Polen : Ein weiterer Vertrauensbruch

Nr. 24 –

In Polen sind Abtreibungen nur in absoluten Ausnahmefällen erlaubt. Nun will die Regierung alle Schwangerschaften in einem zentralen Register abspeichern. Linke befürchten ein neues Überwachungsinstrument der rechtsnationalen Regierung.

Kurz vor Pfingsten unterschrieb der polnische Gesundheitsminister Adam Niedzielski eine umstrittene Verordnung. Sie sieht eine Erweiterung der Liste von Patient:innendaten vor, die bei einem Arztbesuch erfasst werden. Neu soll die Datenbank beispielsweise auch Allergien umfassen. Und Schwangerschaften.

Der Aufschrei liess nicht lange auf sich warten. So warnt die Opposition vor staatlicher Überwachung und spricht von einem «Schwangerschaftsregister». Mit der Verordnung werde die Politik des Frauenhasses der polnischen Regierung fortgesetzt, sagte etwa Kamila Gasiuk-Pihowicz von der grössten Oppositionspartei, der liberalen Bürgerplattform (PO), vergangene Woche.

Wirklich nur Panikmache?

Der Begriff «Schwangerschaftsregister», der auch hierzulande durch die Medien geisterte, ist dabei nicht ganz richtig. In einem «normalen Land» sei das Speichern solcher Daten eine normale Sache, so die Abgeordnete Agnieszka Dziemianowicz-Bak vom linken Parteienbündnis Lewica. In Polen aber, wo nahezu ein Abtreibungsverbot gilt, «geht es um die Kontrolle über Frauen». Dziemianowicz-Bak betonte weiter, dass Frauen in Polen vor allem Vertrauen, eine gute medizinische Versorgung und Rückhalt bräuchten, stattdessen würden sie noch mehr kontrolliert: «Wenn eine Frau eine Fehlgeburt erleidet oder im Ausland einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lässt, dann wird sie Angst haben, dass sie von der Staatsanwaltschaft gejagt wird.»

Familienministerin Marlena Malag von der rechtskonservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) führt hingegen medizinische Gründe für die Speicherung der Gesundheitsdaten an: «Diese Dokumentation kennen nur die Ärzte, nur sie haben Zugriff auf diese sensiblen Daten. Wenn wir die Polen gut behandeln wollen, dann brauchen wir ein solches Register.»

Was Malag verschweigt: Mit einem Gerichtsbeschluss kann auch die polnische Staatsanwaltschaft auf das Register zugreifen. Dennoch warnt Kamila Ferenc von der Frauenrechtsorganisation Federa vor «Panikmache». Sie erwarte nicht, dass Frauen nun massenhaft verfolgt und von der Staatsanwaltschaft einbestellt werden, nur weil sie schwanger waren und es dann nicht mehr sind, sagte Ferenc gegenüber der deutschen «Tagesschau». Sie versuche eher, Frauen zu beruhigen: «Panik zu verbreiten, dass alle Polinnen von der Staatsanwaltschaft überwacht werden, ist meiner Meinung nach eine rhetorische Übertreibung» – und die könne dazu führen, dass Polinnen überhaupt nicht mehr zur Gynäkologin gehen würden, was noch schlimmer wäre.

Die Debatte um die Erfassung von Patient:innendaten zeigt auf jeden Fall deutlich auf, wie gering das Vertrauen vieler Polinnen gegenüber der Regierung ist – und das zu Recht. Mittels einer kaum verschleierten Salamitaktik beschneidet die PiS-Regierung seit Jahren kontinuierlich die Selbstbestimmungsrechte von Frauen. Ein vorläufiger Tiefpunkt dieser Entwicklung schien Ende 2020 erreicht. Damals kam eine Gesetzesänderung durch, die Abtreibungen nur noch in äussersten Notfällen, etwa bei Inzest, erlaubt. Tausende Pol:innen und Unterstützer:innen weltweit protestierten mit Slogans wie «Ihr zwingt uns, tote Kinder zu gebären» gegen das Gesetz. Genützt hat es nichts.

Bestraft werden die Helfer:innen

Mit der Einführung eines fast vollständigen Abtreibungsverbots per Januar 2021 kam die Stunde von europaweit agierenden Organisationen wie Abortion without Borders oder Cioca Basia. Sie gewährleisten Polinnen Abtreibungen im Ausland mittels Spenden und bieten dabei logistische und psychische Unterstützung an. Hunderte, wenn nicht Tausende von Frauen aus Polen, aber beispielsweise auch aus Malta griffen in den letzten Jahren auf solche Angebote zurück.

Die Erweiterung des Gesundheitsregisters scheint dieser Praxis nun einen Riegel schieben zu wollen: Expert:innen und Aktivist:innen vermuten, dass mithilfe des Registers festgestellt werden soll, welche Frauen ihre Schwangerschaft im Ausland oder privat, etwa mittels im Internet bestellter Abtreibungspillen, abgebrochen haben.

Direkte rechtliche Folgen hat der Registereintrag für die Betroffenen selbst vorerst keine, denn bestraft werden gemäss der polnischen Gesetzgebung nicht die Frauen, die eine Abtreibung durchführen, sondern diejenigen Personen, die sie dabei unterstützen – also Ärztinnen und Ärzte, aber auch Organisationen wie Abortions without Borders. Der Verdacht liegt nahe, dass es vor allem darum geht, solche aktivistischen Kollektive weiter einzuschüchtern und ihre Arbeit zu erschweren.

Ganz direkte Folgen hat die zunehmende Regulierung weiblicher Körper derweil schon lange: In den letzten Monaten starben mindestens zwei Frauen in polnischen Krankenhäusern, nachdem Ärzt:innen aus Angst vor den rechtlichen Folgen die Entfernung schwer erkrankter Föten verzögert hatten. Die Dunkelziffer privater Tragödien dürfte um ein Vielfaches höher sein.