Saudi-Arabien und sein Öl: Die riskanten Manöver des Kronprinzen

Nr. 41 –

Mit dem Entscheid der Opec, weniger Öl zu fördern, demonstriert Saudi-Arabien seine Macht. Paradoxerweise torpediert das Königreich damit auch die Energiewende. Doch der Effekt ist wohl nur kurzfristig.

 

Alle haben sie nach dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine den umstrittenen saudischen Kronprinzen Muhammad bin Salman getroffen. Der damalige britische Premier Boris Johnson reiste bereits im März nach Riad, US-Präsident Joe Biden besuchte bin Salman Mitte Juli, und zwei Wochen später empfing ihn der französische Staatspräsident Emmanuel Macron gar im Élysée-Palast. Schliesslich flog am 24. September auch noch der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz in den einflussreichsten Golfstaat, um bin Salman die Hand zu schütteln.

Der saudische Diktator, der Oppositionelle ins Gefängnis wirft oder auch hinrichten lässt, ist wieder ein gefragter Mann. Dass er mutmasslich die Ermordung des saudischen Journalisten und «Washington Post»-Kolumnisten Jamal Khashoggi 2018 in Istanbul in Auftrag gegeben hat, scheint vergessen. Dabei sagte Joe Biden 2020 im Wahlkampf um die US-Präsidentschaft noch, er werde dafür sorgen, dass Saudi-Arabien den Preis für die Ermordung zahle und zu einem Paria-Staat werde. Doch jetzt ist «Realpolitik» angesagt. Denn der Ölpreis ist nach Beginn des Kriegs gegen die Ukraine in die Höhe geschossen und hat wesentlich zur starken Inflation in vielen Ländern beigetragen.

Muhammad bin Salman lächelte seine Gesprächspartner in den vergangenen Monaten und Wochen artig an. Doch am 5. Oktober hat er ihnen den Stinkefinger gezeigt: Als starker Mann in der Organisation der erdölexportierenden Länder (Opec) setzte er an einer Sitzung mit Einbezug Russlands durch, dass die Fördermenge der beteiligten Staaten um zwei Millionen Fass pro Tag gesenkt wird. Die Folge: Der Ölpreis schoss in die Höhe. Das machte sich bei den Konsument:innen direkt bemerkbar: Im Autoland Deutschland etwa ist der Preis für einen Liter Diesel in Wochenfrist um elf Cent gestiegen, der Benzinpreis um rund fünf Cent. Damit wird die Inflation weiter angeheizt und der Unmut eines Teils der Bevölkerung angestachelt.

Russland als Profiteur

Dass die Opec in einer Zeit, in der der Ölpreis sowieso schon sehr hoch ist, die Fördermenge einschränkt, ist historisch einmalig. Mit diesem Schritt stellt sich die Opec und allen voran Saudi-Arabien klar hinter Russland und demonstriert seine Macht gegenüber dem Westen. Denn wenn weniger Öl auf den Markt kommt, steigen nicht nur die Preise – was allen Ölstaaten nützt –, sondern russisches Öl ist umso gefragter, trotz der Boykottmassnahmen westlicher Staaten.

Aus Klimasicht könnte man die jetzige Wendung feiern. Wenn der Ölpreis steigt, so beschleunigt das grundsätzlich den Prozess weg von der fossilen Energie hin zu klimafreundlichen Energien wie Wind- und Sonnenkraft. Zumindest kurzfristig zeigten sich allerdings schon kurz nach Ausbruch des Kriegs gegen die Ukraine auch gegenteilige Effekte: Aus Angst vor der Inflation liessen die Regierungen alte Kohlekraftwerke wieder hochfahren oder ermunterten die heimische Öl- und Gasindustrie, neue Bohrungen durchzuführen.

Die Saudis wissen: Ihr Staatshaushalt ist wie der russische fast vollständig von Öl- und Gaseinnahmen abhängig. Sie hoffen, dass die höheren Preise global zu neuen Investitionen in die Ölförderung führen und so die fossilen Strukturen festigen. Die Verringerung der Fördermenge ist also, so paradox es klingt, auch der Versuch, die Energiewende zu torpedieren.

Biden steht unter besonders grossem Druck. Am 8. November sind in den USA Parlamentswahlen. Die Republikaner:innen werfen ihm und den Demokrat:innen vor, sie hätten die heimische Frackingindustrie unnötig eingeschränkt und sich zu sehr auf die Energiewende fokussiert. Deshalb seien sie schuld an den hohen Energiepreisen. So gesehen, kann der Opec-Entscheid auch als Unterstützung der US-Rechten gedeutet werden.

Zeichen der Schwäche

Allerdings: Die jetzige Ankündigung ist wohl eher ein Zeichen der Schwäche. Denn die Saudis machen sich damit im Westen nur noch mehr Feinde. Dabei ist das Land existenziell von US-Waffenlieferungen abhängig. Auch der Aufbau einer eigenen Waffenindustrie ist ohne US-Hilfe unmöglich.

Die Saudis wissen, dass ihr Geschäftsmodell endlich ist. Bin Salman hat deshalb den saudischen Staatsfonds unter seine Fittiche genommen und kauft sich nun reihenweise in westliche Firmen ein. Um das Ziel, den Fonds mit zwei Billionen US-Dollar zu füllen, zu erreichen, braucht er aber noch jahrelang hohe Öleinnahmen. Ausserdem verfolgt er im eigenen Land irrwitzig teure Prestigeprojekte, die ausländische Investor:innen anziehen sollen. So will er mit 500 Milliarden US-Dollar die Zukunftsstadt Neom bauen lassen, auf einer Fläche annähernd so gross wie Belgien. Eine erste Bauphase soll bereits 2025 abgeschlossen sein. Gemäss Recherchen des «Economist» ist von den Bauarbeiten aber kaum etwas zu sehen. Dennoch will das asiatische Olympiakomitee 2029 die asiatischen Winterspiele in Neom austragen lassen.

Solche Projekte zeugen nicht von einer selbstbewussten Staatsführung, sondern vielmehr von einem Regime, das mit dem Rücken zur Wand steht und immer wahnsinnigere Projekte ausheckt, um nach Ende des fossilen Zeitalters nicht in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Die Machtdemonstration vom 5. Oktober ändert daran nichts.