Elternzeit: Vater und Mutter im Entwicklungsland

Nr. 20 –

Zürich stimmte darüber ab, als erster Schweizer Kanton eine Elternzeit einzuführen. Nun aber waren nur gut 35 Prozent der Stimmenden dafür. Warum? Und was nun?

Eine solche Klatsche war nicht zu erwarten gewesen: Fast zwei Drittel der Stimmenden im Kanton Zürich sagten am vergangenen Wochenende Nein zu einer paritätischen Elternzeit. Zweimal 18 Wochen – verglichen mit dem Status quo ein fast schon revolutionärer Sprung. Aber im internationalen Vergleich? Immer noch ein kleinmütiges Herantasten an die Realitäten des 21. Jahrhunderts. Die Hälfte aller OECD-Staaten hat eine Elternzeit von mindestens 43 Wochen. Im Vergleich dazu ist die Schweiz mit 14 Wochen Mutterschutz und 2 Wochen Vaterschaftsurlaub ein familien- und gleichstellungspolitisches Entwicklungsland.

Vor einem Jahr schon klemmte der Nationalrat einen ähnlichen Vorschlag wie jenen in Zürich vorzeitig ab. Im Herbst wurden eine kantonale Initiative und der moderatere Gegenvorschlag der Mitte-Partei (14 Wochen für beide Elternteile) vom Kantonsrat abgewiesen; selbst die sich gesellschaftsliberal gebende GLP-Fraktion wollte nicht einmal den Gegenvorschlag mittragen. Ihre Begründung: Eine solche Lösung sei nur auf nationaler Ebene sinnvoll.

Vielerlei Gründe

Und jetzt also 65 Prozent Nein – was bedeutet, dass die federführende SP, Grüne und AL kaum über ihre eigenen Wähler:innenanteile hinauskamen. Obwohl eine Umfrage des Instituts Leewas Ende 2021 noch zum Schluss gekommen sein wollte, dass die Vorlage mehrheitsfähig sei: Selbst 62 Prozent der Männer, 61 Prozent der ländlichen Bevölkerung, 56 Prozent der über 65-Jährigen und fast 50  Prozent der SVP-Klientel wären demnach für eine Elternzeit gewesen.

Irgendetwas muss bei dieser Umfrage falsch gelaufen sein. Oder hat es auch damit zu tun, dass die direkte Demokratie gerade auch in einem Kanton wie Zürich die demografische Realität nicht annähernd abbildet? Viele angehende oder aktuelle Eltern ohne Schweizer Pass durften ja in dieser zentralen Frage des Zusammenlebens nicht mitbestimmen. Und kann es sein, dass die Stimmbeteiligung bei den unter Dreissigjährigen auch in dieser Frage noch kleiner war als die eh schon sehr tiefe Gesamtstimmbeteiligung? Ganz sicher eine Rolle spielte, dass neben SVP und FDP sowohl die Mitte-Partei wie auch EVP und GLP die Vorlage nicht mittragen wollten.

Das deutliche Nein trübt die Hoffnung, dass in absehbarer Zeit eine moderate Elternzeit auf nationaler Ebene eingeführt werden könnte. Diese Einschätzung teilt auch Min Li Marti, SP-Nationalrätin und Mitglied des Initiativkomitees: «Die Idee in Zürich war ja, als Pionierkanton voranzugehen – auf dass andere Kantone nachziehen würden.» Doch was im Kanton Zürich etwa bei der registrierten Partnerschaft geklappt hat und bald darauf auch bundesweit eingeführt wurde, ist bei der Elternzeit fürs Erste gescheitert.

Gerade bei gleichstellungs- und sozialpolitischen Vorlagen braucht es hierzulande oft mehrere Anläufe. Gespannt darf man sein, wie die Elternzeitinitiative im Kanton Bern in spätestens zwei Jahren bei der Stimmbevölkerung ankommen wird – umso mehr, als es sich dabei um eine noch grosszügigere Version handelt (24 Wochen zusätzlich zu den 14 Wochen Mutterschutz und 2 Wochen Vaterschaftsurlaub, wobei 12 Wochen frei aufteilbar wären). Auch in den Kantonen Genf und Waadt sind verschiedene Elternzeitmodelle in parlamentarischer Behandlung.

Verkannte Vorteile

Die wichtigste Lehre, die Min Li Marti aus der Niederlage in Zürich zieht: «Die nächsten Vorlagen müssen breiter abgestützt sein – bis weit über Mitte-Links hinaus und auch in Teile der Wirtschaft hinein.» Marti bezieht das auch auf eine nationale Initiative, die bis jetzt aufgrund von Differenzen innerhalb des linksfeministischen Lagers noch immer nicht lancierbereit ist (siehe WOZ Nr. 42/2021 ). Als positives Beispiel einer breiten Allianz nennt sie den Mutterschutz, «der auch erst mit einem Deal mit einem Teil der Wirtschaft erreicht wurde». Eine solche Allianz sei aber wohl erst möglich, wenn sich der Fachkräftemangel noch dramatischer zuspitzen werde: «Antizipieren war noch nie eine Qualität in der Schweizer Politik.»

In Bundesbern arbeitet man derweil immerhin an einem Ausbau der Krippensubventionen, weg von der befristeten Anschub- hin zu einer langfristigen Finanzierung. Die Bildungskommission des Nationalrats brütet über einem entsprechenden Gesetz, das demnächst in die Vernehmlassung gehen soll. Der Bundesrat wiederum hat den Auftrag, einen Bericht über Vor- und Nachteile verschiedener Elternzeitmodelle zu erstellen.

Als ob neben den gleichstellungspolitischen nicht längst auch die volkswirtschaftlichen Vorteile bewiesen wären. Studien aus verschiedenen Ländern zeigen: Eine Elternzeit erhöht nicht nur die Erwerbsquote von Frauen und lindert den Fachkräftemangel; sie wirkt sich auch positiv auf Produktivität, Umsatz und die Zufriedenheit in Unternehmen aus, senkt die Personalfluktuation und zahlt sich dadurch für Unternehmen auch finanziell aus. Modellrechnungen der EU kommen zudem zum Schluss, dass nur schon eine Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit um ein Prozent Steuereinnahmen generiert, die die Kosten von 18 bis 20 Wochen Elternzeit kompensieren können. Die bisherige Ablehnung der bürgerlichen Parteien kann von daher als nichts anderes als eine ideologische Verblendung interpretiert werden.