Konzerne gegen NGOs: «Sie wollen, dass wir sie in Ruhe lassen»

Nr. 18 –

Schweizer Nichtregierungsorganisationen sehen sich immer öfter mit Klagen konfrontiert. Unternehmen versuchen so, kritische Berichterstattung zu verhindern – und wissen die Schweizer Politik auf ihrer Seite. Nun bündelt sich der Widerstand.

Kritische Worte unerwünscht: Die Tessiner Goldraffinerie Valcambi SA ist nur eine der Firmen, die Medien mit Klagen drohen. Foto: Stefan Wermuth, Getty

Sie decken auf, wenn Unternehmen Böden vergiften, Menschenrechte missachten oder Rohstoffe aus problematischen Quellen importieren und verarbeiten. Seit einigen Jahren aber wird die Arbeit von investigativ tätigen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) auch in der Schweiz immer schwieriger. Der Grund dafür sind Klagen von Firmen, Vermögenden und Politiker:innen gegen NGOs wie auch gegen Journalist:innen. Vielfach handelt es sich um strategische Klagen, die nicht effektive Fehler bemängeln, sondern einzig dazu dienen, Berichterstattung und Transparenz zu verhindern. Solche Klagen werden als Slapp (Strategic Lawsuits against Public Participation) bezeichnet.

«Wir merkten vor einigen Jahren, dass wir immer häufiger mit Klagen konfrontiert sind», sagt Chantal Peyer von der NGO Brot für alle, die vor kurzem im Hilfswerk Heks aufging. Um die Dimensionen von Slapp in der Schweiz zu erfassen, startete Peyer eine Umfrage bei elf Schweizer NGOs. Die Auswertung, die der WOZ vorliegt, zeigt: Die Zahl der Klagedrohungen hat sich im letzten Jahrzehnt verachtfacht. Mehr als die Hälfte der Organisationen war in den letzten drei Jahren mit mindestens einem Slapp konfrontiert.

Existenzielle Gefahr für NGOs

Eine davon ist Swissaid. Die NGO hat 2020 eine Goldstudie publiziert, die Kontrollmängel bei der Goldeinfuhr und der Überwachung der Raffinerien aufzeigt. Sie schrieb zudem, dass die Tessiner Goldraffinerie Valcambi SA «jedes Jahr grosse Mengen von Gold direkt von einem Unternehmen erwirbt, das wegen seiner illegalen Goldlieferungen angeprangert wird». Kurz nach Veröffentlichung der Studie hat die Raffinerie Zivilklage gegen Swissaid und eine Strafanzeige gegen den Swissaid-Rechercheur Marc Ummel eingereicht. Auf die Anfrage bei Valcambi SA antwortet ein Zürcher PR-Büro, die Berichte von Swissaid und anderen Organisationen würden «viele Falschbehauptungen aufstellen». Wie WOZ-Recherchen zeigen, hat Valcambi kürzlich auch Public Eye verklagt. Für Ummel von Swissaid ist klar: «Sie wollen, dass wir sie in Ruhe lassen. Denn die Goldimporte aus Dubai in die Schweiz sind noch immer auf einem hohen Level.»

Bei Public Eye sind allein im letzten halben Jahr drei Klagedrohungen eingegangen, wie das Geschäftsleitungsmitglied Angela Mattli sagt. «Leider sind Klagedrohungen die neue Realität.» Als grössere NGO, die sich auf investigative Recherchen spezialisiert hat, sei Public Eye darauf vorbereitet. «Doch für kleinere NGOs sind die Drohungen und Klagen eine extreme Belastung.» Sie binden Ressourcen und kosten viel Geld – bei einer Niederlage vor Gericht sind kleinere NGOs gar in ihrer Existenz bedroht. Mattli beobachtet, dass sich NGOs deshalb oft zwei Mal überlegen, wie weit sie in ihren Recherchen gehen können.

Die Europäische Union hat die Probleme erkannt, die Slapp verursachen. Eine Studie des EU-Parlaments kam zum Schluss, dass finanzkräftige Konzerne und Personen das «grosse Machtungleichgewicht» ausnutzen – und Slapp regelmässig anwenden. Das stelle unter anderem eine «signifikante Gefahr für die Meinungsfreiheit» und die politische Diskussionskultur dar. Die EU-Kommission hat reagiert und letzte Woche neue gesetzliche Bestimmungen vorgestellt, die auch von NGO-Verbänden gelobt werden. So soll die Beweislast künftig in manchen Fällen bei der klagenden Partei liegen. Zudem sollen Gerichte offensichtlich unberechtigte Klagen frühzeitig ablehnen können. Noch muss das neue Gesetz mehrere Hürden nehmen – und wird auch dann nur für länderübergreifende Klagen innerhalb der EU gelten. Gleichwohl ist die EU damit viel weiter als die Schweiz.

Zwar prüft das Bundesamt für Kommunikation nach eigenen Angaben, Anti-Slapp-Massnahmen im Medienbereich einzuführen. Doch ausserhalb dieses Bereichs ist dem Bund «kein entsprechendes Projekt bekannt». In der Schweiz gibt es gar Gesetzesbestimmungen, die selbst wie Slapp wirken. So sieht das 2015 verschärfte Bankengesetz für manche investigativen Recherchen in der Finanzbranche mehrjährige Gefängnisstrafen vor. Die Uno hat dies vor wenigen Tagen harsch kritisiert. «Obwohl die Schweiz ein zentraler Finanz- und Handelsplatz ist, werden der investigativen Arbeit grosse Hürden in den Weg gestellt», sagt Mattli dazu.

Sich gemeinsam gegen Klagen rüsten

Die Situation droht sich weiter zu verschlechtern. Anfang kommender Woche stimmt der Nationalrat über eine Vorlage ab, die es erleichtern würde, superprovisorische Massnahmen gegen Medien und NGOs zu erwirken. Der Vorschlag der Mitte-Partei hat im Ständerat bereits eine Mehrheit gefunden. Ein weiterer Vorstoss verlangt, dass Richter:innen an Wochenenden Pikettdienst schieben sollen, damit unliebsame Berichte rund um die Uhr gestoppt werden können.

Doch es regt sich Widerstand. Am Erscheinungstag dieser WOZ treffen sich NGO-Mitarbeiter:innen und Medienschaffende auf Einladung des Bruno-Manser-Fonds in Zürich zu einer Tagung. Gemeinsam wollen sie sich besser gegen Klagen rüsten – und die Öffentlichkeit für das Thema sensibilisieren. Denn eines ist für Marc Ummel klar: «Wir machen weiterhin unsere Arbeit und werden die Öffentlichkeit auch künftig über allfällige Missstände informieren.»