Aufstand als Fiebertraum

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Filmstill aus «Immortals»: zwei Frauen liegen auf einem Teppich

Auch der Irak hatte seine Oktoberrevolution. 2019 ging eine junge Generation in Bagdad auf die Strasse – gegen Korruption und Konfessionalismus, gegen den Einfluss des Iran und der USA, gegen die Enge der patriarchalen und religiösen Strukturen. Das Regime schlug die Proteste brutal nieder. Hunderte Menschen wurden getötet, Tausende verletzt.

In ihrem Dokumentarfilm «Immortals» zeigt Maja Tschumi («Rotzloch») den Aufstand als Fiebertraum. Da sind Strassenzüge voller Rauch, in denen sich Demonstrant:innen fast tänzerisch bewegen. Sie tragen Masken, Fahnen, die Bilder sind so formvollendet schön, dass sie fast surreal wirken. Die Aufnahmen stammen vom jungen Filmemacher Mohammed al-Khalili. Sechs Monate lang lebte er in der Zeltstadt auf dem Tahrirplatz, wo sich die Protestierenden versammelten, und dokumentierte alles mit seiner Kamera. Tschumi lernte Khalili kennen, als sie im Nachgang der Proteste nach Bagdad reiste. Er vertraute ihr, der ausländischen Regisseurin, sein Material an; es wurde zum Ausgangspunkt für ihren Film.

Melak Madhi, Milo genannt, protestierte damals als Mann verkleidet. Ihr Vater erfuhr davon, sperrte sie ein Jahr lang ein, verbrannte ihre Kleider, ihren Pass. Der Erzählstrang des Films, der ihr folgt, setzt einige Jahre nach den Protesten ein. Milo trägt die Haare kurz, bewegt sich in der Kleidung ihres Bruders selbstsicher durch die Stadt. Aber sie tut es unter Lebensgefahr. Als Frau ist sie ihrem Vater ausgeliefert: Die Clans im Irak sind einflussreich, die Polizei tut patriarchale Gewalt als Familiensache ab. Für die Aktivistin ist klar, dass sie sterben wird, wenn sie das Land nicht verlässt.

Obschon «Immortals» als Dokumentarfilm ausgewiesen ist, mutet er über weite Strecken wie ein Spielfilm an. Das liegt an seiner ästhetischen Qualität, aber auch daran, dass viele Szenen, gerade aus Milos Leben, aus Sicherheitsgründen nachgestellt sind. Sie fügen sich organisch ein, schaffen eine eindringliche Intimität. Tschumi ist ihren Protagonist:innen nahe, nimmt sich als Regisseurin zurück, versteht sich als Übersetzerin. «Immortals» entstand in engem Austausch mit Madhi und Khalili, die beide als Ko-Autor:innen aufgeführt sind.

Nach dem Aufstand zogen sich viele Protestierende ins Private zurück. Auch Khalili hat sich in die konservativen Familienstrukturen eingefügt und ist inzwischen verheiratet. Als 2022 islamistische Sadristen das irakische Parlament stürmen, greift er doch wieder zur Kamera: Der Film zeigt ihn zum Schluss noch einmal als Aktivisten, inmitten der wogenden Männermasse. Derweil bricht Milo aus. Sie hat nichts mehr zu verlieren.

«Immortals». Regie: Maja Tschumi. In: Solothurn, Landhaus, Fr, 24. Januar 2025, 20.15 Uhr, und Konzertsaal, Mo, 27. Januar 2025, 16.30 Uhr. Ab 17. April 2025 im Kino.