Visasperre für Russ:innen: Billige Symbolpolitik
Einmal mehr ist in der EU ein Streit über den richtigen Umgang mit Russland entbrannt. Das Thema diesmal: die Vergabe von touristischen Schengen-Visa an Personen mit russischem Pass. Für Einreisesperren plädieren etwa die baltischen Staaten, aber auch Länder in Ost- und Nordeuropa, während sich Deutschlands Kanzler Scholz dagegen ausgesprochen hat. Ende August sollen sich die Aussenminister:innen mit der Frage befassen, in Brüssel drängt man auf ein gemeinsames Vorgehen.
Begründet wird der Schritt damit, dass die meisten russischen Bürger:innen den Krieg des Regimes gegen die Ukraine unterstützten. Shoppen in Pariser Luxusboutiquen oder Ski fahren in den Alpen? Müssen die Russ:innen inskünftig darauf verzichten, so die Hoffnung, werden sie sich gegen den Kreml wenden, vielleicht gar eine Revolution anzetteln. Oder, wie es die estnische Premierministerin Kaja Kallas auf Twitter ausdrückte: «Europa zu besuchen, ist ein Privileg, kein Menschenrecht.»
Die Annahme ist so realitätsfremd wie gefährlich. Die russische Elite wird sich kaum beeindrucken lassen, viele verfügen ohnehin über EU-Pässe oder würden einen Weg finden, die Sanktionen zu umgehen. Alle anderen können sich eine Reise in den Schengen-Raum nicht leisten, zwei Drittel aller Russ:innen besitzen keinen Reisepass. Und wer das Geld für einen Strandurlaub im Ausland hat, wählt die Türkei oder Thailand, beides Länder ohne Visumspflicht.
Treffen würde eine Visasperre vor allem jene, die sich gegen das Regime stellen. Ihnen bleibt als Möglichkeit zur Flucht bloss das Schengen-Visum. Die Grenzen zu schliessen, hiesse, jene im Stich zu lassen, die Solidarität brauchen. Wer das Regime treffen will, muss seine Profiteure bestrafen. Doch auch sechs Monate nach Kriegsbeginn fehlen prominente Oligarchen und Staatsbedienstete auf den Sanktionslisten. Und auch die Finanzierung des Kriegs mit dem Kauf von Öl und Gas geht weiter. Die Menschen in Russland zu isolieren, wäre bloss in Putins Sinn. Billige Symbolpolitik, die nur vom eigenen Nichtstun ablenkt.