Tierhaltung: Warum essen wir eigentlich keine Hunde?
Die Massentierhaltungsinitiative kommt im September an die Urne. Bei einem Ja gelten die Biovorschriften für die gesamte Nutztierhaltung. Was sagen Biolandwirt:innen dazu? Und wie sozial ist die Vorlage, die tierische Produkte teurer machen würde?
Sie könnte das perfekte Feindbild für konservative Bäuerinnen und Bauern abgeben: grüne Nationalrätin, vegan, für Tierrechte engagiert, urban. Aber Meret Schneider ist das Gegenteil: die perfekte Verbündete für die Schweizer Landwirtschaft. Wenn die Schweizer Landwirtschaft eine Zukunft haben will.
Seit sie 2019 für die Zürcher Grünen ins Parlament gewählt wurde, hat sie sich tief in die Materie eingearbeitet. Heute gehört sie zu den kompetentesten Agrarpolitiker:innen im Bundeshaus. Dem Schweizer Bauernverband (SBV) haut sie gern seine eigenen Argumente um die Ohren, etwa wenn sie kritisiert, dass er dem Abbau der Industriezölle zugestimmt hat. «Damit ist klar, dass in einer nächsten Freihandelsrunde die Agrarzölle unter Druck kommen.» An Sessionen sagt sie Sätze, für die sie die SVP-Bauern im Saal eigentlich umarmen müssten: «Das Erste, was ich möchte, sind bessere Preise für die Produzierenden in der Schweiz. Und ich möchte – wovon vor allem die Bauern profitieren werden –, dass wir aufhören mit Dumpingimporten.»
Leider kann die SVP das nicht eingestehen – sie ist viel zu sehr damit beschäftigt, eine Wirtschaft zu fördern, die den Interessen der Landwirtschaft oft direkt widerspricht. Aber wenn in bäuerlichen Kreisen Meret Schneiders Name fällt, ist Anerkennung spürbar. Es liegt ihr fern, abfällig über die Branche zu sprechen. Wenn sie ein Bauer für einen Augenschein auf den Hof einlade, gehe sie, wenn immer möglich, vorbei, sagt sie. Und wenn einer an die Decke gehe, weil er seine Schweine tierfreundlich halte und dann niemand das teurere Fleisch wolle, verstehe sie das. Ihr trockener Humor sticht heraus, ihr Einsatz für die Rechte der Tiere hat nichts Kitschiges: «Es ist irrational, dass wir Schweine essen und Hunde nicht. Schweine sind genauso intelligent und sensibel wie Hunde. Esst doch zuerst die Tierheime leer, bevor ihr Schweine züchtet!»
Industrieprodukt Huhn
Schneider ist das Aushängeschild der Massentierhaltungsinitiative (MTI), die am 25. September an die Urne kommt. Lanciert hat sie der Verein Sentience Politics, der sich für «die Interessen nichtmenschlicher Tiere» einsetzt. Schneider war dort als Projektleiterin angestellt, bevor sie letzten Herbst wegen Überlastung kündigte. Die MTI möchte für die Schweizer Nutztierhaltung Standards, die mindestens den Bio-Suisse-Richtlinien von 2018 entsprechen. Das bedeutet regelmässigen Auslauf für alle Tierarten, Wühlareale für Schweine, mehr Platz in den Ställen und weniger Tiere pro Betrieb, insbesondere bei Hühnern und Schweinen. Artikel 4 verlangt zudem Importvorschriften, damit auch tierische Produkte aus dem Ausland gleichwertigen Standards entsprechen (vgl. «Kein Importverbot» im Anschluss an diesen Text).
Diese Importregelung sei ein Herzstück der Initiative, sagt Schneider. «Sonst wird der Markt mit billigem ungarischem Poulet und brasilianischem Rind geflutet.» Wer mit ihr spricht, merkt bald: Es geht ihr um viel mehr als nur ums Tierwohl. «Das Wichtigste ist eine kleinbäuerliche, standortgerechte Landwirtschaft. Dass die Flächen sinnvoll genutzt werden: Wiederkäuer auf Grasland, nicht Poulet- und Schweinemast mit Importfutter.» Viele wüssten nicht, wie industrialisiert und globalisiert etwa die Hühnerzucht sei: «Drei Firmen beherrschen den Weltmarkt, sogar die Elterntiere werden importiert.» Tierische Produkte sollten nicht verschwinden, sondern seltener, dafür bewusst konsumiert werden: «Zurück zum Sonntagsbraten!» Für diese Forderungen erhalte sie viel positives Echo, gerade von älteren Leuten, erzählt die Nationalrätin. «Sie wissen noch, dass Fleisch etwas Besonderes ist. Manche schicken mir sogar Rezepte.»
Der Schweizer Bioverband Bio Suisse unterstützt die Initiative. «Es wäre ja auch schräg, wenn wir eine Vorlage ablehnen würden, die unsere eigenen Richtlinien als Grundlage hat», sagt Landwirt und Bio-Suisse-Präsident Urs Brändli. Die Ja-Parole sei im Verband unumstritten: «Wir haben sie im Vorstand gefasst, und an der Delegiertenversammlung hat sie niemand infrage gestellt.» Brändli äussert allerdings auch Kritik an der MTI: «Einmal mehr verlangt man etwas von der Landwirtschaft, das sich im Konsumverhalten nicht spiegelt.» Er spielt darauf an, dass bei kaum einem anderen Lebensmittel der Bioanteil so tief ist wie beim Fleisch. «Wann kommt eine Initiative, die sich das Einkaufsverhalten vornimmt?»
«Biopreis unter Druck»
Einige Biolandwirt:innen, die die MTI ablehnen, gibt es allerdings schon. Zum Beispiel Barbara und Urs Lüthi, die gemeinsam den Biohof Meiemoos bei Burgdorf führen. Ein malerischer Hof ist das, blitzblank aufgeräumt, ein altes Haus mit Stöckli und Hochstammbäumen. Ein paar dunkelbraune Rinder stehen um ein Wasserfass, der kleine Hund bellt Velofahrer an. Barbara Lüthi ist Vizepräsidentin der Berner Landfrauen und vertritt diese im Berner Bauernverband. Sie engagiert sich in der Anlaufstelle Überlastung Landwirtschaft und sitzt für die SVP im Stadtrat, dem Burgdorfer Parlament. Bio und SVP, diese Kombination ist im Kanton Bern gar nicht so selten. Auf ihrem Betrieb wenden die Lüthis die Prinzipien der regenerativen Landwirtschaft an, die grossen Wert auf Schonung des Bodens legt. Sie halten Angus-Mutterkühe mit Kälbern, die im Sommerhalbjahr täglich auf die Weide dürfen und den Rest der Zeit in einem Laufstall leben. Damit gehen die Lüthis noch über die Anforderungen des Biolabels hinaus, das keinen Laufstall vorschreibt. Trotzdem lehnen sie die MTI ab. Barbara Lüthi betont den Zusammenhalt der Landwirtschaft: «Die Initiative macht einen Teil der Branche kaputt.»
Sie befürchtet auch Nachteile für den eigenen Betrieb: «Wenn alle tierischen Produkte den Biorichtlinien entsprechen, haben wir kein Abgrenzungsmerkmal mehr am Markt. Dann kommt der Biopreis unter Druck, und der Mehraufwand der Bioproduktion ist nicht mehr gedeckt.» Sie finde es zwar gut, dass die Importe im Initiativtext geregelt seien. «Aber mit den Preisen der importierten Produkte können wir trotzdem nicht mithalten – nur schon, weil die Lohnkosten im Ausland viel tiefer sind.» Wenn die Konsument:innen ihre Ernährung umstellen würden und nach viel mehr pflanzlicher Nahrung oder Biofleisch verlangten, seien die Schweizer Landwirt:innen dafür bereit. Nur sehe es überhaupt nicht danach aus.
«Wir sollten schon in der Schule lernen, dass nicht immer alles verfügbar ist. Und was wir wirklich brauchen: Luft, Wasser und gesunde Böden – nicht drei Flüge im Jahr.» Doch sie bleibt dabei: «Die Wahlfreiheit am Ladentisch ist ein hohes Gut. Ich will nicht in einem Staat leben, der mir vorschreibt, was ich essen darf.»
Den ganzen Tag Schweine töten
Eine Folge der Initiative könnte auch Linke abschrecken: Wird die MTI umgesetzt, wird das Fleisch teurer. Was sagt Meret Schneider dazu? «Wir machen Foodwaste-Kampagnen à gogo und sind immer noch bei 330 Kilo Essensabfällen pro Haushalt. Das ist fast doppelt so viel wie in der EU. Will wirklich jemand behaupten, das Essen sei zu teuer, solange wir ein Drittel davon wegschmeissen?» Sie finde es zynisch, Billigfleisch für die Armen zu fordern, insbesondere wenn Mieten und Krankenkassenprämien so hoch seien. «Wer etwas gegen die Armut machen will, muss Einkommen umverteilen, nicht Fleisch verbilligen.» Es sei weder gesund noch sozial, jeden Tag Fleisch zu essen, und auch die Arbeitsbedingungen in der Tierproduktion seien eine soziale Frage: «Wer macht diese Jobs? Wer tötet unter krassem Zeitdruck den ganzen Tag Schweine?»
Meret Schneider wird immer wieder heftig angefeindet – auch von Veganer:innen, die sie als Verräterin sehen, weil sie für eine Verbesserung der Nutztierhaltung kämpft, statt diese pauschal zu verdammen. «Leute, die sich auf Facebook brüsten, dass sie keine karminroten Zuckerperlen brauchen, für deren Farbstoff ein paar Käfer gestorben sind. Sorry, da bin ich utilitaristisch: Mir geht es darum, so viel Tierleid wie möglich zu verhindern. Und da sind es die Flexitarier, die den Unterschied machen: Wenn viele Leute deutlich weniger Fleisch essen, bewirkt das viel mehr, als wenn ich auf ein paar Zuckerperlen verzichte.»
Handelsrecht: Kein Importverbot
Führt ein Ja zur Massentierhaltungsinitiative zu Knatsch mit der Welthandelsorganisation (WTO)? «Die Forderungen der Initianten sind nicht vereinbar mit den WTO-Verträgen», sagte Economiesuisse-Präsident Christoph Mäder im Juni vor den Medien. Die Umsetzung der Initiative wäre «eine klare Verletzung der WTO-Verpflichtungen der Schweiz», schreibt auch der Bauernverband.
Elisabeth Bürgi Bonanomi, Dozentin für Recht und Nachhaltige Entwicklung an der Universität Bern, widerspricht: «Ein Importverbot wäre im Fall einer Beschwerde vor dem WTO-Schiedsgericht nicht einfach zu begründen. Aber die Initiative beinhaltet kein Importverbot.» Die Schweiz importiert heute im Rahmen eines begrenzten Importkontingents Tierprodukte aus dem Ausland zu tieferen Zollansätzen. Sobald dieses Kontingent ausgeschöpft ist, fallen auf Fleischimporten Zölle an, die so hoch sind, dass sich ein Import kaum lohnt. «Zur Umsetzung der Massentierhaltungsinitiative könnte die Schweiz verlangen, dass Fleischprodukte, die im Rahmen des Importkontingents zu tieferen Zöllen importiert werden, nach den Grundsätzen der Initiative produziert sein müssen», erklärt Bürgi.
Ob die Umsetzung WTO-konform ist, hängt von verschiedenen Kriterien ab: Sie muss nichtdiskriminierend sein, also alle Produzierenden im Ausland gleich behandeln. Und die Schweiz kann nicht ihre detaillierten Umsetzungsvorgaben auf ausländische Produzierende anwenden. Sie kann aber verlangen, dass diese nach «gleichwertigen» Bedingungen produzieren, falls sie zu günstigen Zöllen in die Schweiz exportieren wollen. Eine Akkreditierungsbehörde in der Schweiz kann Zertifikate prüfen und in eine Positivliste aufnehmen.
Bürgi ist Mitautorin einer Studie. Darin wird eine fiktive Gesetzesvorlage – die viele Parallelen zur MTI hat – der WTO-Schiedsgerichtsbarkeit unterstellt. Ihr Fazit: «Ein Land kann strengere Bestimmungen für seinen Lebensmittelmarkt erlassen und ihnen auch im Import Rechnung tragen. Es muss einfach sehr geschickt und sorgfältig vorgehen. Das führt nicht zwangsläufig zu Konflikten mit der WTO.» Es sei auch nicht nötig, solche möglichen Auseinandersetzungen als Katastrophe auszumalen: «Sie bringen die WTO-Rechtsprechung weiter.»
Bettina Dyttrich