Heinz Langerhans: Der marxistische Antikommunist

Nr. 34 –

Botschafter aus dem Jahrhundert der Extreme: Eine neue Biografie erinnert an den linken Dissidenten Heinz Langerhans.

Die Machtübernahme der Nazis in Deutschland, Verfolgung und Weltkrieg waren für die Linke auch ein tiefer intellektueller Einschnitt. Viel von dem Verlorenen wurde im Aufbruch der späten sechziger Jahre wiederentdeckt, als in zahllosen Neu- und Raubdrucken mit teilweise atemberaubenden Auf‌lagen die Schriften der Dissident:innen der alten Arbeiter:innenbewegung verbreitet und von den Jüngeren verschlungen wurden.

Mit der Reihe «Dissidenten der Arbeiterbewegung» knüpft der Unrast-Verlag an diese Tradition an. In dieser hat nun Felix Klopotek einen Band über das Leben und das Werk von Heinz Langerhans vorgelegt, dem weitere Bände mit Schriften von Langerhans folgen sollen – darunter etliche bislang unveröffentlichte Manuskripte. Langerhans galt linken Intellektuellen lange als Geheimtipp. 1904 in eine gutbürgerliche Familie hineingeboren, schloss er sich als Student in Frankfurt der KPD an. 1926 von der Partei ausgeschlossen, gehörte er zum dissidenten Kreis um Karl Korsch. Er arbeitete eine Zeit lang als Assistent am legendären Frankfurter Institut für Sozialforschung, 1931 promovierte er bei Max Horkheimer.

1933 folgte dann die Verhaftung, Langerhans verschwand im Zuchthaus, später im KZ Sachsenhausen. 1939 amnestiert, gelang es ihm, in die USA zu emigrieren und dort eine Professur zu erhalten. 1956 kehrte er in die Bundesrepublik zurück, wo er in Saarbrücken und Giessen lehrte.

Der Krieg als Katalysator

Zum Geheimtipp wurde Langerhans wegen seiner Theorien über Faschismus und Stalinismus, die er in der Emigration ausgearbeitet hatte. Den Zweiten Weltkrieg, den ersten «totalen Krieg», betrachtete er als grossen Katalysator, der überall totalitäre Formen staatlicher Herrschaft hervortrieb – ihm zufolge am radikalsten in der Sowjetunion, in der das stalinistische Regime zum umfassenden System des «Kriegsstalinismus» wurde. Totalitäre Regimes würden grundsätzlich dem Trieb des Kapitals folgen, eine umfassende «Despotie» über die Arbeitenden auszubilden.

Laut Langerhans gelang es erstmals in der totalitären Kriegswirtschaft, in der das gesamte Leben unbeschränkter Kontrolle unterworfen wurde, das Kapital zum «Staatssubjekt» zu erheben und im Zeichen der «Volksgemeinschaft» ein Bündnis von «Mob und Elite» zu schmieden, mit dem jeglicher Klassenkampf erstickt wurde. Dahinter stand stets der staatliche organisierte Terror, der wiederum im Stalinismus perfektioniert wurde.

Langerhans’ Thesen beeinflussten viele, auch Hannah Arendt, die ihm in ihren Untersuchungen zur totalen Herrschaft folgte. Klopotek stellt anhand auch einiger unveröffentlichter Manuskripte dar, wie sich die Positionen von Langerhans mit der Zeit entwickelten, wie er mit Zweifeln und Gegenreden umging, wie er die unfassbaren Ereignisse in Deutschland, in der Sowjetunion, im Weltkrieg und in den Vernichtungslagern zu verarbeiten versuchte.

Seine Thesen über totalitäre Herrschaft und deren soziale Basis, über die Formen des staatlich organisierten Terrorismus und über die neue Gestalt des Kapitalismus in der Sowjetunion und im Westen entstanden in den dreissiger Jahren und während des Krieges. Damals schrieb Langerhans auch umfangreiche Analysen zum Kriegsverlauf, die im Kreis der Emigrant:innen Furore machten. Bertolt Brecht war begeistert, Korsch beeindruckt.

Gegen Partei und Bürokratie

Den Zusammenbruch der alten Arbeiter:innenbewegung in der Weltwirtschaftskrise und während des Aufstiegs des Faschismus sah Langerhans als Chance, so widersinnig das heute klingen mag: als Chance nämlich, die Arbeiter:innenbewegung als autonome Selbstbefreiungsbewegung aller Arbeitenden wieder zu begründen. Ihm schwebte eine Bewegung vor, die keinen tradierten Organisationsformen, keinen Bürokratie- oder Parteimodellen mehr verpflichtet sein würde, sondern sich neue Formen von Selbstregierung schaffen würde. Dazu müsse sich die Linke jedoch radikal umorientieren: vom Antifaschismus zum Antistalinismus. Diesen Schwenk zum Kampf gegen den Stalinismus als Hauptfeind und gefährlichste Form des Totalitarismus, den Langerhans schon Jahre vor dem Beginn des Kalten Krieges propagierte, wollten die meisten seiner Weggefährt:innen in der Emigration nicht mitgehen.

Zurück in der Bundesrepublik, engagierte sich Langerhans in der SPD, wo er mit radikaldemokratischen Thesen auffiel. Im linkssozialdemokratischen, akademischen Milieu fand er eine neue politische Heimat. Ohne radikale Kritik totalitärer Herrschaft, ohne einen konsequenten Antistalinismus konnte er sich einen Marxismus nicht vorstellen. Langerhans war ein marxistischer «Antikommunist», er markierte eine unbequeme Position zwischen vielen Stühlen.

Klopotek bietet in seinem umfangreichen Buch eine chronologisch gestaltete Werkbiografie mit etlichen Exkursen, die Langerhans und seine Zeit ebenso vorstellt wie sein Werk. Letzteres ist noch immer weitgehend unveröffentlicht – und das, was publiziert wurde, ist oft nicht leicht zugänglich. Klopoteks Band ermöglicht, diesen vielfach vergessenen Botschafter aus dem Zeitalter der Extreme neu zu entdecken.

Felix Klopotek: «Heinz Langerhans. Die totalitäre Erfahrung». Unrast Verlag. Münster 2022. 372 Seiten. 37 Franken.