EU-Klimapolitik: Greenwashing statt Umbau

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Neben Atomkraftwerken sollen gemäss EU-Kommission auch klimaschädliche Gaskraftwerke bis 2035 als nachhaltiges Investment gelten. Mit ihrem eben veröffentlichten Vorschlag offenbart die EU unmissverständlich, dass sie Wirtschaftswachstum vor Klimaschutz stellt.

Eigentlich hätte die neue Taxonomie-Verordnung der EU eine Art «Boosterimpfung für die europäische Energiewende» werden sollen, sagt Constantin Zerger von der Deutschen Umwelthilfe gegenüber der WOZ. Um im hoch industrialisierten Staatenbund eine klimafreundliche Energieinfrastruktur aufzubauen, braucht es sehr viel Kapital – und die Verordnung soll klimafreundliches Investieren durch eine klare Klassifizierung erleichtern. Denn Greenwashing ist insbesondere in der Finanzindustrie weit verbreitet: Gemäss einer aktuellen Erhebung des Verbraucher:innenportals Faire Fonds sind etwa in Deutschland von 657 Nachhaltigkeitsfonds nur gerade 104 «ganzheitlich unbelastet». Noch immer fliessen Gelder an Erdölkonzerne und Kohlefirmen anstatt, wie suggeriert, in den Bau von Wind- und Solarparks.

«Ein fatales Signal»

Die EU-Kommission hat zur Jahreswende entschieden, dass damit nicht so bald Schluss sein wird. Unter gewissen Bedingungen und für eine bestimmte Zeitspanne sollen Atomkraft und Erdgasprojekte das EU-Siegel «nachhaltig» erhalten. Aus der erhofften Boosterimpfung sei «ein Betablocker» geworden, sagt Zerger.

Der Entwurf der EU-Kommission kann von EU-Parlament und EU-Rat zwar noch abgeändert oder blockiert werden, doch laut Christoph Hoffmann von der Entwicklungs- und Umweltorganisation Germanwatch ist die dafür nötige Mehrheit «sehr unwahrscheinlich». Schliesslich haben die beiden einflussreichsten EU-Staaten Deutschland und Frankreich im Vorfeld bereits Zustimmung signalisiert. Beide arbeiten zwar an einer Energiewende, nehmen dabei aber Rücksicht auf ihre Industrien: Frankreich will an der Atomtechnologie festhalten und Deutschland als Ersatz für Atom- und Kohlekraftwerke neue Gaskraftwerke bauen. Wie weit sich die seit Dezember an der deutschen Regierung beteiligten Grünen dabei verbiegen, ist offen; deren neuer Wirtschaftsminister, Robert Habeck, kritisierte den Entscheid der EU-Kommission als Verwässerung des «guten Labels für Nachhaltigkeit», doch anders als die grüne österreichische Klimaschutzministerin Leonore Gewessler signalisierte er keine fundamentale Ablehnung. Gewessler hat von einer «Nacht- und-Nebel-Aktion Richtung Greenwashing» gesprochen und mit einer Klage gedroht.

Deutschland ist grösster Gasimporteur Europas und betreibt über siebzig Gaskraftwerke. Die Kapazität soll in den nächsten Jahren um zwei Drittel erhöht werden. Christoph Hoffmann von der Organisation Germanwatch befürchtet, dass mit der neuen Einstufung der EU noch viel mehr Geld in den Ausbau neuer Gasinfrastruktur fliessen wird. Ausserdem werde ein «fatales Signal» an andere Staaten gesendet, die ebenfalls an Taxonomien arbeiteten, erläutert er gegenüber der WOZ.

In der EU drohen mit der neuen Taxonomie Tatsachen geschaffen zu werden, die den ganzen Kontinent über Jahrzehnte prägen. So beträgt die Lebensdauer eines Gaskraftwerks rund 45 Jahre. Deutschland verfügt nach der letztjährigen Fertigstellung der Gaspipeline Nordstream 2 schon jetzt über ausreichende Kapazitäten, doch sollen sie weiter ausgebaut werden: Geplant ist der Bau von drei Importterminals für verflüssigtes Gas (LNG). Kostenpunkt: rund zwei Milliarden Euro. Mit diesen LNG-Terminals könnte Deutschland vermehrt Gas aus den USA oder etwa Katar importieren und so seine Abhängigkeit von Russland verringern.

Brücke zum neuen Geschäftsfeld

Immer wieder wird behauptet, es sei viel weniger klimaschädlich, Gas anstelle von Kohle zu verbrennen. Verschiedene Studien belegten in den letzten Jahren jedoch, dass bei der Förderung und dem Transport von Erdgas grosse Mengen des Treibhausgases Methan durch Lecks in die Atmosphäre gelangen. Dort baut sich Methan zwar langsam ab, in den ersten zwanzig Jahren in der Atmosphäre ist es gemäss Uno-Klimarat aber 87-mal schädlicher als CO2. Werden diese Lecks eingerechnet wie auch der Energieaufwand, den es braucht, um Erdgas zu verflüssigen, so nimmt der Vorteil gegenüber Kohle stark ab.

Gemäss EU-Plänen soll Erdgas eine Art Übergangstechnologie sein, und die Gaskraftwerke sollen eines Tages mit grünem Wasserstoff betrieben werden. «Wo der ganze Wasserstoff allerdings herkommen soll, ist völlig offen», sagt Christoph Hoffmann. Nachhaltiger Wasserstoff wird mithilfe elektrischer Energie aus Wasser erzeugt; wird er danach verbrannt, um wiederum Strom zu erzeugen, geht sehr viel Energie verloren. Wasserstoff ist deshalb ein äusserst teurer Energiespeicher – und stellt für viele Energiekonzerne ein dringend benötigtes neues Geschäftsfeld in Aussicht, wenn sie dereinst die Öl- und die Gasförderung einstellen müssen. Mit der geplanten EU-Taxonomie dürften sie sich bereits vorher mit einem Nachhaltigkeitslabel schmücken.