Auf allen Kanälen: Konfuses Komitee

Nr. 6 –

In Frankreich sorgt ein anonym veröffentlichtes Manifest für Wirbel. Hinter dem Pamphlet werden Autor:innen aus dem «Unsichtbaren Komitee» vermutet.

Keine Frage: Die Pandemie hat für politische Desorientierung gesorgt. Das jüngste Beispiel dafür kommt aus Frankreich, wo Ende Januar im renommierten Pariser Verlag Éditions du Seuil ein anonymes Pamphlet erschien. Der schwarze Band mit dem Titel «Manifeste conspirationniste» machte gleich nach der Veröffentlichung viel Wirbel – so viel, dass der Verlag eine Stellungnahme nachschob und sich gegen angeblich «missbräuchliche» Interpretationen verwahrte.

Die Aufregung rührt unter anderem daher, dass hinter dem Manifest das berüchtigte «Unsichtbare Komitee» vermutet wird. Dieses hatte in der Vergangenheit mehrfach in breit rezipierten Flugschriften zur Militanz gegen Staat und Kapital aufgerufen. Beim neusten Traktat dürfte jedoch allenfalls ein Teil des Komitees beteiligt gewesen sein: Zwar erinnert dessen Stil an frühere Texte wie «Der kommende Aufstand». Gleichwohl ist es in einem anderen Verlag und nicht unter dem früheren Kampfnamen erschienen. Kaum war das Manifest publiziert, war unter dem Twitter-Account des «Unsichtbaren Komitees» zu lesen, dass die Texte des Kollektivs ausschliesslich unter dessen Namen publiziert würden. Die Distanzierung könnte auf interne Verwerfungen schliessen lassen.

Linke als «Stimmen der Angst»

Sollte es diese wirklich geben, wäre das nicht weiter überraschend. Schon der erste Satz des Manifests lautet: «Wir sind Verschwörungstheoretiker, wie von jetzt an alle vernünftigen Leute.» Das ist mehr als bloss eine Provokation zum Auftakt. Auch auf den folgenden Seiten geht es den Autor:innen darum, sich den Begriff des Verschwörungstheoretikers anzueignen, um diesem dann einen antikapitalistischen Dreh zu geben. So heisst es etwa: «Es wäre albern, zu fragen, ob es sich verschworen hat, dieses 1 Prozent, das 48 Prozent des globalen Reichtums besitzt, das überall dieselbe Art Schule und dieselben Orte besucht, dieselben Menschen trifft, dieselben Zeitungen liest, auf dieselbe Art stirbt, sich in denselben Diskursen suhlt und in demselben Gefühl ererbter Überlegenheit. Natürlich atmen diese Leute dieselbe Luft. Natürlich verschwören sie sich. Und dafür müssen sie nicht einmal Komplotte schmieden.»

Auf diese Weise will das Manifest zum einen gegen die liberale Strategie polemisieren, radikale Gesellschaftskritik per se als «Verschwörungstheorie» zu verunglimpfen (die Autor:innen verweisen hierbei exemplarisch auf den antimarxistischen Philosophen Karl Popper). Zum anderen handelt es sich um eine Intervention in den linken Pandemiediskurs: So prangert das Manifest an, dass die Linke länderübergreifend die Regierungslinie bei der Seuchenbekämpfung mitgetragen habe. Sie sei so zu einer «Stimme der Angst» geworden und habe «die Konzepte der Freiheit, der Demokratie, der Alternative, der Revolution und selbst des Aufstands fortan der extremen Rechte zu überlassen».

Unheilige Allianz

Allerdings ist diese Diskussion nicht neu und wurde auch schon mit deutlich mehr Substanz geführt. Im «Manifeste conspirationniste» dagegen strotzt bereits die Einleitung vor zumindest schiefen Behauptungen. So heisst es etwa: «Die Inszenierung einer tödlichen weltweiten Pandemie, ‹schlimmer als die Spanische Grippe von 1918›, war wirklich eine Inszenierung.» Kurz danach wird postuliert: «All die schrecklichen Modellierungen waren falsch.» Dann: «Es handelt sich zweifellos um die erste tödliche Epidemie, bei der man die Menschen davon überzeugen muss, dass sie existiert.» Von den laut aktuellen Schätzungen der Weltgesundheitsbehörde global 5,7 Millionen Coronatoten ist dagegen nirgends die Rede.

Stattdessen insinuiert das Manifest, Corona sei die Antwort auf die Aufstände von 2019 gewesen, als von Kolumbien bis Hongkong Leute auf die Barrikaden gingen. Den Herrschenden soll schliesslich gedämmert haben: «Es galt etwas zu versuchen. Es galt die Oberhand zurückzugewinnen, koste es, was es wolle.» Eine kleine Elite hat die Pandemie also bewusst eingefädelt? Zustimmung für diese Thesen kam ausgerechnet von «Égalité et réconciliation»: Die vom Holocaustleugner Alain Soral gegründete Organisation frohlockte, dass sich nun endlich ein «gemeinsames Programm» von ganz links und ganz rechts abzeichne. Für solch unheilige Allianzen gibt es im Französischen eigens einen schönen Begriff: «confusionnisme».