Schöne neue Mitte: Links blinken, rechts abbiegen
Gerhard Pfister mag es, über die grossen Linien seiner Politik zu dozieren. «Ab wann wird Neutralität unanständig?», fragte der Präsident der Mitte-Partei kürzlich mit Blick auf die Rolle der Schweiz im Krieg gegen die Ukraine. In der «NZZ am Sonntag» sinnierte er über eine sozialere Marktwirtschaft, um sich Tage später über die Lobbymandate von Parlamentsmitgliedern im Gesundheitswesen zu empören. Er scheint die Moral entdeckt zu haben.
Erstaunlich, hat er doch als Zuger seit Jahren das Schweizer Rohstoffgeschäft verteidigt, mit dessen Hilfe Wladimir Putin nun seinen Krieg finanziert. Mitte-Fraktionschef Philipp Bregy und Ständerat Beat Rieder, die gemeinsam eine Anwaltskanzlei führen, kämpften 2021 an vorderster Front erfolgreich gegen die Ausweitung des Geldwäschereigesetzes auf Anwält:innen – die selbst SVP-Finanzminister Ueli Maurer dringlich forderte.
Genau deshalb ist es jetzt so schwierig, Vermögen sanktionierter Oligarchen zu finden. Wer als Anwält:in hilft, Geld eines Oligarchen zu verstecken, untersteht weiterhin dem Anwaltsgeheimnis. Als Pfister 2020 im Dokumentarfilm «Der Ast, auf dem ich sitze» mit Kritik gegen das Zuger Rohstoffgeschäft konfrontiert wurde, zeigte er keine Einsicht: Es sei nicht Aufgabe von Politikern, «eine bestimmte Moralvorstellung politisch umzusetzen».
Pfisters verbaler Aktivismus: Er ist vor allem eine Flucht nach vorn.
Sicher, wer seine eigene Meinung ändern kann, zeigt Grösse. Pfister blinkt jedoch lediglich links, um dann rechts abzubiegen. Nachdem er seit Wochen Härte gegenüber Putin gefordert hatte, stimmte seine Fraktion im Nationalrat zusammen mit FDP und SVP gegen eine Taskforce zur Suche von sanktionierten Oligarchengeldern, wie sie etwa die EU eingesetzt hat und sie von Expert:innen dringlich gefordert wird.
Mit Kritik konfrontiert, behauptete die Mitte-Fraktion, die von der SP eingereichte Motion habe Oligarchen am Rechtsstaat vorbei enteignen wollen. Eine plumpe Ausrede: In einem Nebensatz stand, dass eine solche Taskforce Gelder «gegebenenfalls» auch einziehen könnte. Doch das war lediglich ein Hinweis auf entsprechende Forderungen der USA – und garantiert kein Auftrag an den Bundesrat. Zumindest hat sich die Mitte-Partei inzwischen im Ständerat bereit erklärt, das Anliegen in der Parlamentskommission zu beraten.
Auch auf Pfisters Lob für die soziale Marktwirtschaft folgten keine Taten. Seine Fraktion fährt bei der Reform der Altersvorsorge einen harten Rechtskurs. Den Kompromiss von Arbeitgeberverband und Gewerkschaften zerriss sie in der Luft. Stattdessen übernahm sie im Nationalrat den Plan der Banken und der Versicherer, mit dem das Milliardengeschäft mit den Renten ausgebaut würde.
Die im Kompromiss enthaltene Zusatzrente von 200 Franken für alle, mit der die Rentensenkungen der letzten Jahre kompensiert würden, sollen nicht einmal die Hälfte der Versicherten erhalten. Im Ständerat hat die Debatte erst am Mittwoch begonnen, doch auch hier sprachen sich die Redner:innen der Mitte-Partei weitgehend für dieses Modell aus – womit sie gar FDPler wie Damian Müller rechts überholten, der diesen Plan als unsolidarisch ablehnt.
Mit diesem Modell würden auch viele Frauen, die in der Altersvorsorge benachteiligt sind, leer ausgehen. Das hinderte die Mitte-Fraktion nicht, zum Frauenstreik diese Lex UBS per Communiqué als Erfolg für die Frauen zu verkaufen.
Auch bei Pfisters Lobbyschelte gehen Anspruch und Wirklichkeit auseinander. Führender Kopf bei der Altersvorsorge in der Mitte-Partei ist Ruth Humbel, die als Kopräsidentin der parlamentarischen Gruppe des Pensionskassenverbands (Asip) amtet. Die Geschäfte der Gruppe führt Asip-Direktor Hanspeter Konrad persönlich. Keine Fraktion vertritt zudem so viele Krankenkassen wie die Mitte. Wie die «SonntagsZeitung» bemerkte, legte Pfister in der Ratsdebatte sein Mandat bei Comparis nicht offen – obwohl er den anderen Parteien genau solch ein Verhalten vorgeworfen hatte.
Ob Pfister nur Wähler:innen ködern will oder seine Worte glaubt, aber seine Fraktion nicht im Griff hat: Das weiss bloss er. Besonders glaubwürdig wirkt diese Politik aber nicht.