Von oben herab: Ein Zuger fährt nach nirgendwo

Nr. 5 –

Stefan Gärtner über Daniel und die Detektive

Diese Kolumne ist ein so fester Bestandteil meines Lebens geworden, dass mich, kaum habe ich meine Unterlagen für die Steuererklärung versandfertig gemacht, der Fall Daniel Vasella erreicht. Der ehemalige Chef von Novartis, der während seiner Amtszeit bis zu 400 Millionen Franken verdient haben soll und wegen einer (letztlich ausgeschlagenen) Abfindung von 72 Millionen schon einmal in die Schlagzeilen gerauscht war, hatte seinen Erstwohnsitz in Monaco angemeldet, wo es weder Einkommens- noch Vermögenssteuer gibt. Die Zuger Steuerfahndung ermittelte dann, dass der Wasserverbrauch in Vasellas heimatlicher Villa sehr viel höher war als in der monegassischen Wohnung und die Haushälterin in Risch ZG für 200 Stutz im Monat Kaffeekapseln bestellte. Vorbei wars mit dem Steuervorteil, auch wenn Vasella natürlich vor Gericht zog. «Wie viel Steuern er nun zahlen musste, ist nicht öffentlich. Im Urteil wird von einer ‹äusserst hohen› Summe gesprochen» (NZZ).

Das liest man gern, und nicht mal bloss aus Schadenfreude. Zwar ist der bürgerliche Staat, wir Linke wissen das, in der Hauptsache eine Agentur des Kapitalinteresses, und «Steuerfahndung im Kanton Zug» klingt da wie ein Widerspruch in sich. Aber es gibt sie, die Fahndung, und ich glaube, sie hat grossen Spass an ihrer Arbeit, zumindest dann, wenn sich eine Steuervermeidungsunternehmung mit Methoden aushebeln lässt, wie sie auch Kalle Blomquist eingefallen wären. Ist die kriminelle Energie ein bisschen grösser, hat man es mit Offshore-Beteiligungen und Briefkastenfirmen zu tun, und da braucht es keinen Meisterdetektiv, sondern eine Geduld, die ins Übermenschliche reicht, falls künstliche Intelligenz da nicht bald rettend eingreift.

Daniel Vasella dagegen hat gedacht, er sei besonders schlau, hat sich aber besonders dumm angestellt oder jedenfalls so, als habe er das mit der Zuger Steuerfahndung wirklich für ein Oxymoron, also einen schwarzen Schimmel gehalten, und ein Staat, der eine Person 400 Millionen Franken verdienen lässt, handelt tatsächlich fast widersprüchlich, wenn er sies nicht behalten lässt. Weil Reichtum grosso modo machen kann, was er will, kommt es dem Staat aber auf den Nachweis an, das stimme gar nicht, wie sich der Staat, der die Bedingungen bereitstellt, unter denen Leute 400 Millionen Franken verdienen dürfen, ja auch finanzieren muss. Die Steuerfahndung repräsentiert nun den Staat als «sittliche Idee» (Hegel), die Steuervermeidung die unsittliche des Selbstbereicherungsprimats, wie er kapitalistische Wirtschaft, als Substrat des bürgerlichen Staates, allerdings antreibt. Die dialektische Beziehung, die Steuervermeidung und -fahndung miteinander unterhalten, ist also mehr als bloss eine von Räuber und Gendarmin: Sie ist die Idee des bürgerlichen Rechtsstaats selbst.

Dass ein Viertelmilliardär, dem es im Zuger Steuerparadies noch nicht paradiesisch genug war, sich von vermutlich nur durchschnittlich bezahlten Beamten und -beamtinnen beim Kaffeekapselkauf am falschen Ort erwischen lassen muss, ist zwar zum Lachen, aber nicht nur, und der Triumph der Zuger Steuerfahndung verdeckt den Skandal der lokalen Steuergesetzgebung. So wird Vasella vom öffentlichen Schurken zum stillen Helden, denn ohne Steuervermeidung keine Steuerfahndung, und ohne Steuerfahndung nicht der Eindruck, vorm Gesetz seien alle gleich.

Ein Lieblingsdreh bürgerlicher Presse ist ja der Hinweis, wir tricksten schliesslich alle, und es bestehe kein grundsätzlicher Unterschied zwischen einer ungenutzten Luxuswohnung in Monaco und der Behauptung, die vierzehn Stangen mit dem Kollegen seien ein «Arbeitsgespräch» gewesen. Der Unterschied besteht aber darin, dass die meisten froh sind, wenn es für ein paar Stangen und eine Wohnung in Mosogno oder Mötschwil reicht.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.

Sein Buch «Terrorsprache» ist im WOZ-Shop erhältlich unter www.woz.ch/shop.