Literatur: Italien von ganz unten

Nr. 33 –

Besonders sympathisch ist er nicht, der traurige Held und Ich-Erzähler in Remo Rapinos preisgekröntem Roman «Das wundersame Leben des Liborio Bonfiglio». Geboren 1926 in einem süditalienischen Dorf, verbringt er sein Leben in Armut. Der Vater ist schon vor seiner Geburt verschwunden, möglicherweise nach Südamerika. Sein Sohn hat die gleichen Augen wie er – das behauptet zumindest die Mutter, und Liborio wiederholt ständig diesen Satz, wie viele andere auch. Hier erzählt kein Literat, sondern ein nur in Ansätzen Gebildeter, der allerdings nicht dumm ist, wie einer seiner Lehrer erkennt. Auch ein Psychiater in der «Irrenanstalt», in der Liborio später viele Jahre verbringt, kommt zur Erkenntnis, dieser Patient, der von sich selbst sagt, er spinne, sei «gar nicht so verrückt». Eingeliefert wurde er, weil er in der Fabrik, in der er stumpfsinnige Arbeit verrichten musste, einen Zeitnehmer attackierte. Der hatte ihm die Antwort auf die simple Frage verweigert, wozu all die Schrauben gut seien, die er herstelle. Nicht nur hier ist der Protagonist mit Widersprüchen der italienischen Klassengesellschaft konfrontiert.

Liborio wehrt sich auf seine Weise, für sich allein, aber auch gemeinsam mit Gewerkschaftern oder «Exkremisten» – eine von vielen zweifelhaften Erfindungen des Übersetzers Walter Kögler, der mit der kunstvollen «Unterschichtensprache» seine Mühe hat. Zugute halten muss man ihm, dass Teile von Rapinos Text eigentlich «unübersetzbar» sind: Das italienische Original enthält im Anhang zwölf Seiten mit Erklärungen der Wortschöpfungen und Dialektausdrücke – eine irritierende, aber auch amüsante Lektüre.

Der spezielle Blick des skurrilen Helden auf Ereignisse mehrerer Jahrzehnte, die Schilderungen der Milieus und der Überlebensstrategien von Menschen «ganz unten» machen den Reiz des Buches aus. Das angehängte Personen- und Sachregister erleichtert den Zugang auch für Leser:innen, die mit der italienischen Zeitgeschichte nur wenig vertraut sind.

Remo Rapino: Das wundersame Leben des Liborio Bonfiglio. Roman. Aus dem Italienischen von Walter Kögler. Kein & Aber. Zürich/Berlin 2022. 320 Seiten. 34 Franken