Pressefreiheit: Inseln, Pässe und eine Staatskrise
Ein neuer Bericht des Europaparlaments kritisiert Einschüchterungsversuche eines Zürcher Passhändlers. Seine Kanzlei droht Medienschaffenden mit Prozessen, wenn sie deren Berichterstattung stört. Auch in der Schweiz haben Zeitungen Artikel gelöscht, nachdem die Firma interveniert hatte.
An der Klosbachstrasse im Zürcher Quartier Hottingen residiert die internationale Kanzlei Henley & Partners. Die Firma, die sich auf den Handel mit Pässen (etwa mit maltesischen) spezialisiert hat, taucht in einem kürzlich veröffentlichten Bericht des Europaparlaments auf.
Alarmiert durch den Mord an der maltesischen Investigativjournalistin Daphne Caruana Galizia, die am 16. Oktober 2017 durch eine Autobombe getötet wurde, publizierten Mitte Januar sieben EU-ParlamentarierInnen einen «Mission Report»: Darin kritisieren sie unter anderem Einschüchterungsversuche von Henley & Partners gegenüber JournalistInnen. Diese Praxis nennt sich Slapp (strategic lawsuit against public participation, strategische Klage gegen die Beteiligung an öffentlichen Entscheidungen) und beschreibt, wie öffentliche Kritik aus dem Weg geräumt wird. Das Europaparlament fordert jetzt Massnahmen gegen missbräuchliche Rechtsklagen, die Medienschaffende mundtot machen. Deshalb behandelt das Parlament in Malta demnächst den Entwurf für ein Gesetz, das JournalistInnen besser vor internationalen Klagedrohungen schützen soll.
Auch in der Schweiz nahm Henley & Partners Einfluss auf die Berichterstattung. Recherchen der WOZ zeigen: Sowohl die «Handelszeitung» wie auch die Westschweizer Zeitung «Le Temps» haben Artikel über Christian Kälin, den CEO von Henley & Partners, und den maltesischen Passhandel aus dem Netz entfernt, nachdem Henley & Partners interveniert hatte. Gegenüber der WOZ wollen sich die Chefredaktoren beider Zeitungen dazu nicht äussern. Henley & Partners schreibt auf Anfrage dazu, dass die zwei Zeitungen suggeriert hätten, ihre Firma sei in den «tragischen Tod» von Daphne Caruana Galizia involviert gewesen, und dass sie deshalb die Art und Weise der Berichterstattung nicht hätten nachvollziehen können: «Wie andere Beratungsfirmen auch leben wir von unserem guten Ruf und der Qualität unserer Dienstleistungen und können es nicht zulassen, durch ungerechtfertigte Anschuldigungen diskriminiert zu werden.»
Slapp sei für den Investigativjournalismus ein Problem, sagt Joy Hyvarinen von der britischen Nichtregierungsorganisation Index on Censorship, die sich weltweit gegen Zensur und für die Pressefreiheit einsetzt: «Sich rechtlich gegen solche Einschüchterungsversuche zu wehren, ist extrem teuer. Kritische Stimmen werden so zum Schweigen gebracht. Und oft erfährt die Öffentlichkeit davon nichts, weil JournalistInnen andernfalls mit weiteren Klagen gedroht wird.»
Mit der Ankündigung rechtlicher Schritte vonseiten Henley & Partners konfrontiert wurde zunächst «The Shift», eine unabhängige Rechercheplattform in Malta. Die JournalistInnen berichteten unter anderem über die Ermordung von Daphne Caruana Galizia. Dabei schrieb «The Shift» auch über den Konflikt zwischen Caruana Galizia und Henley & Partners. Die Kanzlei hatte wiederholt rechtliche Schritte gegen die Journalistin in Britannien angekündigt. Auf die Berichte von «The Shift» reagierte die Kanzlei umgehend, wies jegliche Verwicklung in das Tötungsdelikt von sich und kündigte wiederum rechtliche Schritte an, sollte die Redaktion den Artikel nicht freiwillig zurückziehen. «The Shift» löschte den Beitrag nicht. Stattdessen publizierten die JournalistInnen im Dezember 2017 das Schreiben von Henley & Partners.
Auf Anfrage der WOZ schreibt Henley & Partners: «Der erwähnte EU-Report bezieht sich mit der Erwähnung unserer Firma ausschliesslich auf die Vorwürfe im Zusammenhang mit der leider tragisch verstorbenen Frau Daphne Caruana Galizia. Wir distanzieren uns klar von der Praxis des Strategic Lawsuit Against Public Participation.» Und weiter: «Unsere Handlungsschritte sollten in keiner Weise den investigativen Journalismus oder die Pressefreiheit gefährden, sondern lediglich bewiesene Falschaussagen zum Schutz unseres guten Rufes redigieren.»
Steile Karriere
Der Zürcher Christian Kälin ist nicht nur Chef von Henley & Partners, sondern auch Generalkonsul des karibischen Inselstaats St. Kitts und Nevis. Er organisiert Pässe für Superreiche und hat diverse Nationalitäten im Angebot. Damit können Vermögende ihre Steuern «optimieren», wie es im Jargon heisst. Im Steuerdschungel kennt sich Henley & Partners bestens aus. Die Holdinggesellschaft der Firma ist auf der Kanalinsel Jersey domiziliert. Die Kanzlei hat Ableger in 27 Ländern und gehört zu den Marktführern im Passhandel.
Kälin arbeitet seit seiner Studienzeit bei Henley & Partners. Schnell stieg er im Unternehmen auf und spezialisierte sich auf den Handel mit Staatsbürgerschaften. Er bezeichnet sich selbst als Pionier in diesem Bereich. An der Universität Zürich schrieb er eine 500-seitige Dissertation zum Thema «Citizenship by Investment». Er publizierte weitere Bücher und liess für das Handbuch «Switzerland Business & Investment Handbook» das Vorwort von Bundesrat und Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann schreiben.
Die letzte grosse Konferenz von Henley & Partners fand vor rund zwei Monaten in Hongkong statt. Im Fünfsternhotel Marriott gaben sich gleich drei Premierminister die Ehre, unter ihnen Joseph Muscat aus Malta. Er regiert das Land seit 2013 und baut das Passprogramm mithilfe von Henley & Partners auf; mit Kälin ist er per Du. Die Pässe der Mittelmeerinsel Malta sind beliebt, vor allem bei russischen Oligarchen. Denn im Schengen-Raum können die Superreichen mit dem purpurroten maltesischen Pass visafrei von Monaco nach St. Moritz reisen.
Wer in Malta einen Pass erwerben will, muss zwingend über Henley & Partners gehen; die Kanzlei hat mit der Regierung eine Exklusivpartnerschaft. Stattliche vier Prozent Kommission erhält Kälins Firma auf alle verkauften Staatsanleihen in Malta, die die PassbewerberInnen für 150 000 Euro erstehen müssen – neben dem Erwerb von Immobilien ab einem Wert von 350 000 Euro und einer Einzahlung in den Staatsfonds von 650 000 Euro.
Recherchen schlagen hohe Wellen
2016 erhielten rund 2000 Personen die maltesische Staatsbürgerschaft. Auf der veröffentlichten Liste befinden sich zahlreiche illustre Namen. Ein Topmanager der russischen Ölfirma Petroneft gehört ebenso dazu wie ein milliardenschwerer Medienmogul aus Saudi-Arabien. Internationale Organisationen wie die OECD beobachten den Verkauf von Staatsbürgerschaften kritisch. Von der WOZ angefragt, sagt der OECD-Steuerchef Pascal Saint-Amans: «Diese Programme sind problematisch, denn sie erleichtern es, die Tür zum Steuerbetrug aufzustossen.»
Die Journalistin Caruana Galizia gehörte zu den schärfsten KritikerInnen des Passhandels. Sie ging davon aus, dass damit die Korruption gefördert werde und Steuerflüchtlinge angezogen würden. In ihrem viel beachteten Blog deckte sie im Zusammenhang mit den Panama Papers auf, dass Angehörige hoher Regierungsmitglieder in Malta über Offshore-Konten in Panama verfügten. Prominenteste Person: die Ehefrau von Premierminister Muscat. Wofür diese Offshore-Konten benutzt werden, ist bislang ungeklärt. Die Journalistin stellte eine Verbindung zum Passhandel her. Ihre Recherchen schlugen in Malta hohe Wellen. Die öffentliche Zustimmung zur Regierung Muscats sank. Muscat wählte die Flucht nach vorn und rief im Mai 2017 vorgezogene Neuwahlen aus.
Als der Oppositionsführer ankündigte, bei einem Wahlsieg dem Passhandel den Riegel zu schieben, schien Henley & Partners nervös zu werden. Einen Monat vor dem Wahltermin am 3. Juni 2017 eskalierte der Konflikt zwischen Kälin und Daphne Caruana Galizia. Als Kälin ihr in einem E-Mail rechtliche Schritte in Britannien ankündigte, wenn sie gewisse Blogeinträge nicht umschreiben sollte, antwortete sie: «Malta ist nicht St. Kitts und Nevis. Dort können Sie sich wie ein Kolonialist aufführen, gegen die Presse vorgehen und legitime Kritik unterdrücken, aber hier geht das nicht.» Die vorgezogenen Wahlen erwiesen sich für die Regierung als erfolgreich: Muscat blieb an der Macht.
Trotz internationaler Kritik setzt Maltas Premierminister weiterhin auf den Passhandel. Zusammen mit seinem Stabschef zeigt er vollen Einsatz: Auf zahlreichen Roadshows von Henley & Partners gehen sie gemeinsam auf Kundenfang. Der nächste grosse Event: Im Frühling lädt die Firma zusammen mit der maltesischen Regierung zu einem «klassischen Abend» mit Konzert und Galadinner in London ein.
Ausgerechnet am 11. Januar 2018, am Tag, als der Mission Report über Slapp erschien, registrierte sich Henley & Partners im EU-Transparenzregister und deklarierte dort einen Lobbybeitrag von jährlich mindestens 200 000 Euro.
Das Business mit Staatsbürgerschaften
Christian Kälin, CEO der Kanzlei Henley & Partners, sitzt auch im Verwaltungsrat des Investment Migration Council (IMC). Die Lobbyorganisation wurde 2014 unter anderen von Henley & Partners in Genf gegründet und versteht sich als weltweit tätige Assoziation für «Investor Migration» und «Citizenship-by-Investment». Ihr Beirat besteht aus namhaften Personen aus Forschung, Wirtschaft und Politik. Eine UBS-Beraterin für hochvermögende PrivatkundInnen ist ebenso dabei wie der ehemalige Aussenminister von Malta oder Christian Joppke, Soziologieprofessor an der Universität Bern, zu dessen Forschungsschwerpunkten Einwanderungs- und Integrationspolitik sowie Religion, Staatsbürgerschaft und Multikulturalismus zählen. Präsident des IMC ist Dimitry Kochenov, Rechtsprofessor in den Niederlanden mit Spezialgebiet EU-Recht und ausserdem Berater von Henley & Partners. Er hat in Malta zusammen mit der Regierung an der Reform des Staatsbürgerschaftsgesetzes gearbeitet.
Dieser Tage hat die IMC die Eröffnung eines weiteren Büros in der Karibik angekündigt.