«Erstes Reitgenössisches Schwingfest»: Alternativ in die Hosen
Ein Schwingfest in der Berner Reitschule nervt die Junge SVP und ist schön, gerade weil es so unspektakulär ist.

Einen halben Liter Weissen für vierzehn Franken, das muss man in der Stadt erst mal finden. Im Innenhof der Berner Reitschule geht er an diesem Tag mit guter Frequenz über den Tresen, die Stimmung ist friedlich. Neben der Bar eine kleine Tribüne, ein Sägemehlrund da, wo sonst Tische des Restaurants Sous le Pont und die Container der Druckerei stehen, dahinter wurde extra ein Brunnen gebaut. Es laufen Ländler ab Konserve, später wird einer am Hackbrett den Anlass begleiten: Es ist Schwingfest in der Reitschule, das erste «Reitgenössische». Um 14 Uhr ist Anschwinget, acht Amateure haben sich gemeldet, die in sechs Runden gegeneinander antreten; danach werden in zwei Kämpfen die ersten vier Plätze ausgemacht.
Ein Schwingfest in der Reitschule, das hat einige aufhorchen lassen: «20 Minuten» berichtete – und kurz unterhielt man sich darüber auch auf Twitter, als sich Adrian Spahr, Kopräsident der Jungen SVP Bern, über den Anlass lustig machte. Am Telefon meint er, ihn störe am Fest in der Reitschule vor allem das Politische. Schwingen sei neutral und offen für alle: «Auf dem Plakat steht, man solle den Nationalismus daheim lassen, das geht mir zu weit. Und ich selbst wäre am Schwingfest wohl kaum willkommen.» Pragmatischer sieht die Sache Markus Lauener, Obmann des Eidgenössischen Schwingerverbands: Jeder könne machen, was er wolle. «Ich denke nicht, dass dahinter eine Absicht steckt, sich lustig zu machen.»
Kritik von links
Lina, eine der Organisator:innen, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, sagt im Gespräch zwischen Bar- und Kassenschicht: «Spahr kann mir nicht im Ernst erklären, Schwingen sei unpolitisch.» Schwingen stehe für ein gewisses urchiges Bild der Schweiz, das die SVP nur zu gern als Ideal propagiere – willkommen seien da längst nicht alle. Es liege ausserdem nicht am Schwingfest, dass Spahr keinen Zugang habe – «es liegt an den Grundsätzen der Reitschule. Spahr ist vor Bundesgericht verurteilt wegen Verstoss gegen die Rassismus-Strafnorm, er weiss ganz genau, wieso er hier unerwünscht ist.»
Trotzdem: ein Schwingfest in der Reitschule, warum eigentlich? Wird da nicht ein Hype bedient, der dem Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest jeweils Rekordbesuchszahlen beschert und SRF dazu veranlasst, immer mehr Schwingfeste live zu übertragen? Sie seien durchaus auch von links kritisiert worden, sagt Lina – von Leuten, die fragten, ob es wirklich nötig sei, den Hype auch hier zu reproduzieren. «Wir wollten schauen, wie sich ein solcher Anlass in einem anderen Kontext konkret anfühlt. Schliesslich gibt es viele Gründe, wieso Schwingen interessant ist: der Sport an sich, der gegenseitige Respekt, das Gemeinschaftliche oder das Festliche.»
Ein FDPler schwingt mit
Der Schwinget in der Reitschule hat ein Awareness-Konzept, es liegen Handouts zu Männlichkeit, Tradition, Heimat oder kritischer Sportlichkeit auf. Diskutiert wird aber kaum an diesem Nachmittag, eher geplaudert, gejubelt und getrunken. Die Kämpfe sind eher kurz, manche sind sehr schnell entschieden; das Publikum fiebert mit, bleibt aber auch recht gelassen. Viele regelmässige Reitschulgänger:innen sind da, altersmässig ist das Publikum allerdings durchmischter als sonst. Und auf der Tribüne sitzt Hanspeter Luginbühl, Schwinger aus Aeschiried mit aktuell 66 Kränzen, der sich die ersten paar Kämpfe ansieht. Er ist zum ersten Mal in der Reitschule, ein Mitarbeiter des Restaurants Sous le Pont sitzt neben ihm und erzählt ihm zwischen den Runden etwas über das Haus.
Anwesend ist auch Tom Berger, Kopräsident der freisinnigen Fraktion im Berner Stadtrat. Er sei schon lange fasziniert von dem Sport und bedaure es, selber nie damit angefangen zu haben. An diesem Nachmittag steht er nun zum ersten Mal als Schwinger im Sägemehl. Im Vorfeld hatte er sich mit Spahr auf Twitter angelegt. «Er ist es doch selbst, der die Sache zum Politikum macht», meint er im Gespräch. Selber gehe er ein paar Mal im Jahr an Schwingfeste, er möge die gute Stimmung dort. «Auch hier ist es super. Nur habe ich in einer Schwingarena noch nie so viel Werbung gesehen.» Tatsächlich sind üblicherweise Sponsoren und Werbebanner innerhalb der Arena verboten, auch Signete auf der Kleidung der Sportler:innen müssen abgeklebt werden. Doch im Innenhof der Reitschule blitzt im Sägemehl ab und zu die eine oder andere Marke an Schuhen oder Trainerhosen auf.
Auch Spahr weist stolz auf das Werbeverbot hin. So bodenständig und unschuldig ist der Schwingsport aber kaum (mehr); nicht nur das Eidgenössische ist mittlerweile ein Megaevent mit Sponsoren und horrenden Ticketpreisen. Spahr erklärt sich den Hype mit der Verunsicherung durch die Globalisierung, «die Leute sehnen sich nach etwas Einfachem». Fragt sich nur, wer auf dieses Einfache Anspruch haben darf. Spahr sagt: «Schwingen ist heile Welt: ein Symbolbild Schweiz.» Eine ziemlich männliche, weisse Welt, nicht? «Ja», sagt Spahr, «aber es gibt auch Frauenschwingen. Das ist umso schöner.»
In der Reitschule sind die Schwinger jedenfalls alle männlich, das Organisationskomitee, bestätigt Lina, bestehe «zu 80 Prozent aus cis Männern». Man könne den Sport nicht einfach auf einen Schlag verändern. Wird rumgemackert? «Es wird immer gemackert. Wir geben uns aber Mühe, einen möglichst achtsamen Umgang zu finden.» Tatsächlich ist die Stimmung entspannt, es wird kaum rumgejohlt, die Schwinger sind überaus freundlich miteinander: Sie geben sich nach dem Kampf wie üblich die Hand, klopfen sich das Sägemehl vom Rücken. Ein bisschen heile Welt, sagt Lina: «Wir klammern ja ebenfalls aus, was uns nicht gefällt, zum Beispiel Nationalismus.» Manchmal dürfe man einfach feiern. Das sei im Übrigen der Grund, wieso sie im Vorfeld nicht mit Medien reden wollten; und ein Fotografierverbot ist in der Reitschule gängige Praxis. «Wir wollten keine Aussenwirkung, sondern ein Fest veranstalten.» Das ist schade, gerade weil der Tag so gelungen ist.
Kuhpatenschaft mit Käse
Am frühen Abend verteilt der Sieger, im echten Leben Judoka, von zwei Mitschwingern auf den Schultern getragen, Küsschen in die Menge. Der Gewinner des ersten «Reitgenössischen» bekommt kein Muneli, dafür eine dreimonatige Kuhpatenschaft inklusive Käse zum Abholen. Die anderen dürfen sich, wie es Brauch ist, etwas vom Gabentisch aussuchen. Eigentlich geht es zum Schluss allen ums Zusammensein: dem Obmann des Eidgenössischen Schwingerverbands, der sich freut, dass nach der Lockdownzeit die Schwingfeste nun wieder «als richtige Feste» gefeiert werden können; Spahr, der an den Festen das Bodenständige liebt und «dass man dort alle kennt»; Berger, der sich auf allen Schwingfesten willkommen fühlt. Und auch Lina, die sagt: «Es ist noch besser geworden, als wir uns das vorgestellt haben.»