Kost und Logis: No pain, no gain

Nr. 7 –

Karin Hoffsten kam in Kontakt mit China

Es begann mit Schmerzen im Fussgelenk, die sich medizinischen Erklärungen verweigerten. Jemand riet mir zu Akupunktur. Auf meinen Einwand hin, das habe bei mir nie was gebracht, markierte er mit den Fingern Schlitzaugen und meinte, das funktioniere auch nur bei den «echten». Während ich schon über Rassismen zu grübeln begann, ergänzte er: «Die haben die zugrunde liegende Literatur im Original gelesen. Das ist wichtig!»

Also meldete ich mich in einer Praxis für Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) an. Schon beim Erstgespräch wähnte ich mich weit weg von zu Hause. Doktor Wang* sprach ausschliesslich Chinesisch, Frau Chen*, die Praxisassistentin, übersetzte, und ich überliess mich bei einem Becher Tee dem Gefühl, in einer anderen Welt zu sein. Jede Behandlung bestünde aus Akupunktur und Massage und daure siebzig Minuten, erklärte mir Frau Chen, TCM sei eben ganzheitlich. Also wurde ich, abwechselnd auf Bauch oder Rücken liegend, zweimal in der Woche von Doktor Wang oder von Doktor Li* geknetet und gestochen, was oft schmerzhaft und doch entspannend war.

Beide Herren leben seit zehn Jahren in der Schweiz, aber unsere Kommunikation beschränkte sich auf «Gut», «Nicht gut» oder «Tut weh». Herr Li quittierte jedes «Aua!» meinerseits herzlich lachend mit: «No pain, no gain!» Wenn eine Praktikantin mit im Raum war, war die Behandlung von leisen chinesischen Dialogen untermalt, die ich nicht verstand, aber als beruhigend empfand. Sobald ich igelartig besteckt alleine dalag, kam mir in den Sinn, was ich alles jemals über China gehört oder gelesen hatte und dass ich das Land gerne mal bereist hätte, es aber nur in seine Nähe geschafft habe.

Schon in meiner Jugend erfuhr ich dank diverser Romane, was eine kaiserliche Konkubine ist und dass verkrüppelte Frauenfüsse in China als schön galten. Später huldigte ich in fast peinlicher Naivität der Kulturrevolution, las Charles Bettelheims Reisebericht und verkehrte in WGs, wo farbige Bilder hingen, auf denen chinesische Arbeiter:innen die Maobibel reckten. Doch als bei einer Veranstaltung ein paar wacklige Filme, in denen das glückliche Volk zu Ehren Maos Revolutionslieder schmetterte, auf eine wallende rote Fahne projiziert wurden, fand sogar ich das albern.

Das ist lange her. Heute hätte ich mich gern mit Herrn Wang und Herrn Li über ihre Heimat unterhalten. Ich fragte Herrn Wang auf Englisch, ob er das chinesische Neujahr gefeiert habe. «Ja», antwortete er, «mit einem besonderen Essen», und fügte freudig an, heute begännen in Peking die Olympischen Spiele! Und plötzlich wurde mir bewusst, wie absurd es war, mit zwei zufällig in der Schweiz lebenden chinesischen Bürgern darüber sprechen zu wollen, was mir an ihrem Land missfällt.

Von da an hielt ich mich an das, was mir beide regelmässig rieten: «Entspannen – nicht denken!» Die Schmerzen sind übrigens weg.

* Namen geändert.

Karin Hoffsten versucht, ihre Neugier auf China auch in Zukunft mittels geeigneterer Quellen zu stillen.