Perfume Genius: Engel unter Strom

Nr. 34 –

Im Namen des Körpers, des allmächtigen: Perfume Genius war mit seinem neuen Album «Ugly Season» zu Gast in Zürich.

Perfume Genius auf der Bühne im Zürcher «Bogen F»
Eine sexuelle Utopie als spirituelles Ritual: Perfume Genius im Zürcher «Bogen F». Foto: Benjamin Rauber

In der Kirche gewesen. Getanzt. Wo war das? Auf der Bühne unter den Gleisen, da stand ein Engel unter Strom. Zuerst noch scheinbar verlegene Blicke ins Publikum geworfen, adrett im offenen Zweireiher, am Ende zuckend und triefnass in der Entgrenzung: Outside it’s raining but inside is wet. Das ist zwar nicht sein Text, sondern einer von East 17, sofern sich noch jemand an die erinnert. Aber in der Transzendenz ist es nun mal wie in einem Traum; du kannst nicht unbedingt etwas dafür, welche Verbindungen und Schleusen dabei geöffnet werden.

Die Ansage des Engels, als er auf die Bühne trat, war jedenfalls ähnlich mit Sex aufgeladen, aber viel grundlegender auch körperpolitisch angelegt: «Your body changes everything.» Im Namen deines Körpers, des allmächtigen, fühlst du meine irdische Liebe?

Knietief in der Lust

Aber von vorn. Wir sind hier bei Mike Hadreas alias Perfume Genius. Seine queere Kirche an diesem Abend ist der ausverkaufte «Bogen F» in Zürich, es ist sein einziges Konzert in der Schweiz. Vor zwei Jahren, zum Ende des ersten Lockdowns, ist ein überragendes Album von ihm erschienen, es war sein fünftes, der Titel ein romantischer Befehl, ein hoch entzündliches Versprechen: «Set My Heart on Fire Immediately» (siehe WOZ Nr. 23/2020 ). Doch das Herz, das sofort brennen wollte, musste sich in der Pandemie dann erst mal gedulden.

Jetzt, da sich das endlich auch auf der Bühne entlädt, hat Hadreas schon wieder ein neues Album als Perfume Genius dabei. Die Musik darauf ist allerdings schon älter, sie geht zurück auf eine Tanzperformance, die Perfume Genius zusammen mit der Tänzerin und Choreografin Kate Wallich entwickelt hat. Schon damals brannte etwas: «The Sun Still Burns Here» hiess das Stück, das 2019 in Seattle uraufgeführt wurde und das dann die Arbeit an «Set My Heart on Fire Immediately» stark beeinflusst hat. Der Titel des Albums zum Stück wirkt jetzt auf den ersten Blick auch wie ein Kommentar zu den klimatischen Notständen unserer Zeit: «Ugly Season». Schöne Jahreszeiten? Sind derzeit überall annulliert, ganz egal, wo man sich gerade aufhält.

Wobei das natürlich nicht etwa das Konzeptalbum zur Klimakrise ist, auf das niemand gewartet hat. Den leidenden Planeten dürfen gerne andere besingen, für Perfume Genius sind queere Körper, im Leiden oder in der Erfüllung, immer noch Himmelskörper genug. Auch sein Stück mit Kate Wallich, bei dem er selber mittanzte, kreiste um Sex und Erlösung, Verletzlichkeit und Transzendenz – lauter Themen, an denen sich seine Songs seit jeher entzündet haben.

Eine sexuelle Utopie als spirituelles, fast schon religiöses Ritual: So ähnlich klingt es, wenn Perfume Genius über jene Performance spricht, für die er seinen eigenen Körper erobert hat, als Instrument von Befreiung und Ermächtigung. Die Tanzkritikerin der «New York Times» war offenbar eher peinlich berührt von dem Stück. Schon das Bühnenbild erinnerte sie an Kinder, die im Keller mit Mutters alten Laken spielen, unterm Strich: «unfreiwillig komisch».

Vielleicht darf sich also doch glücklich schätzen, wer jetzt nur den Soundtrack kennt. Zum Album gibts nun auch noch einen Film, mit dem Perfume Genius den afroamerikanischen Künstler Jacolby Satterwhite betraut hat: queerer Trash-Surrealismus auf einer Art digital animiertem Rummelplatz, muss man auch nicht unbedingt gesehen haben.

Die Musik steht jedenfalls sehr gut für sich, «Ugly Season» entfaltet auch ohne tanzende Körper seine eigene Dramaturgie der Ekstase. «Turned from God», singt Perfume Genius mittendrin im Titelstück, die Stimme hier so tief gelegt wie sonst nie bei ihm, brummend in dunkler Erregung. «Knee deep and filthy», knietief und schmutzig, knietief in der Lust. Dieser Engel kann auch ein gefallener sein, und es gefällt ihm.

Breitspurig schmalbrüstig

Dabei hebt das Album extrem sachte an, fast schon ätherisch, wie ein Windspiel, der Gesang nur im Flüsterton. Fast zehn Minuten dauert es, bis sich erstmals überhaupt ein Hauch von einem Beat herantastet, doch nach der Falsettstimme im glitzernden «Pop Song» wartet dann der Rave: «Eye in the Wall», polyrhythmisch treibend, über acht Minuten lang Schweben im Rausch. Und fast zum Schluss mündet alles in den bösen, nervösen Dissonanzen von «Hellbent». Sphärenklang und Kammermusik, Popsongs und finsterer Lärm: Sonst noch was?

Im Konzert spielt Perfume Genius mit seiner Band dann zwar nur zwei Songs von «Ugly Season». Gerade in den intimsten Momenten – Hadreas ganz allein am Rhodes-Piano, das Publikum atemlos, still wie in der Kirche – wird nochmals klar, was sich bei ihm seit den herzzerreissend schlichten Klavierliedern auf seinen ersten beiden Platten vor zehn, zwölf Jahren alles entfaltet hat.

Mit dem Produzenten Blake Mills und seinem Partner Alan Wyffels hat sich Hadreas in den letzten Jahren einen musikalischen Kosmos erschlossen, der sich allen gängigen Genres und Kategorien entzieht. Auf der Bühne klingt das phasenweise wie Gospel in der Disco, der schwule White Boy als Erweckungsprediger, als Getriebener. Zerbrechlich kann er immer noch, aber eben auch ungemein wuchtig, mit dieser phänomenalen Band im Rücken, und manchmal ist er beides im gleichen Moment: breitspurig schmalbrüstig.

Es ist ein fantastisches Konzert. In der Lautstärke, in der Stille, in der schieren Dringlichkeit, die auch dann hoch bleibt, wenn die Band mal mitten im Song das Tempo drosselt, die Energiezufuhr abdreht. Schmerz kann auch Lust bedeuten und umgekehrt, so verbinden und vermischen sich gegensätzliche Intensitäten. Ganz ähnlich wie auf dem Albumcover zu «Ugly Season» dieses Gemälde von Nicasio Torres: Perfume Genius inkognito, übermalt zu einer Art Fabelwesen aus farbigen Schlieren, fast abstrakt, eine schön-hässliche Drag Queen von grenzenlos fluider Identität. Und nur etwas mehr als einen Kilometer Luftlinie entfernt, zur selben Zeit am selben Abend, steht eine eher gestrige Form von Männlichkeit auf der Stadionbühne und ihre Fangemeinde im Regen.

Perfume Genius: «Ugly Season». Matador Records. 2022.