Erwachet!: Pferde, Tauben, Bienen
Michelle Steinbeck erinnert sich an ein abgebranntes Affenhaus
Als ich am Freitag vor der Abstimmung von Basel nach Zürich fuhr, fiel ich aus allen Wolken. Im Abteil neben mir sassen zwei junge Frauen, die sich interessiert über allerlei unterhielten. Bis die eine zur anderen sagte: «Hast du eigentlich abgestimmt wegen der Affen? Wie, du hast das nicht mitgekriegt? Es ist so absurd. Die wollen Affen Menschenrechte geben.» Dem darauffolgenden kurzen Gespräch war zu entnehmen, dass die beiden desinformiert waren. Noch erschreckender fand ich aber ihr hochgradig speziesistisches Gedankengut. Und die Erkenntnis, dass dieses in unserer Gesellschaft offenbar noch die Norm ist – was auch das Abstimmungsresultat deutlich zeigte.
Mir wurde bewusst, wie sehr ich mich diesbezüglich in einer Bubble befinde. Mark Zuckerbergs Algorithmus zeigt mir jeden Post vom Hund meines Philosophieprofessors an. Der Tierethiker Markus Wild und sein Hund Titus sind prominente Verfechter der Basler Initiative. So liess ich mir vorgaukeln, dass in diesem Abstimmungskampf ständig informative und schlagkräftige Argumente zum Thema im Umlauf seien – und nicht nur die irreführende Nein-Kampagne, in der fälschlicherweise von den viel umfassenderen Menschenrechten die Rede ist.
Dabei forderte die Initiative bekanntermassen nur zwei fundamentale Grundrechte für nichtmenschliche Primaten: das Recht auf Leben und Unversehrtheit. Dass dies meiner Abteilnachbarin dermassen «absurd» erschien, irritiert mich noch immer. Wir erinnern uns an das abgebrannte Affenhaus im Krefelder Zoo, wo in der Silvesternacht 2020 über dreissig Affen im Feuer starben und ein schwer verletzter Gorilla erschossen werden musste. Das Entsetzen war gross; in den sozialen Medien dominierten Tränensmileys. Wieso gilt diese Empathie nicht auch für Gorillas, die in Zoos (und Zollis) aus Platzmangel und Zuchtgründen getötet werden? Ich würde wetten, dass sich bei einer Strassenumfrage die meisten gegen eine solche Praxis aussprechen würden. Und doch stimmten nur 25 Prozent der abstimmungsberechtigten Stadt-Basler Bevölkerung für eine Initiative, die darauf zielt, solches zu verhindern.
Basel hätte damit Geschichte schreiben und ein wegweisendes Signal geben können: Weltweit zum ersten Mal hätten Tiere bestimmte Grundrechte und damit einen starken Schutz bekommen. Die Tür wäre für weiterführende Diskussionen aufgestossen worden: Beschönigen wir unseren Umgang mit Tieren? Welche Nutzung scheint uns weiterhin nötig und gerechtfertigt? Sind wir Tieren gegenüber etwas schuldig? Offenbar wollen die meisten diese Tür geschlossen halten.
In Anbetracht von Massentierhaltung und Artensterben in Kombination mit ständig neuen Erkenntnissen in der Tierforschung ist es aber unvermeidlich, unser Verhältnis zu Tieren grundlegend infrage zu stellen. Indem wir Menschen-Primat:innen uns über andere Tiere erheben und ihr Leben für unseren Vorteil opfern, schaden wir schliesslich auch uns selbst. Antibiotikaresistenzen und Seuchen sind nur zwei Gefahren, die uns in diesem Kontext je länger, desto mehr beschäftigen werden.
Nicht nur Pferde, Tauben, Fische und Bienen zählen also auf unser Engagement – laut Studien können sie nämlich zählen. Hühner und manche Affen und Papageien rechnen sogar. Einer Science-Fiction-Autorin wie mir scheint ein zukünftiges Tierrecht auf Bildung damit gar nicht so abwegig.
Michelle Steinbeck ist Autorin und Philosophiestudentin an der Uni Basel.