Lokaler Konsum: Zum Beispiel die Verpackung

Nr. 8 –

Wer in Westafrika Nahrungsmittel aus regionaler Produktion verkaufen will, ist den rauen Bedingungen des Weltmarkts ausgesetzt. Die Hürden zum Erfolg sind hoch: Es fehlt an Infrastruktur, Kaufkraft und politischer Unterstützung. Zu Besuch bei einigen, die es trotzdem versuchen.

«Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viele Menschen man mit dem Verkauf einer Flasche unterstützt»: Blandine Montcho produziert in Benin unter anderem Sojamilch.

Blandine Montcho steht in ihrem Geschäft in Porto-Novo, der Hauptstadt Benins, und nimmt eine Literflasche Sojamilch aus dem Regal. Der Preis: umgerechnet 2,35 Franken. «Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viele Menschen man mit dem Verkauf einer Flasche unterstützt», sagt Montcho. Und zählt auf: «Den Sojaproduzenten, seine Frau, die Kinder. Jene, die den Transport organisieren. Die Frauen, die wir angestellt haben, und deren Männer.» Eine lange Liste, mit der die Inhaberin des Unternehmens Monblan deutlich machen will, wie wichtig die lokale Produktion von Lebensmitteln für die Wirtschaft eines ganzen Landes ist.

Oder besser: wäre. Auf den Märkten in ganz Benin, dem schmalen westafrikanischen Küstenland zwischen Nigeria und Togo, gibt es zwar überall Obst und Gemüse aus beninischem Anbau. Aber schon das Geflügel kommt meist als Tiefkühlware aus Europa, den USA und Brasilien hierher. Gemäss letzten Schätzungen belief sich der Fleischimport vor einiger Zeit auf 150 000 Tonnen jährlich – in einem Land mit etwa dreizehn Millionen Einwohner:innen sind das pro Kopf über elf Kilogramm. Vor allem in den Supermärkten des Landes findet sich kaum lokal produzierte Ware; auch Kartoffeln, Orangen und Peperoni stammen eher aus Nordafrika. Allenfalls stehen etwa Erd- und Cashewnüsse oder Säfte aus Benin in den Regalen, ab und zu Seife.

Tüfteln mit Mehlsorten

«Ich schätze, dass etwa fünf Prozent der Produkte aus hiesiger Produktion stammen», sagt Sandra Idossou. Sie ist Beraterin im Dienstleistungsbereich und im Umweltschutz aktiv – und seit vorletztem Jahr Inhaberin einer eigenen Kunstgalerie in Cotonou, der beninischen Küstenmetropole, die keine zwanzig Kilometer von Porto-Novo entfernt liegt. Kouleurs d’Afrik heisst die Galerie, in der sie Kunstgegenstände aus fünfzehn afrikanischen Ländern anbietet.

Idossous Angebot wechselt regelmässig. Sie verkauft Möbel, Skulpturen, Kissen und Perlen sowie grosse Jutetaschen, auf denen in Schwarz die Zahl 229 gedruckt ist: Es ist die Landesvorwahl Benins. Früher sei sie selbst viel für ihre Arbeit gereist, sagt Idossou, etwa nach Ruanda. «Dann habe ich Kunstgegenstände in meinem Koffer zurück nach Benin transportiert», so die Unternehmerin. Seit sie die Ware nicht mehr selbst hierherhole, sei der Transport aufwendiger geworden und mit hohen Kosten verbunden; schon innerhalb Westafrikas seien die anglofonen und die frankofonen Länder oft sehr schlecht miteinander verbunden. Und aus anderen Regionen Afrikas sei der Transport noch schwieriger zu organisieren. Viel einfacher sei es, Waren aller Art aus Europa, Nord- und Südamerika oder Asien ins Land zu holen. Das sei aber nicht einmal die grösste Herausforderung. «Am schwierigsten ist es, die Menschen zum lokalen Konsum zu bewegen», sagt Sandra Idossou.

Da ist zum einen die Preiskonkurrenz: Importierte Lebensmittel sind mitunter günstiger als lokale, etwa der Reis. Ein lokal produzierter Fünf-Kilo-Sack kostet umgerechnet knapp sieben Schweizer Franken, während einer aus China gut einen Franken günstiger ist. In einem Land, in dem rund 39 Prozent der Menschen unterhalb der Armutsgrenze leben und in dem es trotz privater und staatlicher Programme an formalen Arbeitsplätzen mangelt, macht das viel aus. Da sei zum anderen aber auch die Einstellung der Beniner:innen, findet Idossou: Es fehle die Bereitschaft, für lokale Produktion und Qualität zu zahlen. Letztlich habe man sich bis heute nicht von kolonialen Denkmustern befreit. «Die Menschen denken: Was anderswoher kommt, ist gut», sagt die Händlerin.

Die Konditorin Maëlle Acakpo hat es aufgegeben, solcherlei Debatten zu führen. Die 27-Jährige sollte, so der Wille ihrer Eltern, nach dem Schulabschluss eine medizinische Ausbildung machen – die Schule für pharmazeutisch-technische Assistent:innen brach sie nach einem Jahr jedoch ab. Stattdessen entschied sie sich für eine Lehre zur Konditorin, die sie 2014 als Beste in ganz Benin abschloss. «Das Essen und ich, das ist eine ganz grosse Liebe», sagt sie.

Zwei Dinge waren Acakpo schnell klar: «Ich habe mich früh entschieden, dass ich als Selbstständige und nicht für andere arbeiten will.» Darüber hinaus habe sie nicht bloss Rezepte nachbacken, sondern ihre Nische schaffen wollen. Ihr Ziel ist eine eigene Backstube mit Geschäft, aber so weit ist es noch nicht: Stattdessen backt Maëlle Acakpo ihre Kuchen noch auf Vorbestellung. Spezialisiert hat sie sich auf gluten- und zuckerfreie Rezepte sowie auf heimische Mehlsorten: Statt importiertem Weizen verwendet sie überwiegend Mehl aus Maniok, der im tropischen Klima heimisch ist. Ergänzend verarbeitet Acakpo Mehl aus Fonio und Sorghum sowie aus Reis und Mais. Das richtige Verhältnis zu finden, sei anfangs schwierig gewesen. «Glutenfreie Mischungen benötigen mehr Flüssigkeit», erklärt die Konditorin, «und ich musste zuerst herausfinden, welche Mehlsorten ich kombinieren kann.»

Maëlle Acakpo backt für Kund:innen, die auf besondere Zutaten angewiesen sind, weil sie etwa eine Glutenunverträglichkeit oder Diabetes haben. Zucker ersetzt sie durch Randen, Bananen oder Stevia. Leidet ein:e Kund:in an Laktoseintoleranz, kommt Kokos- oder Sojamilch ins Rezept. Allergiker:innen sollten nicht mehr auf teure Spezialprodukte aus Europa angewiesen sein, sagt Acakpo. Insgesamt führe sie aber wenige Gespräche über ihre lokalen Zutaten: Solange sie keine gesundheitlichen Gründe dafür hätten, würden Beniner:innen sich bislang kaum für Inhaltsstoffe interessieren. «Einzig der Geschmack zählt», sagt Acakpo.

Der Schlüssel zur Wertschöpfung

Zurück im Geschäft von Blandine Montcho in Porto-Novo. In den gefliesten Räumen achtet die Inhaberin peinlich genau auf Sauberkeit und Qualität. Neben Sojaprodukten hat Montcho, die ihr Unternehmen vor bald zwanzig Jahren gegründet hat, auch Säfte aus Ingwer, Ananas und den Früchten des Baobabbaums im Angebot. Weil das Interesse an lokalen Mehlsorten steigt, lässt sie Maniokmehl herstellen. Sie nimmt einen Sack aus dem Regal, von dessen Inhalt sie ganz genau weiss, woher er stammt: «Wir arbeiten mit drei Frauengruppen in Kétou zusammen», sagt Montcho. Der Ort, gut hundert Kilometer nördlich im Landesinneren gelegen, ist Hauptanbaugebiet des Wurzelgemüses. Zwei verschiedene Produzenten würden die Knollen zu Mehl weiterverarbeiten.

Was Blandine Montcho in vielen Jahren aufgebaut hat, gilt als eine der grössten Herausforderungen bei der lokalen Nahrungsmittelproduktion: Trotz des umfangreichen Obst- und Gemüseanbaus gibt es in Benin kaum Möglichkeiten zur Weiterverarbeitung. Während der beiden jährlichen Mangosaisons verrotten die Früchte mitunter an den Bäumen. Denn ein Gewinn lässt sich mit deren Verkauf kaum erzielen. Was sich hingegen profitabel verkaufen lässt, sind Cashewnüsse: Benin ist Afrikas viertgrösster Produzent dieser eigenartigen Steinfrucht. Zuletzt wurden innerhalb eines Jahres gut 137 000 Tonnen davon geerntet – aber bloss 6,5 Prozent davon in Benin weiterverarbeitet. Der überwiegende Teil der Cashewernte wird unverarbeitet nach Indien exportiert.

Dabei wäre die Weiterverarbeitung ein Schlüssel, um einen grösseren Teil der Wertschöpfungskette im Land zu halten. Zwar steht Benin wirtschaftlich besser da als etwa das Nachbarland Togo oder die Sahelstaaten im Norden. Neben dem Export von Cashewnüssen und Baumwolle ist das Land in erster Linie von den Einnahmen des Hafens von Cotonou abhängig, des wichtigen regionalen Warenumschlagplatzes, der gemäss Eigenangaben bis zu sechzig Prozent des beninischen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet.

Politische Signale

Unabhängigkeit und bessere Lebensbedingungen für Kleinbäuer:innen: Das sind die Visionen, die Aimée Ogouma antreiben. In Cotonous wohlhabendem Stadtteil Fidjrossè hat die Expertin für Genossenschaftswirtschaft und Organisationsmanagement in einer Seitenstrasse das Geschäft Mark’Ethic aufgebaut. Im Lokal, das auch einen Coworking-Space anbietet, stehen Honig, Mehl, Crème, Joghurt und Tee in den Regalen, alles «made in Benin». Ihr Herzensprodukt sei der Honig, sagt Ogouma und holt mehrere Gläser hervor. Sie habe die Imker:innen selbst besucht und wisse, wo die verschiedenen Sorten hergestellt würden. Oft werde sie mit dem Vorurteil konfrontiert, dass lokale Produkte zu teuer seien – dabei gebe es dafür eine Lösung. «Es ist die Verpackung», erklärt Ogouma. Im Glas mit schönem Etikett kann sie für den Honig einen höheren Kilopreis verlangen, als wenn sie ihn in einer einfachen Plastikflasche verkauft. «Das Produkt ist das gleiche», sagt sie, «aber so schaffen wir es, verschiedene Zielgruppen zu erreichen.»

Die Hersteller:innen von Ogoumas Produkten gehören dem Netzwerk B’est (Solidarisches Handeln in Benin) an, dem seit 2007 mehr als achtzig lokale Unternehmen und über 2000 Akteur:innen im ländlichen Raum beigetreten sind. Die Ziele von B’est bestehen darin, unter ökologischen Bedingungen zu produzieren, Städte mit hochwertiger Nahrung zu beliefern, die Lebensbedingungen auf dem Land zu verbessern und verlässliche Absatzmärkte in Benin zu schaffen. Mark’Ethic fungiert zudem als Schnittstelle zwischen Produzentinnen und grösseren Kunden, etwa Restaurants. Mit überregionalem Erfolg: Couscous aus beninischer Fonio-Hirse findet beispielsweise in ganz Westafrika immer häufiger den Weg auf die Speisekarte.

Trotz der zahlreichen Initiativen bleiben die Herausforderungen riesig. Dass lokale Nahrungsmittel auf den Märkten im Preiswettbewerb einen schweren Stand haben, liege nicht zuletzt an den kleinen Mengen, die einzelne Hersteller:innen produzierten, sagt Blandine Montcho. Sie selbst füllt aktuell monatlich 400 bis 500 Einliterflaschen Sojamilch ab, dazu über 1000 Viertelliterflaschen. Gekauft werden diese meist für Schulkinder. «Würden wir aber generell grössere Mengen herstellen, könnten wir die Preise pro Flasche senken», sagt Montcho. Um die Produktherstellung zu verbessern, fehle es oft auch an technischem Wissen: So sei es ihr erst nicht gelungen, ihre Sojamilch ohne Konservierungsstoffe haltbar zu machen, weshalb sie nur einen Monat lang und im Kühlschrank aufbewahrt werden konnte. Heute hält die Milch ein Jahr lang, und zwar überall. Ein grosser Vorteil gegenüber Kuhmilch, die aus Europa eingeführt wird.

In den UEMOA-Staaten, also jenen frankofonen Ländern Westafrikas, die zusammen den Währungsraum des CFA (Franc de la Communauté Financière d’Afrique) bilden, wird einmal pro Jahr sogar Werbung für regionale Produkte gemacht: immer im Oktober, dem «Monat des lokalen Konsums». Die Regierungen veranstalten Messen und Kongresse, um den Kauf von Gütern aus westafrikanischer Produktion zu propagieren. Dann tauchen lokal hergestellte Tomatensaucen, Crèmes aus Sheabutter oder Plätzchen aus Maniokmehl eine Zeit lang auch in den Supermärkten auf – bevor sie anschliessend aber rasch wieder verschwinden.

Die Politik müsse mehr unternehmen, findet deshalb Sandra Idossou. Um den Wettbewerbsvorteil von Produkten zu schmälern, deren Herstellung und Export im Ausland teilweise sogar subventioniert werden, könnte die beninische Regierung deren Import zum Beispiel stärker besteuern, sagt die Unternehmerin. Zumindest bei Gütern, für die es lokale Alternativen gebe. Und endlich mit gutem Beispiel vorangehen: «Es gibt Länder, in denen die Politik das anders macht», sagt Idossou. In Ruanda etwa würden staatliche Stellen nur Möbel anschaffen, die vor Ort hergestellt würden. Ein Bewusstsein, das sie in Benin vermisst: «Ich frage mich, warum die Behörden den Vorteil des lokalen Konsums bisher nicht erkannt haben.»