Öl und Gas als Waffe: Täglich Hunderte Millionen für Putins Krieg

Nr. 11 –

Die riesigen Profite aus dem Öl- und Gasgeschäft sind oft mit Korruption, Diktatur und Krieg verbunden, wie das Beispiel Russland zeigt. Auch darum ist das fossile Zeitalter zu beenden.

Im vergangenen Monat sind so viele Bomben auf den Jemen gefallen wie seit vier Jahren nicht mehr. Mindestens 200 Luftangriffe flog die von Saudi-Arabien angeführte Kriegskoalition im Februar gegen die aufständischen Huthi-Milizen, wie die unabhängige Beobachtungsstelle Yemen Data Project ermittelt hat. Immer wieder verübt die saudische Luftwaffe dabei Kriegsverbrechen, indem sie Schulen, Spitäler oder auch Märkte ins Visier nimmt, wie die Organisation Ärzte ohne Grenzen schreibt.

Laut Angaben des Uno-Welternährungsprogramms sind seit 2015 rund 377 000 Menschen an den direkten oder indirekten Folgen des Kriegs gestorben. Der Jemenkrieg ist eine der grössten humanitären Katastrophen dieses Jahrhunderts. Er hat 15,6 Millionen Menschen in extreme Armut und weitere 8,6 Millionen in die Unterernährung getrieben.

Saudi-Arabien trägt zusammen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) sowie den lokalen jemenitischen Kriegsakteuren die Hauptverantwortung für das Leid der Zivilbevölkerung im Jemen. International ausgegrenzt wurden sie deswegen bislang nicht. Globale Konzerne tummeln sich in Riad und Abu Dhabi und machen ihre Geschäfte. Gerne kauft die Welt das Erdöl der beiden Staaten und hilft damit bei der Finanzierung des Jemenkriegs. Allen voran die USA, aber auch Grossbritannien, Frankreich, Deutschland und am Rand auch die Schweiz haben Saudi-Arabien und die VAE zudem mit Waffenverkäufen hochgerüstet.

Die Öl- und Gassucht

Vielleicht war es das Beispiel Saudi-Arabien, das den russischen Präsidenten Wladimir Putin zur Invasion in die Ukraine bewogen hat. Möglicherweise hat er geglaubt, er sei wegen der russischen Öl-, Gas- und Kohleexporte unangreifbar. Denn hinter Saudi-Arabien ist Russland der weltweit zweitgrösste Erdölproduzent sowie vor Katar der weltweit grösste Erdgasexporteur. Putin weiss um den Energiehunger des Westens, so wie Drogendealer:innen um die Abhängigkeit ihrer Konsument:innen wissen.

Doch Putin hat offenbar nicht einkalkuliert, dass sein verbrecherischer Angriffskrieg von der EU und der Nato als direkte Bedrohung empfunden wird. Die jetzt verkündeten Sanktionen treffen die russische Wirtschaft ins Mark. Doch sie zeigen auch: Die Abhängigkeit von russischem Öl und Gas ist zu gross, als dass der Westen einen Totalboykott beschliessen könnte. Zwar haben die USA und Grossbritannien vergangene Woche einen Importstopp angekündigt, doch die EU-Staaten konnten sich bisher nicht dazu durchringen.

Allein Deutschland, die grösste Volkswirtschaft der EU, bezieht 55 Prozent seines Gases, 52 Prozent der Kohle und 34 Prozent des Erdöls aus Russland. Wie konnte das Land bloss ein solches Klumpenrisiko eingehen? EU-Länder zahlen Russland täglich mehrere Hundert Millionen Euro für die Lieferung fossiler Energieträger – und finanzieren damit den Krieg gegen die Ukraine mit. Auch die Schweiz deckt rund vierzig Prozent ihres Erdgasbedarfs mit russischem Gas.

Eine breite Koalition von bislang 660 Umweltorganisationen und Aktivist:innengruppen aus rund sechzig Ländern fordert in einem Aufruf einen Stopp der «Fütterung von Putins Kriegsmaschine». Es sei völlig klar, dass die Energieimporte aus Russland den Krieg finanzierten und befeuerten. Deshalb sei die Abhängigkeit «schnellstmöglich» zu beenden.

Doch was heisst «schnellstmöglich», wenn die Abhängigkeit dermassen gross ist? Der grüne deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck hält es für möglich, dass Deutschland bis zum Sommer weg von russischer Kohle und bis zum nächsten Winter weg vom russischen Erdöl kommt. Grössere Schwierigkeiten sieht er dagegen beim Erdgas. Ein sofortiger Boykott Russlands würde in Deutschland zu Massenarbeitslosigkeit und Armut führen, wie er in Interviews ausführte.

Suche nach neuem Gas

Es rächt sich nun, dass die angeblich fortschrittlichsten und nachhaltigsten Industriestaaten der Welt die Energiewende viel zu langsam angegangen sind. Auch die jetzigen Verlautbarungen wirken so phrasenhaft wie zuvor. So sprechen Regierungsvertreter:innen der USA davon, die Anstrengungen beim Aufbau erneuerbarer Energiequellen «zu verdoppeln und zu verdreifachen». Und die EU zaubert ein Projekt mit dem Titel «REPowerEU» aus dem Hut, mit dem zwar die Produktion von Biogas angekurbelt werden soll, im Kern jedoch nur die Abhängigkeit beim Erdgas weg von Russland auf andere Länder verschoben wird. In der Schweiz schafft Umweltministerin Simonetta Sommaruga in einem Fernsehinterview gar das Kunststück, davon zu reden, dass die Schweiz weg von «dieser starken Auslandabhängigkeit» kommen müsse, und gleichzeitig den Bau mehrerer Gaskraftwerke «als Rückversicherung» zu propagieren.

Wo der Schwerpunkt in der Bewältigung der jetzigen Energiekrise liegt, zeigt sich in den laufenden diplomatischen Anstrengungen: So verhandeln derzeit etwa Italien und Deutschland mit Katar über Erdgaslieferungen. Da zum autokratischen Emirat keine Pipeline führt, kommt nur die Verschiffung von Flüssiggas (LNG) infrage. Doch in Deutschland fehlen die dafür nötigen Hafenanlagen.

Kommt der Deal zustande, begibt man sich bloss in neue Abhängigkeiten – und muss zudem Milliarden in die Transportkapazitäten für einen Energieträger investieren, der wegen seiner Klimaschädlichkeit längst ein Auslaufmodell sein sollte. Denn das Methan muss, damit es flüssig wird, mit grossem Energieaufwand auf unter minus 160 Grad gekühlt werden.

Erdöl aus allen Rohren

Die US-Regierung kümmert sich derweil um eine Ausweitung des nichtrussischen Erdölangebots: Für US-Präsident Joe Biden waren schon vor dem Krieg gegen die Ukraine die hohen Benzinpreise ein ernstes innenpolitisches Problem. Nun hat Biden in den letzten Wochen seine Bemühungen verstärkt, damit Saudi-Arabien und die VAE ihre Ölfördermenge erhöhen. Laut einem Bericht des «Wall Street Journal» versuchte er vor zwei Wochen, mit den Machthabern der beiden Staaten zu telefonieren – vergeblich. Die beiden Staaten sind auf Biden sehr schlecht zu sprechen, weil dieser die Unterstützung für ihren Jemenkrieg einstellte. Stattdessen telefonierten der saudische Kronprinz Muhammad bin Salman al-Saud und der Kronprinz von Abu Dhabi, Muhammad bin Zayid Al Nahyan, demonstrativ mit Wladimir Putin.

Inzwischen sollen die VAE gemäss US-Aussenminister Antony Blinken eingelenkt und die Ölförderung angekurbelt haben. Die Saudis dagegen schmollen weiter. Sie setzen Biden offensichtlich unter Druck, damit dieser neue Waffenlieferungen für den Jemenkrieg genehmigt und die jemenitischen Huthi-Rebellen erneut auf die Liste der Terrororganisationen setzt. Inzwischen wird spekuliert, dass Biden noch im Frühling nach Saudi-Arabien reisen wird. Er würde dort Muhammad bin Salman die Hand geben müssen, gegen den in den USA mehrere Gerichtsverfahren wegen der Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Kashoggi laufen.

Auch andere Erdölstaaten bearbeiten die USA, so das Bürgerkriegsland Libyen und das hoch korrupte Venezuela, das von den USA mit schweren Sanktionen belegt ist. Auf der Rechnung hat Biden zudem den Iran, der nach der Unterzeichnung eines neuen Atomabkommens ebenfalls wieder viel Öl auf den Weltmarkt bringen könnte. Von kanadischen Regierungsvertretern kommt derweil die Forderung, dass Biden den von ihm verfügten Baustopp der umstrittenen Ölpipeline Keystone XL zurücknimmt. Damit könnte mehr auf besonders umweltschädliche Weise gefördertes Öl aus den Teersandgebieten in Alberta in die US-Raffinerien gepumpt werden.

Von der heimischen Öl- und Gasindustrie, die sich vornehmlich mit Fracking befasst, muss sich Biden anhören, dass er den Wandel hin zu erneuerbaren Energien zu schnell eingeleitet habe. Man brauche jetzt Unterstützung durch die Regierung: Biden solle mehr Bohrlizenzen vergeben und kritischen Investor:innen versichern, dass sich Kredite für die fossile Industrie immer noch lohnen würden.

Wie weit sich EU und USA auf die Forderungen der Gas- und Ölstaaten sowie der privaten Energiekonzerne einlassen, ist derzeit noch offen. Doch klar ist, sie werden Konzessionen machen müssen. Der Krieg gegen die Ukraine verdeutlicht, wie abhängig auch die angeblich fortschrittlichsten Länder nach wie vor von den klimaschädigenden fossilen Energieträgern sind. Und welch grosse Mühe sie bekunden, sich aus der Abhängigkeit von fossiler Energie zu lösen.

Angesichts der Klimakatastrophe wäre es allerhöchste Zeit für eine fundamentale Abkehr von fossiler Energie. Doch stattdessen wird viel in fossile Ersatzlösungen investiert. Dabei könnte gerade jetzt das Momentum genutzt werden: für die gross angelegte Forcierung erneuerbarer Energien, eine Verkehrswende weg von Verbrennungsmotoren und für einen starken sozialen Ausgleich für einkommensschwache Haushalte.