Anaïs Meier: Einen Fuss aus dem See fischen
Warum nennt man Banker eigentlich so, wo die doch gar nichts mit Bänken zu tun haben, diese notorischen Anzugträger? Gerhard nennt sie drum lieber «Anzügler», das passt besser. Auch sonst hat er einen eigenwilligen Umgang mit Wörtern. Er macht sie gern länger als nötig, zum Beispiel, wenn ihm etwas «ins Augenlicht gestochen» ist oder wenn er sich aus einem Plastiksack einen «Helmschutz» bastelt. Oder wenn er am Ufer mit einem «Stockast» hantiert. Damit will Gerhard einen Fuss aus dem See fischen, denn als Kommissär weiss er genau: Wo ein Fuss, da wird auch eine Leiche sein.
Literarische Figuren leben von der Sprache, aus der sie gebaut sind, und Anaïs Meier hat hier eine Wahnsinnsfigur erschaffen, die zu Beginn buchstäblich im Schilf steht. Wie ihr Gerhard so vor sich hin palavert, entfährt ihm immer wieder Denkwürdiges: «Mit einem Fuss draussen weiss man nicht, wo man steht!» Direkt ein Aphorismus, aber einer wie Gerhard hängt das nicht an die grosse Kirchenglocke.
Kommissär ist er allerdings nur von eigenen Gnaden, dieser angeblich weit gereiste Stadtindianer. Er lebt von der Sozialhilfe, in seiner «Alleinigkeit» hat er sich so leidlich eingerichtet. Seine einzige Seelenverwandte: eine Ente, von der er sich bei seinen Ermittlungen so manches flüstern lässt. Öfter läuft er auf oder ins Leere, aber mit «unfähigen Instanzen wie der Polizei» will er auf keinen Fall verwechselt werden. Denen stürzt ja dauernd das Betriebssystem ab! Aber dann stürzt auch Gerhard ab, nachdem er einer Securitas-Frau nähergekommen ist, als es für ihn zum Aushalten war.
Bodenlos traurig und wahnsinnig lustig, nur leider zu kurz: «Mit einem Fuss draussen» ist ein präzis verplaudertes Romandebüt, in einem Sound, als hätte man Wolf Haas mit Lara Stoll gekreuzt. Oder wie Gerhard wohl sagen würde: zusammen über das Kreuz gelegt.
Anaïs Meier liest in Solothurn am Freitag, 27. Mai 2022, um 14.30 Uhr, und am Sonntag, 29. Mai 2022, um 12 Uhr.
Anaïs Meier: Mit einem Fuss draussen. Voland & Quist. Berlin, Dresden 2021. 128 Seiten. 28 Franken