«Rotzloch»: Offene Arme verboten

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Rotzloch ist ein sonderbar zwischen Alpnachersee und Nidwaldner Gebirge eingeklemmter Ort bei Stansstad, und so heisst auch das Asylzentrum in einem ausgemusterten Gebäude der örtlichen Steinverarbeitungsanlage. Es wirkt, als ob der einzige Fluchtweg durch eine Schlucht nach oben führte. Kalte und einengende Idylle.

Als «Friedhof für die Lebenden» bezeichnet einer der Asylbewerber in Maja Tschumis Dokumentarfilm «Rotzloch» seinen vorläufigen Wohnort. Als «Gefängnis mit offenen Türen» ein anderer, nicht weniger paradox. Wie überall sind die Grenzen fiktiv, ohne dadurch weniger einschränkend zu sein. Die Möglichkeit ihrer Überwindung ist blosser Augenschein. Die Sprache lässt sich lernen, und die Einheimischen sind nicht alle so distanziert wie jenes ältere Paar, das diskret sein Schritttempo erhöht, als es die beiden fremd aussehenden Männer erblickt, die sich von einem Seil immer wieder fröhlich in den See fallen lassen.

Die Grenzen sind hier jene des Gesetzes und der höflich zuhörenden Bürokratie, die die Männer nicht arbeiten lässt. Weil ihnen der Aufenthaltsbescheid fehlt. Weil ihnen die Beweise fehlen, dass sie verfolgt wurden oder dass sie noch minderjährig sind. Persönliche Entfaltung ist schwierig, wenn es einem verboten ist, die Arme weit zu öffnen, und sei es nur für eine Umarmung.

Einer hat eine Schweizer Freundin gefunden, die anderen beklagen sich, die jungen Frauen hier würden sich nicht mit einem arbeitslosen Asylbewerber einlassen wollen. Mit der Sexualität ist es sowieso schwierig. Der kulturelle Fortschritt lasse sich daran messen, wie viel Eigenständigkeit der Frau gewährt wird, sinniert einer der Männer, um dann festzustellen, dass das einem auch nicht alles einfach machte. Die Grenzen sind auch innere.

«Rotzloch» wirbt für ein Verständnis über diese Hindernisse hinweg, indem der Film den Männern aufrichtig zuhört, trifft dabei aber immer wieder auf Grenzen. Das majestätische, unüberwindbare Alpenmassiv wird nicht zufällig ins Bild gerückt. Die enge und steinige Schlucht, die aus Rotzloch wegführt, bietet an einigen Stellen immerhin Schutz und Platz für ein wärmendes Feuer.

In: Solothurn Konzertsaal, Sa, 22. Januar 2022, 15 Uhr, und Landhaus, Di, 25. Januar 2022, 17.45 Uhr.

Rotzloch. Regie: Maja Tschumi. Schweiz 2022