«Pleasure»: Alles deine Entscheidung

Nr. 2 –

In ihrem ersten Spielfilm wirft Ninja Thyberg einen detaillierten Blick auf die Pornoindustrie. Ihre faszinierende Protagonistin entzieht sich wohltuendem Empowerment.

Sie hat ein knallrosa Gummiboot: Die Pornodarstellerin Linnéa alias Bella Cherry (Sofia Kappel) muss sich in vielen ideologischen Kraftfeldern behaupten. Still: Xenix Film

Die Frage des Zollbeamten am Flughafen von Los Angeles ist eine banale Formalität, aber sie zielt auch auf eine Grundfrage des freien kapitalistischen Subjekts: Arbeit oder Vergnügen? Die Antwort der neunzehnjährigen Linnéa, die aus Schweden hierhergereist ist, um Pornostar zu werden, unterwandert diese binäre Logik sogleich. Sie hält ihren gelangweilten Blick, kaut einmal auf ihrem Kaugummi und gibt apathisch von sich: «Vergnügen.» So ambivalent wie die Regung der Protagonistin zeichnet «Pleasure», der erste Spielfilm von Ninja Thyberg, auch die US-Pornoindustrie: als eine Welt, in der die saubere Trennung zwischen Selbst- und Fremdbestimmtheit absurd erscheint.

Die Geschichte des Films ist schnell erzählt: Die unerfahrene, aber unerschrockene Linnéa, die stets mit ihrem Pornoalias Bella Cherry angesprochen wird, kommt bei ihrem zielstrebigen Aufstieg gut voran, muss für die unterschiedlichen Drehs aber immer wieder körperliche und psychische Grenzen überwinden. Die Spielregeln sind klar: Wer Erfolg haben will, muss «pervers» sein, wie ein Agent einmal sagt, also möglichst harte Szenen spielen. Seine Spannung zieht «Pleasure» weniger aus der Handlung, die zeitweise so absehbar wirkt wie der Alibiplot eines Pornos, sondern aus den ideologischen Kraftfeldern, denen die Protagonistin ausgesetzt ist.

Emsiger Realismus

Nach ihrem ersten Dreh fragt Bella Cherry den Regisseur, was sie denn wissen müsse, um der nächste grosse Pornostar zu werden. Der ungezwungene, freundliche Typ erklärt: «Das Wichtigste ist, dass du Spass an deiner Arbeit hast.» Dass es nicht der Sex an sich ist, der ihr Spass macht, wird schnell deutlich; überhaupt ist in diesem Film keine Begegnung zu sehen, die sexuell motiviert ist. Doch Bella Cherry wird von einem anderen Begehren getrieben, das auch von Schmerz und Erniedrigung oder der Verletzung ihres moralischen Empfindens nicht gebrochen werden kann: einem unbeirrbaren Willen zum Erfolg.

Diese Protagonistin, eindrücklich gespielt von Sofia Kappel, ist die grösste Provokation von «Pleasure». Einmal wird Linnéa gefragt, was ein anständiges Mädchen wie sie überhaupt in dieses Business verschlagen habe. «Mein Vater hat mich als Kind vergewaltigt», sagt sie ganz ernst, um kurz darauf in Gelächter auszubrechen. Klar, der Witz gilt dem pathologisierenden Reflex gegenüber der Arbeit im Pornobusiness oder auch der Sexarbeit – ein trotziger Mittelfinger an individualistische Erklärungsmuster. Aber die Tatsache, dass Linnéas Vergangenheit im Dunkeln bleibt, bedeutet auch, dass ihr Handeln letztlich nicht als wohltuendes Empowerment lesbar wird. Der Widerspruch zwischen Unterwerfung unter patriarchale Spielregeln (ausser bei einem Dreh werden die Sets von Männern dominiert) und strategischer Selbstermächtigung bleibt bestehen.

Der offensichtlichen Konstruiertheit der Hauptfigur steht ein emsiges Bemühen um Realismus entgegen. Man wähnt sich zeitweise in einem Dokumentarfilm, wenn die Kamera die Details der weiblichen Körperarbeit in den Blick nimmt: das Hantieren mit einer Vaginaldusche etwa, mit der Bella Cherry bei ihrem ersten Dreh Bekanntschaft macht, oder mit riesigen Analplugs, mit denen sie sich auf eine extreme Szene vorbereitet. Doch nicht nur das, ausser Sofia Kappel sind alle Schauspieler:innen im Film tatsächlich in der Pornoindustrie tätig; einige spielen sich selber (wie der prominente, zwielichtig wirkende Agent Mark Spiegler), andere spielen erfundene Figuren. Nach ihrer mehrjährigen Recherche in Los Angeles castete Ninja Thyberg auch professionelle Schauspieler:innen, aber die Leute aus der Industrie seien einfach glaubwürdiger gewesen. Deren schauspielerische Leistung ist viel besser, als das Pornoklischee es vermuten liesse.

Stärke und Strategie

Es gibt also Parallelen zwischen Linnéa, die sich mit diffuser Faszination auf eine unbekannte, düstere Welt einlässt, und der forschenden Regisseurin, die als in der schwedischen Mittelschicht aufgewachsene und in Genderstudies ausgebildete Feministin auf dieses patriarchale Business trifft. Nachdem sie mit sechzehn Jahren in einer Anti-Porno-Gruppe aktiv gewesen war und später an der Filmschule einen kritischen Kurzfilm gedreht hatte, der auch schon «Pleasure» hiess, reiste Thyberg 2014 nach Los Angeles, um ihre Ansichten einem Realitätscheck zu unterziehen.

«Als ich nach LA ging, dachte ich, dass ich viel mehr über männliche Dominanz und das Patriarchat wüsste als die Darstellerinnen – sonst wären sie ja nicht dort, wo sie sind», sagte Ninja Thyberg letzten Herbst beim Treffen in Zürich, wo sie beim lokalen Filmfestival zu Gast war. Doch sie habe schnell gemerkt, dass sie im Gegenteil viel von diesen Frauen lernen könne, deren Stärke und Strategien sie beeindruckt hätten. Thyberg erzählt von einer Schwarzen Darstellerin, die seit jeher von Männern sexualisiert und objektiviert wurde; als sie begann, als Stripperin zu arbeiten, konnte sie Geld dafür verlangen und eine gewisse Macht erlangen. Oder von einer Darstellerin, die sich im kontrollierten Rahmen von Filmsets für BDSM-Pornos mit ihrem Trauma von jahrelangen Übergriffen konfrontieren konnte. Sie habe auch realisiert, sagt Thyberg, dass Geldverdienen eine ganz andere Bedeutung habe in einem Land, wo die Gemeinschaft kaum für essenzielle Dinge wie Bildung oder Gesundheit aufkomme.

Trotzdem handelt «Pleasure» gerade nicht etwa von einer Amerikanerin aus der Unterschicht, die Geld für die Herzoperation ihrer Mutter verdienen muss. Weil Linnéa keine Geschichte hat, lässt sich auch ihre moralische Ambivalenz nicht erzählerisch einordnen. Einer rührenden Kollegin, die ihr Tricks beibringt und mit ihr befreundet sein will, bietet sie erst dann selber Hilfe an, als sie weit oben angekommen ist, um sie – man ahnt es längst – kurz darauf zum eigenen Vorteil zu verraten. Trotz der ausführlichen Sexszenen, die in ihrem enthüllenden Gestus auch selber eine pornografische Fantasie bedienen, verweist der Film so auf eine allgemeinere Ebene: die eines patriarchal organisierten Arbeitsmarkts.

Keine simplen Fronten

Es ist also nicht überraschend, dass Sex in der Schlüsselszene des Films gar keine Rolle spielt. Im einzigen Moment, in dem Linnéa hadert – nach einem Dreh, den sie wie eine Vergewaltigung erlebt –, ruft sie ihre Mutter in Schweden an, die sie im Glauben lässt, sie mache in den USA ein Praktikum. Statt über die Mutter moralische Fragen auszuhandeln, lässt Thyberg die Ahnungslose eine Motivationsrede halten: «Dein Leben liegt in deiner Hand. Wenn du ein Ziel vor Augen hast, kannst du alles erreichen.» Auch auf den Sets hört sie ständig solche Sätze: «Du bist ein starkes Mädchen!» «Es ist alles deine Entscheidung!» Die Pornoindustrie dient dabei vor allem als Linse, um den Blick dafür zu schärfen, wie grausam solcher ideologische Blödsinn sein kann.

Doch in der Widersprüchlichkeit der Pornoindustrie, die «Pleasure» zeigt, liegt auch eine dokumentarische Qualität. Im Gespräch mit Thyberg wird das noch deutlicher. Etwa wenn sie von Casey Calvert erzählt, die sie bei ihrem ersten Besuch in Los Angeles kennenlernte und die als Produzentin auch Teil ihrer Crew wurde. Calvert arbeitet als Darstellerin für Mark Spiegler, aber auch als Autorin und Regisseurin. Für die Plattform der feministischen Regisseurin Erika Lust hat sie eine pornografische Serie über zwei diverse Millennialpaare mit ihren polyamoren Liebschaften gedreht – gleichzeitig arbeitet sie für die Plattform blacked.com, die rassistische Fantasien über Schwarze Männer und weisse Frauen bedient. Hier die woken Alternativen, dort der böse Mainstream – solche simplen Fronten werden der faszinierenden Kontingenz nicht gerecht, mit der diese Industrie unterschiedlichste Fantasien bedient.

Pleasure. Regie: Ninja Thyberg. Frankreich/Schweden/Niederlande 2021