Kost und Logis: Was zieht die Kuh da durchs Feld?
Bettina Dyttrich gratuliert ihrem Lieblingsarchiv
Hunde ziehen Wägelchen. Auf jedem steht eine Milchkanne. Und neben jedem rennt ein Bub. Ein rasantes Spektakel, bis vor ein paar Jahrzehnten in Schweizer Dörfern alltäglich: Hunde schützten nicht nur Höfe und Herden, sie waren auch Zugtiere. Und die Kinder, die sie begleiteten, hatten – zumindest in dieser Aufnahme – offensichtlich Spass daran. «Arbeit ist also zutiefst ambivalent: Sie kann ein Mittel zur Entfremdung sein, aber auch eine Chance zur Ermächtigung», sagt die Stimme im Off.
Nur gut sieben Minuten dauert «Arbeitende Tiere. Akteure der Modernisierung sichtbar machen», der erste Videoessay des Berner Archivs für Agrargeschichte (Afa). Der kurze Film sagt viel über das Afa aus – vom marxistisch anmutenden Schlusssatz bis zum Titel, der die Erwartungen des Publikums gezielt unterläuft: Wieso «Akteure der Modernisierung»? Das Arbeitstier war im Industriezeitalter doch eine aussterbende Spezies? Dass das so eben nicht stimmt, zeigt der Film. Was zieht diese Kuh da durch die Pflanzen? Was sind das überhaupt für Pflanzen? Warum fuchtelt dieses Kind mit einem Stecken neben dem Pferd herum? Zu merken, wie stark solches Wissen von praktischer Erfahrung abhängt, hilft gegen die weitverbreitete, arrogante Annahme, bäuerliche Gesellschaften seien «einfach» gewesen. Filmaufnahmen helfen auch deshalb weiter, weil sie Dinge zeigen, über die kaum jemand schrieb. «Die Hunde hatten wir anfangs nicht so auf dem Radar», sagte Afa-Mitarbeiter Andreas Wigger am Podium zum 20. Geburtstag des Archivs. Auf sie seien sie wegen der vielen Bildquellen aufmerksam geworden.
Als ich mich Mitte der nuller Jahre als Journalistin in die Agrarpolitik einarbeitete, war mir das Afa eine unschätzbare Hilfe. Und trieb mich manchmal fast zur Verzweiflung: Statt über das Bundesamt für Landwirtschaft zu schimpfen, wie ich es von Biobäuerinnen gewohnt war, redete Afa-Leiter Peter Moser lieber darüber, warum die Agronomen in diesem Amt so geworden waren. Statt Schuldige zu suchen, analysierte er Energieflüsse. Auch dank dieses widerspenstigen Archivs lernte ich, wie komplex die Interaktion zwischen Menschen und anderen Lebewesen ist, an deren Ende das Essen steht.
Immer wenn Welternährung zum Thema wird, interessieren sich die Medien fürs Afa. Und sind zuweilen irritiert – wie 2008 während der sogenannten Hungerkrise, als Moser der «Berner Zeitung» sagte, künftig würden wir uns wieder mit Lebensmittelknappheit beschäftigen müssen, auch in der Schweiz. Vierzehn Jahre später wird zum Glück wieder breiter als auch schon über Ernährungspolitik diskutiert. Der Glaube, alles sei immer auf dem Weltmarkt erhältlich, wankt spätestens seit Corona.
Moser fasste den Weltzugang des Archivs in seiner Einführung zum Videoessay schön zusammen: «Es gibt Leute, die sind empört, wenn sie diese Filme sehen. Es gibt Leute, die sind begeistert. Wir sind interessiert.»
Bettina Dyttrich ist WOZ-Redaktorin. Der Videoessay «Arbeitende Tiere» ist auf Englisch und Deutsch zugänglich auf www.ruralfilms.eu/video-essays.