Nach Spotify: Braucht der Pop einen Blockchain-Sozialismus?

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Es wird eine Musikindustrie nach Spotify geben. Aber wie lässt sich diese gerechter gestalten? Der Künstler und Forscher Mat Dryhurst hofft auf Blockchaintechnologien, die neue Formen von Mitbestimmung und Eigentum versprechen.

Bandcamp geniesst abseits des Mainstreams schon lange grosse Beliebtheit, doch in letzter Zeit wurde der Musikdienst mit Zuneigung geradezu überhäuft. In grossen Tageszeitungen erschienen wohlwollende Porträts, und wegen der fairen Bedingungen, die Künstler:innen dort geniessen, nannte die «Los Angeles Times» Bandcamp ein «Anti-Spotify». Der Anlass: Im Frühling 2020 hatte die Firma aus Oakland, Kalifornien, «Bandcamp Fridays» eingeführt, monatliche Zeitfenster von 24 Stunden, während derer sämtliche Einnahmen an die Künstler:innen flossen, um diese in der konzertfreien Zeit zu unterstützen. Ausserhalb solcher Tage erhält eine Band im Schnitt über achtzig Prozent der Einnahmen, wenn sie ihre Musik als Download oder Tonträger über Bandcamp verkauft.

So kamen düstere Ahnungen auf, als neulich eine Nachricht grosse Teile der Musikwelt aufschreckte: Der Game-Entwickler Epic Games, durch sein Erfolgsspiel «Fortnite» zu einem der grössten Player in der Videospielindustrie aufgestiegen, übernimmt Bandcamp. Könnten die fairen Bedingungen bald Geschichte sein? Wird der chinesische Internetkonzern Tencent, der vierzig Prozent an Epic hält, ein Abomodell für Bandcamp forcieren? Oder könnte die Bandcamp-Community durch die Übernahme umgekehrt sogar neue Hörer:innen gewinnen? Das sind bisher bloss Spekulationen. Bandcamp-Gründer und CEO Ethan Diamond hat versichert, die beliebten Dienste würden nicht verschwinden.

Fragiles Ökosystem

Misst man die Plattform an den Umsätzen von Spotify oder den drei Majorlabels Universal, Warner und Sony, ist Bandcamp ein ökonomischer Zwerg. Doch für unzählige Musikszenen, die ausserhalb der grossen Geldflüsse überleben müssen, ist der digitale Plattenladen seit der Gründung 2007 zu einer wichtigen Einnahmequelle geworden. Neben dem hohen Anteil an den Einnahmen garantiert Bandcamp den Künstler:innen vor allem viel Autonomie: Sie können bestimmen, wie und zu welchem Preis sie ihre Musik anbieten, und über die Seite zudem Merchandise verkaufen und mit ihren Fans in Kontakt treten. Die individuell gestalteten Profile der Bands und der Labels sind Archive, aber auch digitale Räume für Communitys.

Doch dieses Ökosystem, das Künstler:innen auf Bandcamp aufgebaut haben, hängt letztlich von den Entscheidungen einer Firmenleitung ab. Utopische Perspektiven für die Musikindustrie müssen also genau bei diesem Problem ansetzen: Wenn die Künstler:innen bei Plattformen keine Mitbestimmung haben und es keine verbindlichen Strukturen gibt, ist tatsächliche Autonomie nicht möglich. Diese Forderung führt unweigerlich auch zur Frage nach den Besitzverhältnissen.

Hoffen dezentrale Netzwerke

Vor diesem Hintergrund ist auch der Schritt von Neil Young Ende Januar zu sehen, seine Musik von Spotify entfernen zu lassen. Als arrivierter Künstler kann Young es sich nicht nur leisten, auf dem marktführenden Dienst nicht vertreten zu sein, er dürfte von der medienwirksamen Aktion sogar profitieren. Young hat sein riesiges Archiv, zu dem neben gut vierzig Studioalben diverse Bootlegs und Livealben gehören, längst auf einer eigenen Website angesiedelt, wo man für einen Abobetrag uneingeschränkten Zugang in – das ist ihm heilig – hoher Audioqualität erhält. Mit diesen Abos allein verdient Young bereits 600 000 Dollar pro Jahr. Der Wert seines Archivs ermöglicht ihm also einen Grad an Autonomie, von dem die meisten Musiker:innen nur träumen können.

Einer, der nach zukunftsgerichteten Auswegen aus der ausbeuterischen Realität der Streamingökonomie sucht, ist der Künstler und Forscher Mat Dryhurst. In Texten und Vorträgen sowie im Podcast «Interdependence», den er mit seiner Partnerin Holly Herndon betreibt, beschäftigt er sich unaufhörlich mit dem Verhältnis von kreativer Arbeit und Technologie. Dryhurst hält es für wenig zielführend, ethischere Alternativen zu Spotify aufzubauen. «Das Problem ist das unlimitierte Streaming an sich – beziehungsweise das zugrunde liegende Prinzip, dass alle Musik auf dieselbe Weise, also durch die Anzahl Streams, validiert wird. Wenn wir wollen, dass die Arbeit hinter einer Musikaufnahme angemessen bezahlt wird, brauchen wir verschiedene, von den Künstler:innen bestimmte Modelle, mit denen sie den Zugang zu ihrer Musik regulieren können.»

Bandcamp fördert bei den Hörer:innen zwar die Gewohnheit, für Musik zu bezahlen, zugleich aber hält Dryhurst das Modell, Musikdateien wie in einem Plattenladen anzubieten, für anachronistisch. «Ich glaube, dass wir in Zukunft viel umfangreicher und auf viel interessantere Arten für Musik bezahlen werden, als wir das heute tun.» Möglichkeiten dazu sieht Dryhurst in den dezentralen Netzwerken, die auf der Blockchaintechnologie basieren, auch zusammengefasst unter «Web3». Der Begriff bündelt die Hoffnung, in einer kommenden Evolutionsstufe des Internets könnte die heute bei wenigen Konzernen und ihren Plattformen gebündelte Macht von unten aufgebrochen werden. Als Beispiele für die neuen Möglichkeiten nennt Dryhurst transnationale digitale Genossenschaften wie etwa den fairen Streamingdienst «resonate.is»; Publikationen, die den Autor:innen gehören; NFTs, in Codes festgeschriebene Urheberrechte; oder sogenannte Smart Contracts, also automatisierte digitale Verträge, die eine faire Entlöhnung in unterschiedlichen Kontexten in einem unveränderbaren Code festschreiben.

Politische Leerstellen

Solche Tools und Netzwerke befinden sich noch ganz am Anfang, sie werden erst in Nischen genutzt, oder ihre Bedienung setzt noch zu viel technisches Know-how voraus. Doch Dryhurst ist überzeugt, dass sich das bald ändern wird. «Diese Dinge werden in ein paar Jahren schon viel weniger abstrakt klingen.»

In den Techkreisen, in denen solche Ideen euphorisch diskutiert werden, wird auch immer wieder betont, dass die technischen Möglichkeiten von Web3 alleine nicht die Lösung seien. So hat etwa Austin Robey, Gründer der gemeinschaftlich organisierten Musikplattform «ampled.com», argumentiert, sogenannte Dezentralisierte Autonome Organisationen (DAO), die auf der Blockchain basieren, müssten durch genossenschaftliche Strukturen ergänzt werden. Während DAO kühne technologische Experimente ermöglichen, stünden Genossenschaften in Verbindung mit einer politischen Tradition und erforderten Debatten über das Selbstverständnis einer Organisation.

Bedeutsam ist der Widerstand gegen Spotify, den etwa die Union of Musicians and Allied Workers organisiert, auch darum, weil er eine Antwort auf die politischen Leerstellen der aktuellen Techwelt ist. Egal wie erfolgversprechend dieser Kampf gegen die Übermacht des Konzerns letztlich sein wird: Er kann in jedem Fall eine Basis für politische Strukturen sein, die sich ausserhalb des digitalen Raums mobilisieren lassen. Musiker:innen waren schon immer auf vielfältige Gemeinschaften wie Labels, Kollektive, Clubs oder Festivals angewiesen, um Raum für Kreativität zu haben. Nun gilt es, diese Gemeinschaften wieder zu stärken und damit der notwendigen Vereinzelung durch die Plattformökonomie entgegenzuwirken.

Siehe auch weiteren Artikel zum Thema: «Spotify: Der Markt bin ich»