1. Mai in Zürich: Drei Nazis auf dem Kran

Nr. 18 –

Eine kurze Geschichte über Rassismus, die Polizei und einen stillen Helden der Arbeit.

Dann stecken die drei Neonazis in der Falle. Am Morgen des 1. Mai, bevor sich in Zürich die Demo in Bewegung setzt, haben sie hoch oben an einem Baukran auf dem Helvetiaplatz ein Transparent befestigt: «Denkst du global, dienst du dem Kapital! Sichere Grenzen, sichere Zukunft.»

Als die Männer hinunterklettern wollen, werden sie entdeckt. Sie haben bei ihrer Aktion offensichtlich die Zeit falsch kalkuliert. Unter dem Kran versammeln sich immer mehr Demonstrant:innen. «Alerta, alerta, antifascista!», schallt es aus der Menge. Die Neonazis, mittlerweile in der Hälfte des Mastes angekommen, kriegen es mit der Angst zu tun. Sie klettern wieder hinauf und bringen sich bei der Führerkabine in Sicherheit.

Gekleistertes Weltbild

Auch wenn sie ab und zu stolz winken, ist ihre Situation nüchtern betrachtet misslich. Unten warten Demonstrierende, die wegen der Provokation aufgebracht sind – und die Verhaftung durch die Polizei. Diese hat sich, am 1. Mai stets zu Diensten, ebenfalls unter dem Kran eingefunden. So stehen sich nun alle gegenüber. Oder genauer: über- und untereinander.

Von Szenekenner:innen sind die Neonazis rasch als Mitglieder der Jungen Tat identifiziert, derzeit die bekannteste rechtsextreme, gewalttätige Gruppierung in der Schweiz. Für Erheiterung sorgt ein Rucksack, der beim Kran gefunden wird. Was packt ein Neonazi ein, bevor er in die Höhe klettert? Bananen – und Bücher!

Genauer: «Solidarischer Patriotismus. Die soziale Frage von rechts» von Benedikt Kaiser, der sich für eine Querfront starkmacht (gemäss dem AfD-Rechtsextremen Björn Höcke eines der wichtigsten Bücher 2020). «Was ist Nationalismus?» von Dominique Venner, lieferbar von Orell Füssli bis Amazon. (Der Autor nahm sich in der Notre-Dame das Leben, um vor der angeblichen «Überfremdung» Frankreichs zu warnen.) Schliesslich «Wohlstand ohne Wachstum. Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt» von Tim Jackson. (Mit dem Ökonomen erschien ein Gespräch im letzten WOZ-Magazin «wobei».)

Aus den Büchern lässt sich, wenn man das dritte falsch versteht, bestimmt ein ökofaschistisches Weltbild zusammenkleistern – bloss eben, zum Lesen bleibt den Neonazis keine Zeit. Sie sind noch immer oben auf dem Kran und die Bücher unten in den Händen der Demonstrierenden. Diese wollen sich aber nicht länger provozieren lassen und ziehen weiter.

Es schlägt die Stunde der Polizei. Sie fordert die Neonazis auf, mit dem Transparent herunterzusteigen. Bloss trauen die sich wohl nicht mehr auf den Ausleger hinaus, an dem es hängt, und steigen ohne Tuch hinunter. Die Polizei tut alles für eine angenehme Ankunft. Um die Sicht auf die Neonazis zu versperren, werden sogar die Kastenwagen umparkiert. Man solle doch bitte etwas Respekt zeigen, die Privatsphäre wahren, nicht fotografieren. Ganz anders bei der Nachdemo später am Tag: Dort werden Teilnehmer:innen vor laufenden Kameras verhaftet.

Respekt, Respekt

Wer aber holt das Transparent herunter? Ein Mitglied der Unia, Kranführer von Beruf, erklärt sich bereit. Zweimal verspricht die Polizei der Gewerkschaft, dass sie ihr das Transparent überlasse. Sie lügt dabei glatt: Als der Kranführer wieder unten ist, wird das Corpus Delicti beschlagnahmt. Einfach sei sein Einsatz nicht gewesen, meint der Kranführer mit Migrationsgeschichte, der seinen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will. Da oben in fünfzig Metern Höhe sei es gerade ziemlich windig.

Und die Moral von der Geschichte? Von wegen «Sichere Grenzen, sichere Zukunft», wie es auf dem Transparent heisst: Die Migrant:innen in der Schweiz bauen nicht nur die Strassen und Häuser. Am Ende räumen sie auch noch den Gedankenschrott weg.