, die immer auch eine Klassenpolitik ist, den autoritären Zentrismus – und Macrons an Hass grenzende Verachtung für unterprivilegierte Schichten der Bevölkerung.
Was er geschafft hat, mag er denken, steht doch in einem demokratischen Land jedem offen –
aus einer Ärztefamilie zu stammen, zweimal die Aufnahmeprüfung für eine Eliteschule nicht zu schaffen und dennoch Investmentbanker und Anwalt zu werden. Doch.
In beiden Berufen ist man immer nur nah an der Macht, und weil Macron allein Siege akzeptiert, ging er in die Politik. Er wurde Finanzminister, privatisierte den Fernverkehr, verkaufte den staatlichen Telekommunikationsbetrieb, erwirkte Steuererleichterungen für Unternehmen und schärfte seinen Verstand in einem neoliberalen Thinktank (cooles Wort für: Herumlungern in Interessengemeinschaften). Was man eben so macht, wenn man daran glaubt, dass jeder es aus eigener Kraft schaffen kann, ein mittelmässiger Investmentbanker zu werden. Die normale Parteilaufbahn war bald zu langsam für einen Sportler wie Macron, und darum gründete er «En Marche!». Die Bewegung des Aufbruchs für wenige. Der Rest ist Geschichte. Der Rest hätte es besser wissen können.
Aber wer will sich die Euphorie eines Neustarts mit Kleinigkeiten wie Pro- und Kontralisten verderben. Die Bevölkerung Frankreichs liebt Revolutionen – die Befreiung von alten Männern, Strukturen, Bürokratie und Filz. Und so
begann der neue Präsident sein Dasein als Landesfürst, in einem goldenen Palast, und initiierte schnell den Abbau von Regulierungen für Unternehmen, die Verschlankung des Arbeitsrechts, Einsparungen im Gesundheitswesen, Senkung der Unternehmenssteuern. Emmanuel, der am Wahltag dynamisch durch den Palast der Macht rannte, Treppen hoch und runter, um die unbändige Energie, die er zum Wohle des Volkes einsetzen wollte, zu demonstrieren – hat unterdessen einige Sachen richtig gemacht. Den Staat unternehmerischer zu führen. Hygieneartikel für Menstruierende kostenfrei abzugeben, die Bürokratie effektiver und die Rentenkassen zentralisierter aufzustellen. Und natürlich Frontex zu stärken, um mehr Flüchtige im Meer zu belassen, das Asylrecht zu verschärfen und die Sicherheit des Landes zu stärken. Der Elysée-Palast ist nun geschützt wie Davos. Ungefähr dreissig Maschinengewehrbewaffnete des ersten Infanterieregiments stehen
im Meterabstand
vor dem Regierungspalast. Was ist eigentlich los, wenn ein vom Volk gewählter Präsident sich mit dem Geld des Volkes vor dem Volk beschützen lässt? Richtig, es geht um die Sicherheit für alle, und so wurde die in Frankreich ohnehin überbordende Exekutive, mit allein zwölf Untergruppen der Gendarmerie, weiter ausgebaut.
Gut für die nationale Waffenindustrie, es sind 31 Firmen inklusive der Thales Group, die auch an einer universell einsetzbaren E-ID arbeitet, mein Lieblingsthema. Entschuldigung, ich spucke; zurück zum Revolutionär in seinem Palast, beschützt vor dem Bösen aus den Vororten. Sicher hätte man die Milliarden, die in die Verteidigung gegen die eigene Bevölkerung geflossen sind, in Bildung, Infrastruktur, attraktives Wohnen investieren können, um jede Radikalisierung im Keim zu ersticken. Aber wo bleibt da der Spass? Die Militärparaden, die martialisch kostümierten Einsatzgruppen, die jungen Ökodemonstrant:innen Gliedmassen mit Gummigeschossen abtrennen.
«Der Fürst muss die traditionelle Moral vorgeblich wahren können, aber er darf auch – im Interesse der Staatsräson – vor Gewalt und Terror nicht zurückschrecken.» Heisst es bei Machiavelli, über den Macron einst seine Magisterarbeit schrieb. Und nun sitzt der König in seinem Palast und sieht ab und zu, wie Gummigeschosse gegen Demonstrant:innen fliegen. Den Urlaub verbringt er auf der Festungsinsel Fort de Brégançon. Wie Napoleon. In seinen letzten Jahren. Ein wenig einsam, aber –
für einen kurzen Moment an der Spitze der Macht.
Sibylle Berg lebte in Ostdeutschland, Rumänien und Tel Aviv und wohnt seit langem in der Schweiz. Sie brach wie alle Start-up-Entwickler:innen ihr Studium (Ozeanografie) ab und entwickelte keine Plattform, sondern schreibt Bücher und Theaterstücke.