Von oben herab: Hund beisst Mann

Nr. 13 –

Stefan Gärtner über die Schweizer Oligarchensuche

Es gab Zeiten, da war ich mir lieber: Ich, der aufrechte Kritiker und Kolumnist, immer auf der Seite von Wahrheit, Gerechtigkeit und vertretbarem Übergewicht. Heute klingt Kritik an der Kritik des Krieges wie seine Verteidigung, und ich bin der, der einem, dessen Haus in Trümmern liegt, sagt: Ja, aber die Kinder in Afrika! Und ich habe recht und unrecht zugleich, und klänge es nicht wie Hohn in den Ohren jener, die geflohen sind oder fliehen müssen, würde ich sagen: Es macht mich fertig.

Ob ich darum aber lieber Reporter beim Schweizer Fernsehen wäre, bei der Reportagesendung «Reporter» vielleicht? Wo sie sich jetzt aufgemacht haben, nach dem Geld eines russischen Oligarchen zu suchen, der auf der europäischen Sanktionsliste gelandet ist, einer Liste, die die Schweiz übernommen hat? Dann müsste ich in St. Moritz vor einer Villa stehen und klingeln, wobei ich natürlich hundert Pro wüsste, dass kein Oligarch aufmacht oder auch nur anwesend ist, es sind ja auch alle Fensterläden zu. Und der Hauswart, den ich anrufe, ist in Deutschland und hofft, dass er für diesen Monat noch Lohn erhält. Andrei Melnitschenko, geschätztes Vermögen: fünfzehn Milliarden Dollar, gehört nun mal nicht zu den Leuten, die sich vom Schweizer Investigativfernsehen aus dem Bett holen lassen, weil er nämlich mit den Leuten befreundet ist, die in Russland die Leute aus dem Bett holen lassen, und da versteht man es nicht nur, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, da kann man rasche Ortswechsel auch viel leichter und komfortabler bewerkstelligen als einen zwischen Mariupol und Berlin.

Der Oligarch ist jedenfalls, wie man so sagt, ausgeflogen, und überhaupt: «Die Eidgenossen hinken den EU-Sanktionen massiv hinterher», und es mag nicht am Platze sein, blöd zu fragen, aber wie hab ich mir das vorzustellen: Hinken sie massiv, oder sind sie massiv hintendran, oder sind sie massiv hintendran, weil sie so massiv hinken? Ein anderer massiv guter Satz im SRF-Film lautet jedenfalls: «Der Kanton Zug weiss von nichts.» Denn in Zug hat der Oligarch seinen Firmenhauptsitz, aber die Schweiz, wir haben es gehört, hinkt massiv hinterher und hat darum keine Ahnung, wo Melnitschenkos Geld aus dem Blitzverkauf der Anteile an seinen Schweizer Firmen geblieben ist. Die Kantone warten wohl auf Anweisung von oben, aber oben sagt, das ist eure Sache, und die Sanktionsbehörde Seco hat sich sowieso «für eine Meldepflicht und gegen eine Jagd auf Vermögenswerte entschieden» und überdies «eine kleine Taskforce eingerichtet». Sodass Kathrin Winzenried und Simon Christen resümieren müssen: «Das Rätsel um das Geld von Andrei Melnitschenko aus seinen Aktienverkäufen bleibt ungelöst. Die offizielle Schweiz interessiert sich nicht dafür.»

Vermutlich auch, weil die Russen etwa in St. Moritz «sehr wertschöpfungsintensiv» sind, wie die CEO der lokalen Tourismus AG so unvergesslich formuliert, und es zwar laut Finanzmaurermeister Ueli «von absolut zentralem Interesse» sein muss, «dass die Integrität des Finanzplatzes Schweiz gewährleistet ist», in puncto Finanzintegrität mit Balzac aber ohnehin gilt: «Hinter jedem grossen Vermögen steht ein Verbrechen.» Weshalb Silvia Affolter, früher Miss Schweiz, heute «Unternehmerin» (SRF) in St. Moritz, zu Kaffee und selbstgebackenem Kuchen die russische Frage servieren kann: «Wer ist dann als Nächster dran? Sinds vielleicht Saudis? Ists vielleicht die italienische Mafia? Wer bestimmt denn überhaupt, was das für Leute sind? Wer hat Blutgeld in der Hand?» … und kann sich jetzt freuen, dass «das Böse» («Süddeutsche Zeitung», 28. März) bis auf Weiteres von anderen vertreten wird?

Je schmutziger das Geld, desto Schweiz, und wenn man auf der Zeitungsschule lernt, «Hund beisst Mann» sei keine Meldung, dann waren Reporterin und Reporter vom SRF hier auf einer wirklich sauberen Fährte.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.

Sein Buch «Terrorsprache» ist im WOZ-Shop erhältlich unter www.woz.ch/shop/buecher.