Rüstungsbranche: Höchste Tödlichkeit, nette Atmosphäre

Nr. 26 –

Spielzeugpanzer, Algorithmen, Bilder mit russischen Panzerwracks: Vier Monate nach dem Beginn des Krieges Russlands gegen die Ukraine offenbart sich die grösste Rüstungsmesse der Welt als eine Parallelgesellschaft. Die WOZ war eine Woche lang auf Rundgängen.

  • Stand des südkoreanischen Rüstungskonzerns Hanwha Defense
    Auf der Eurosatory-Messe kann man neben Waffensystemen auch viele absurde Visualisierungen bestaunen: Stand des südkoreanischen Rüstungskonzerns Hanwha Defense.
  • Freiherr Philipp von Brandenstein präsentiert den Kampfpanzer KF 51 Panther
    Von der Operation Libero zu Rheinmetall gewechselt: Freiherr Philipp von Brandenstein präsentiert den Kampfpanzer KF 51 Panther.
  • Kasachische Militärs betrachten eine Präsentation des französischen Rüstungskonzerns Arquus
    Kasachische Militärs betrachten eine Präsentation des französischen Rüstungskonzerns Arquus.
  • Präsentation eines Gewehrs am Stand der Firma SIG Sauer
    Mittlerweile ein US-Konzern: Stand der Firma SIG Sauer.
  • Livepräsentation der französischen Landstreitkräfte mit schwerem Kriegsgerät
    Täglich gibt es Livepräsentationen. Hier zeigen sich die französischen Landstreitkräfte.
  • ein Mitarbeiter am Messestand des südkoreanischen Munitionsherstellers Poongsan Corporation
    Das ganze Sortiment: Ein Mitarbeiter des südkoreanischen Munitionsherstellers Poongsan Corporation.
  • Besucher im Pavillon von ­Rheinmetall
    Plauderei vor ­martialischem Hintergrund: Im Pavillon von ­Rheinmetall.

«Tschsch – tschumm … Tschsch – tschumm …», macht die Munitionsmaschine. Doch hier befüllt sie keine leeren Hülsen mit Treibladung. Das «Tschsch – tschumm» ist vor allem Taktgeber, Metronom für Zithern und Ziehharmonika. Der türkische Munitionshersteller Atesci setzt auf Livemusik. Begleitet vom «Tschsch – tschumm», spielen die Musiker:innen mit so entrücktem Gesichtsausdruck, als würden sie Tourist:innen auf dem Montmartre unterhalten. Zu ihrem Repertoire auf der grössten Rüstungsmesse der Welt gehört «La vie en rose».

57 000 Menschen, vor allem Männer, besuchen die Eurosatory 2022 im Norden von Paris. Nur «professionelle Besucher:innen», etwa Vertreter:innen von Thinktanks, Polizei- oder Armeekorps, sind willkommen. Auch 700 Journalist:innen sind hier, viele von Spezialmagazinen wie «Small Arms Review». Die 1800 Aussteller suchen aber vor allem den Austausch mit den Delegierten von über neunzig Ländern, die auf Einkaufstour sind. Im Start-up-Sektor finden die Aussteller kaum Platz an ihren Ständen, selbst wenn das Personal nur aus zwei Leuten besteht. Andere Pavillons dagegen sind mehrstöckig, so gross wie Einfamilienhäuser. Meist einen Platz zum Durchatmen findet man in den Zuschauerrängen der Podien, wo Branchenbefindlichkeiten und Geopolitik verhandelt werden.

Das Schaulaufen der «Verteidigungsindustrie», wie sie sich nennt, löst kaum Widerstand aus. Einzig am Montagmorgen stehen zwei ältere Pazifist:innen mit einem Transparent vor dem Eingang. Samantha Piatt, Sprecherin des mittlerweile US-amerikanischen Gewehrbauers SIG Sauer, hat einen «Live Free or Die»-Sticker auf dem Laptop und sagt uns: «Wir fühlen uns hier sicher, sehr sicher.» In der Schlange beim Einlass kursieren hingegen Witze, dass man problemlos eine Ingram-Maschinenpistole reinschmuggeln könnte. Tatsächlich wird an einer Station die Tasche kontrolliert und erst Hunderte Meter weiter der Körper abgetastet.

«Alle haben gute Laune»

Vor vier Jahren besuchte die rechtsextreme Marine Le Pen die Eurosatory; dieses Mal kommt Staatspräsident Emmanuel Macron. Warum er hier ist, scheint offensichtlich. «Wir haben einen Krieg an den Toren Europas», sagt Ausstellungsdirektor Charles Beaudouin an der Pressekonferenz. Bis zum Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine hätten Firmen aus Russland kommen wollen. «Wir waren mit einem Team in Moskau.» Doch nun sei die Messe so «europäisch» wie nie zuvor: Die Zahl der Stände aus Skandinavien und aus den baltischen Staaten habe sich vervielfacht. Diese Europäer:innen stellen aber nicht nur aus. «Sie kaufen auch.» Jetzt, da die Rüstungsetats steigen, seien die Delegationen unter Beschaffungsdruck. Das fordere auch die Aussteller.

An vielen Ständen hören wir, dass das Ziel der «Verteidigungsindustrie» der Schutz von Soldat:innen sei. Ähnlich oft kommt die Aussage, dass es nicht die Technik sei, die töte – sondern die Menschen, die diese nutzten. Zohar Barabie vom israelischen Elektronikunternehmen Redler Technologies sagt: «Alle Länder sind hier zusammen, sprechen miteinander, arbeiten zusammen, tauschen Informationen, lachen, schütteln sich die Hand. Alle haben gute Laune. Es kommt nicht darauf an, von wo du kommst: Die Welt kommt zusammen.» Ausser Russland, oder? Barabie nickt.

Beim Pavillon Lettlands steht in grossen Buchstaben «#WeStandWithUkraine», und nur ein paar Meter weiter, beim ukrainischen, laufen Bilder zerstörter russischer Panzer in Dauerschleife. Daneben hat der US-Rüstungskonzern Lockheed Martin seinen Auftritt. Dieser ist mit einer Visualisierung der Pariser Innenstadt unter einem Raketenschild dekoriert. Weil das ein echtes Projekt ist? «Nein, einfach weil wir in Paris sind», sagt ein Mitarbeiter. An einem weniger attraktiven Standort stellt die West Kazakhstan Machine-Building Company ihr einziges Produkt aus: ein stationäres Maschinengewehr. Laut Katalog zeigt es, «beginnend mit dem Afghanistankonflikt und bis heute», seine «hohen Schiess- und Einsatzqualitäten». Seit 45 Jahren ist es «in mehr als vierzig Ländern um die Welt» in Betrieb. Nicht nur in der Ukraine und in Russland, sondern auch in Nordkorea, wie man aus dem ehrlichen Katalog erfährt. Die Eurosatory bietet aber auch ein Escape-Room-Abenteuer, ein Spiel mit ferngesteuerten Panzern und einen Wettbewerb, bei dem es Lego-Star-Wars-Sets zu gewinnen gibt.

Der Krieg in der Ukraine schafft eine spezielle, aber auch banale Gleichzeitigkeit. Am einen Stand, im einen Gespräch, im einen Leben ist der Krieg präsent – am nächsten Stand wird er verdrängt. Vor vier Jahren stellten noch mehr russische Unternehmen als ukrainische aus; jetzt bilden sich Menschentrauben um den Grossbildschirm, auf dem Szenen der Zerstörung russischer Panzer gezeigt werden.

Dass sich Tabakfirmen mit allen Mitteln wehren, wenn man die zerstörerischen Folgen ihrer Produkte zeigt, ist nachvollziehbar. Dass sich die «Verteidigungsindustrie» wehrt, wenn man zerstörerische Folgen ihrer Produkte zeigt, scheint überraschender. Denn Kriegsgerät bezweckt ja Zerstörung: kaputtes Kriegsgerät. Doch zumindest Hanspeter Fäh ärgert sich darüber. «Ob das jetzt der Ukrainerstand ist oder sonst wer: Ich finde es nicht richtig, dass man mit diesen Bildern Werbung macht», sagt der Unternehmer, der weltweit die Pavillons vieler Schweizer «Verteidigungsunternehmen» an Rüstungsmessen organisiert.

Er sei mit Angriffswaffen generell nicht einverstanden. Gleichzeitig betont Fäh, dass Krieg ein menschliches Kontinuum sei. Solange man sich «am Dorfbrunnen» diskriminierend beleidige, gebe es ihn. «Wir hatten seit jeher irgendwo auf der Welt Krieg. Aber man hats ignoriert.» In der Schweiz, in Europa. Nun, wo der Krieg nah sei, erinnere man sich, «dass nicht alles so schlecht ist an einer Rüstungsindustrie, nicht alles so miserabel an einer Armee». Man brauche sie halt. «Weil der Mensch von Natur aus nicht fähig ist, Frieden zu haben.»

«Eine total menschenschützende Sache»

Zuvor habe man die Rüstungsindustrie während dreissig Jahren «geprügelt». Luftschutzkeller etwa seien lange «des Schweizers Stolz» gewesen – sobald aber die Firma, die die Bunkerlüftungstechnik produziert, «nur einen Schritt ausserhalb der Grenzen» mache, gelte sie «als Bunkerbauer, Diktatorenretter». Dabei seien deren Filteranlagen «eine total menschenschützende Sache». Wen sie schützten, müsse man unparteiisch betrachten: «Es steht mir doch nicht zu, zu entscheiden, ob das ein guter oder ein schlechter Mensch ist.» Wegen der langjährigen Schmähungen seien viele in der Branche vorsichtig. Er selbst stelle sich gerne hin, doch auch er spüre Folgen. «Was meinst du, was passiert, wenn ich mich irgendwo bewerbe, sagen wir mal in der Uhrenindustrie? Kannst du vergessen – geht nicht!» Dies, obwohl die Unternehmen in der Schweizer «Tradition» an Produkten arbeiten würden, «um Leben zu erhalten». Anders als etwa in Deutschland, wo man schwere Waffen herstelle und entsprechend auftrete.

Die Überraschung der Woche gelingt dem deutschen Konzern Rheinmetall. Draussen in der Junihitze präsentiert er einen neuen Kampfpanzer. Das neuste «Familienmitglied von Rheinmetall» liefere die «höchste Tödlichkeit auf dem Schlachtfeld»; es brauche die «zusätzliche Feuerkraft» und den «zusätzlichen Schutz», den der «KF 51 Panther» biete, verkündet CEO Armin Papperger. Man habe zuletzt viel gelernt. Von was, ist klar, ohne dass Papperger explizit wird.

Papperger erledigt seine Auftritte in hoher Kadenz: Eine Stunde nach der Panzerpräsentation steht er beim ungarischen Technologieminister Laszlo Palkovics und erklärt in schlechtem Englisch seine Verbundenheit mit einer der autoritärsten Regierungen in der EU. Bereits vor vier Jahren habe man entschieden, eine Strategie zu entwickeln, die Ungarn «zu einem ein klein wenig unabhängigeren Land» mache, so Papperger. Schon Ende des Jahres gehe nun die erste Rheinmetall-Fabrik in Ungarn in Betrieb. Weitere Fabriken sollen folgen, ebenso ein Luftabwehrprogramm. «Ungarn wird einer der grössten Rheinmetall-Investoren sein», freut sich Papperger.

Eloquenter als der CEO ist Freiherr Philipp von Brandenstein. Er lebt bei Zürich und arbeitet bei Rheinmetall in Düsseldorf. Bei der «Panther»-Präsentation hat er als Leiter Unternehmenskommunikation das Publikum begrüsst. Aber Interviews gebe er keine, erklärt er auf Anfrage. Dafür habe Rheinmetall Pressesprecher. Das ist schade. Sein fliegender Wechsel zwischen progressivem Engagement und Rüstungsindustrie ist durchaus bemerkenswert: Bis Januar 2021 war von Brandenstein vier Jahre lang Vorstand der Operation Libero. Im Februar 2021 begann er bei Rheinmetall.

Krieg unter einem Ökolabel?

Die «höchste Tödlichkeit auf dem Schlachtfeld» geht mit der Operation Libero nur schwer zusammen. Doch manche Slogans an dieser Rüstungsmesse kann man sich auch auf Politplakaten vorstellen, etwa «Sicherheit ist die Mutter aller Nachhaltigkeit» des deutschen Rüstungsverbands oder «Building a future we can all trust» des französischen Konzerns Thales. Für Letzteren, aber auch für den Modekonzern Louis Vuitton, arbeitet auch jenes Tech-Start-up, das an der Rüstungsmesse Socken mit Comicaufdruck als Werbegeschenk verteilt. So gut wie alle Besucher:innen erhalten eine Hipsterstofftasche mit Ökolabel des französischen Konzerns Arquus. Darauf abgebildet ist das Panzerfahrzeug Scarabee – das erste mit Hybridmotor. Vertreter von Thales und Arquus sitzen auch auf einem Podium, auf dem sie die Möglichkeit einer Pionierrolle der Rüstungsindustrie im Kampf gegen die Klimaerwärmung diskutieren. Ein Nachhaltigkeitslabel hat auch die Eurosatory selbst, als erste Rüstungsmesse. Das Label der Stufe eins von fünf vergab eine auf «Labelisierung» spezialisierte Firma. Wenige Unternehmen haben immerhin bereits das «Pro Defense & Security»-Label der Stufe zwei.

Am Klimapodium nimmt derselbe Beamte der EU-Kommission teil, der deren Position auch auf dem Podium zur europäischen «Weltraumverteidigung» vertritt. In beiden Diskussionen mit Industrievertreter:innen sagt er: «Wir müssen Geld auf den Tisch legen», und nennt dann die Zahl. Hundert Millionen Euro sind bei der EU-Kommission 2022 für Entwicklungsprojekte zur «Weltraumverteidigung» eingeplant – zwanzig Millionen «für die Verteidigung und das Klima».

Es habe sich bereits einiges geändert, heisst es auf dem Klimaerwärmungspodium. Eine Armee würde die Benzinkanister nicht mehr einfach so liegen lassen wie im Irak. Doch selbst wenn man die Rüstungsindustrie, wie es ja manche an der Eurosatory tun, von der Mitverantwortung an Kriegen und Zerstörungen entbindet: Die Vorstellung, dass sie ernsthaft einen Beitrag zum Klimaschutz leistet, ist grotesk. Wenn sich eine Armee neue Hybridfahrzeuge leisten kann, muss sie die alten Spezialgefährte ja auch noch entsorgen.

Wie die Interessen von Rüstungsindustrie und Militärs manchmal auseinanderdriften, offenbart sich im Gespräch zwischen US- und Nato-Generalmajor Matthew Van Wagenen und dem französischen Generalmajor Pierre-Joseph Givre. In den gut gefüllten Publikumsreihen sitzen finnische, schwedische und US-amerikanische Militärs sowie eine geflüchtete Ukrainerin. Sie wird am Ende fragen, weshalb niemand aus der Ukraine auf dem Podium sitze. Die Frage, auf die keine schlaue Antwort folgt, ist begründet: Van Wagenen und Givre sprechen darüber, was sie aus dem Krieg in der Ukraine für den Bodenkampf lernen. Das Erste, was Van Wagenen sagt: «Mass matters!», die Masse zählt. Givre stimmt zu. Für die französische Armee sei es immer ein Abwägen zwischen Menge und Qualität. «Wir haben weniger als hundert Artilleriegeschütze, definitiv zu wenige.» Der Thinktank-Typ, der das Gespräch moderiert, unterbricht: «Und ein Dutzend davon haben wir der Ukraine gegeben, by the way.» Der Moderator kichert – als Einziger.

Militärs sind eben nicht nur wegen der unbemannten Roboter hier, die ihren trittfesten Gang in den Messehallen beweisen. Sie interessieren sich nicht nur für Hightechmaterial (und dessen CO₂-Bilanz), sondern auch schlicht für Feuerkraft. Darum wohl hat die kasachische Firma mit dem Maschinengewehr aus dem sowjetischen Afghanistankrieg in den achtziger Jahren die Reise nach Paris gemacht.

Grosser Auftritt der Start-ups

Zwischen dem gepanzerten Griffon-Fahrzeug, das die französische Armee heute nutzt, und seinem Vorgängermodell liegen vierzig Jahre. Die Rüstungsindustrie hat lange Entwicklungszeiten, und der Markt ist weitgehend aufgeteilt. Für kleine Unternehmen ist es kaum möglich, Fuss zu fassen. Ein Privatbankier erzählt, dass in Frankreich manche Firmen in dieser Branche Mühe hätten, überhaupt ein Konto zu eröffnen. Banken vergeben ungern Darlehen für Produkte, für die sie Jahre später am Pranger stehen.

«Für Waffensysteme kannst du attackiert werden. Investoren nehmen in der Branche ein ‹Name and shame›-Risiko wahr, das sie oft nicht eingehen wollen», erklärt Simon Dufaut vom französischen Hightechunternehmen Préligens. Die wirtschaftliche Krise, die sich gerade anbahne, sei ein zusätzliches Hindernis. Für andere Unternehmen, wie Dufaut betont. Ist die Branche in der jetzigen Situation denn nicht gesichert? «Das schon – aber es läuft sehr langsam.» Die Entwicklung dauere lange, die Beschaffungsprozesse von Regierungen seien langwierig. «Wer ein schnelles Return on Investment will, investiert im rein zivilen Sektor.»

Préligens selber hat keine Probleme. Das Unternehmen agiert in einem Bereich, der vor vierzig Jahren noch gar nicht existierte: künstliche Intelligenz. Viele Start-ups an der Eurosatory hoffen, hier ihre Algorithmen zu verkaufen. Préligens gibt es zwar erst seit sechs Jahren, die Firma gehört mit heute rund 200 Mitarbeiter:innen aber bereits zu den Arrivierten. «Alle unsere Produkte sind … ich würde sagen: kampferprobt», sagt Dufauts Kollegin Coralie Trigano. Das Nato Fusion Centre und Frankreich nutzen die «KI-basierte Lösung für strategische Standortüberwachung» oder jene für «militärische Kartierung».

Früher seien die Armeen blind gewesen, weil sie keine Bilder gehabt hätten. Jetzt seien sie es, weil es zu viele Bilder gebe. Satelliten machten zwar Aufnahmen, aber es sei kaum möglich, die Bilderflut auszuwerten. Da bringt sich Préligens ins Spiel. Dufaut zeigt das anhand eines Satellitenbilds des Hafens von Tartus. Die KI markiert und benennt jedes Gefährt: Patrouillenboote, Handelsschiffe. Würde hier plötzlich ein Kriegsschiff auftauchen, ginge eine Meldung raus. Tartus, das ist Russlands Hafen in Syrien. Man sei auch mit der Uno im Gespräch – das Produkt von Préligens kann natürlich auch Zelte in Flüchtlingslagern zählen und auswerten.

Die Préligens-Datenbank wurde mit acht Millionen Bildern gefüttert; die Aufnahmen beschriftete das Unternehmen von Hand. Auf manchen Satellitenbildern seien 3000 Fahrzeuge. «Wenn ein Parkplatzunternehmen auf künstliche Intelligenz setzen will, ist es egal, wenn diese mal ein Auto nicht erfasst», sagt Dufaut. Im Verteidigungssektor darf das nicht passieren.

«Die Grundfrage ‹Was machen die russischen Streitkräfte in der Ukraine?› bleibt dieselbe», sagt Dufaut. «Mit unserem Produkt beantwortet sie sich einfach viel schneller.» In Europa gilt Préligens als führend. Aber natürlich gebe es keine globale Transparenz. Ob Russland ähnliche KIs im Einsatz hat, ist nicht bekannt. «In manche Länder exportieren wir nicht, und wir teilen mit ihnen auch die Technologie nicht.» Préligens setze sich selbst ethische Grenzen. «Wir sind nicht dumm. Wir wissen, was wir entwickeln.» Am Ende entscheide aber immer die Regierung über den Export. «Sie prüft wirklich genau – und sagt manchmal Nein. Aus verschiedenen Gründen.»

«Das Momentum ergreifen»

Für uns endet die Woche mit einem Kriegsvorschlag. «Meine Idee, und danach können Sie gehen, ist: Die Nato ist im Krieg», sagt Michel Yakovleff am Schluss einer Podiumsdiskussion, die eigentlich nur aus zehnminütigen Monologen besteht. Yakovleff ist ein früherer Generalleutnant der französischen Armee und heute Professor an der Eliteuniversität Sciences Po in Paris. Wenn die Nato nicht anerkenne, dass sie im Krieg sei, werde sie diesen verlieren. «Genauso, wie ich meine Scheidung verliere und abgezockt werde, wenn sich meine Frau scheiden lassen will – und ich das nicht glaube.» Der Krieg sei nicht primär einer gegen die Ukraine. «Putin ist im Krieg gegen die Nato, und die Ukraine ist sekundär.» Da die Nato gegenwärtig nicht am Krieg teilnehme, verliere sie ihn wahrscheinlich.

Doch Yakovleff weiss Rat. «Wenn wir das Momentum ergreifen, könnte es ein begrenzter Krieg in der Ukraine – und nur in der Ukraine – sein.» Dadurch, dass Putin die USA warnte, Langstreckenraketen in die Ukraine zu liefern, sei eine «implizite Vereinbarung» zu einem «begrenzten Krieg» geschaffen, «wie Vietnam oder Korea». Darum könne die Nato in den Krieg eintreten, «ohne einen kompletten Nuklearkrieg auszulösen». Was aber tun, wenn Russland den Kriegseintritt «eskalatorisch» nennt? Yakovleff spricht Putin nun direkt an: «Well, look, Wladimir: Du hast Panzer in der Ukraine. Ich auch. Du hast Artillerie in der Ukraine. Die habe ich auch. Deine Jets fliegen über die Ukraine. Fine with me, solange auch meine Jets über die Ukraine fliegen.» So laufe das. Wenn der Westen am Krieg teilnehme, könne er gewinnen. «Und wenn ich sage: der Westen – dann meine ich die Ukraine und eigentlich uns alle. Das, was ich die zivilisierte Welt nenne.» Wenn man in diesen Krieg nicht eintrete, so Yakovleffs Verdacht, werde China zwischen diesem und dem nächsten russischen Angriffskrieg Taiwan «nehmen».

Als Anfang der Woche im Start-up-Sektor ein Luftballon platzte, zuckten die Menschen rundum zusammen. Yakovleffs Kriegsidee am späten Donnerstagnachmittag löst hingegen kaum Reaktionen aus. Die Messe ist eine Parallelgesellschaft. In ihr gibt es Militärs, die Worte abwägen. Es gibt professionelle Distanz zum Kriegsgerät und zur Schau gestellte Zuneigung für Waffen. Es gibt Angestellte aus der Rüstungsindustrie, die ihren Job einfach machen, weil es ein Job ist. Solche, die glauben, damit eine bessere Zukunft für alle zu schaffen. Und dann gibt es Leute wie Yakovleff, für die Weltpolitik eine mathematische Gleichung ist, die sich mit strategischem Denksport lösen lässt.

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