Algiers: Todesrave für eine verkrachte Welt

Nr. 27 –

Mit ihrem neuen Album «The Underside of Power» treten Algiers dem politischen Wahnsinn mit melodramatischem Bombast entgegen. Vor ihrem apokalyptischen Gospel gibt es kein Entrinnen – und man kann sogar dazu tanzen.

Martialischer Ernst: Algiers (Lee Tesche, Ryan Mahan, Franklin James Fisher und Matt Tong). Foto: Matador Records

Der Panther springt dir direkt entgegen. Zwischen einem aggressiven Trap-Beat, bedrohlichem Postpunklärm und vereinzelten Stichen aus dem Synthesizer hört man noch, wie Franklin James Fisher seine satte Soulstimme bis dahin treibt, wo sie überschlägt, und den Aufstand ausruft. Dann kreischt er, dass es unter die Haut geht: «Wooooooo». Die Tonspur scheint zu bersten, wenn er die Grenze des sprachlichen Ausdrucks pulverisiert. So klingt bei Algiers die Revolution.

Der Panther, um den es in «Walk Like a Panther», dem ersten Track auf ihrem neuen Album «The Underside of Power», geht, ist ein Black Panther: der Aktivist Fred Hampton, der 1969 von US-Polizisten im Schlaf erschossen wurde. Das Album eröffnet mit einem Sample aus einer seiner Reden. Hampton beschwört darin die Sprengkraft konservierter Erinnerung für den kommenden Aufstand. Mit «The Underside of Power» wollen auch Algiers, die nach einer Schlacht im algerischen Befreiungskrieg benannt sind, eine solche Erinnerung schaffen: gerade so viel eben, wie sich vom politischen Kampf auf eine Platte pressen lässt.

«Wir kommen zurück!»

Am offensichtlichsten in der Gegenwart bewegt sich die apokalyptische Gospelhymne «Cleveland». Ihr Titel ist eine doppelte Referenz: in Bezug auf den Gospel «Peace Be Still» von James Cleveland und die Stadt im Bundesstaat Ohio, wo der zwölfjährige Schwarze Tamir Rice 2014 von einem Polizisten erschossen wurde. Immer wieder die tödlichen Kugeln von US-Polizisten. Dann sind da auch die sieben jungen Schwarzen, deren Namen in «Cleveland» aufgezählt werden. Sie haben gemeinsam, dass ihr ungeklärter Tod ohne die strukturelle rassistische Gewalt des US-Sicherheitsapparats kaum denkbar wäre. Der Song soll den Tag des Jüngsten Gerichts evozieren, der endlich Gerechtigkeit bringt; immer wieder erklingt die Drohung: «Wir kommen zurück!»

Algiers agieren mit dem grossen Pinsel; dem politischen Wahnsinn treten sie mit melodramatischem Bombast entgegen. Den martialischen Ernst, der nie ironisch gebrochen wird, nimmt man ihnen trotzdem ab. Neben Fishers ausdrucksstarkem Gesang hat das auch mit den Widersprüchen zu tun, die sich in verschiedenen Linien durch die Band und ihr Werk ziehen. Was Algiers zusammenhält, so könnte man sagen, ist der Konflikt.

Bei der Band selber ist dieser vor allem geografisch. Die Gründungsmitglieder, Bassist Ryan Mahan, Gitarrist Lee Tesche und eben Fisher, wuchsen in Atlanta im US-Bundesstaat Georgia auf, zwei von ihnen lebten bei der Gründung der Band jedoch in Paris und London. Der Engländer Matt Tong, Exschlagzeuger von Bloc Party und Wahl-New-Yorker, stiess nach dem Debüt «Algiers» (2015) zur Band. Noch heute wird sie vom Atlantischen Ozean geteilt. Das wirkt sich auch auf ihre Arbeitsweise aus. Während der ersten Aufnahmen für «The Underside of Power» mit Produzent Adrian Utley von Portishead befanden sich nie alle vier Musiker gleichzeitig im Studio im englischen Bristol.

Euphorie statt Katharsis

Das war übrigens gerade zu der Zeit, als auf der Insel der Brexit beschlossen wurde. Und als die Band dann für weitere Aufnahmen wieder in die USA übersiedelte, bahnte sich dort bereits die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten an. Zwar haben Algiers keine Kritik der Tagespolitik im Sinn, dennoch klingt es so, als würde die Band in ihrer Musik eine verkrachte Welt abbilden. Griffige Parolen und Referenzen auf die Literaturgeschichte sind dafür nur zweitrangig. Ihr stärkstes Mittel ist die Musik selber, die weder auf Eskapismus noch auf Katharsis zielt. In ihren besten Momenten wird sie getragen von einer dunklen Euphorie, die einzigartig ist.

Gleich nach dem agitatorischen Albumauftakt ist der Aufstand auch schon wieder vorbei. In «Cry of the Martyrs» verabschiedet sich ein einsamer Revolutionär zwischen Gefängnismauern vom Traum von einer besseren Welt. Dunkle Drones und ein beschwörender Chor spitzen den Song immer wieder dramatisch zu, doch der beschwingte Rhythmus und der belebte Gesang nehmen ihm die Schwere. Zu dieser Musik kann man tanzen, man muss sie aber auch aushalten.

Sommerhit für die Weltrevolution

Algiers suchen den Konflikt mit dem Publikum. Ihre Songs drängen sich auf, fordern mit ihrer Dichte an Sounds und Beats das Gehör. Man kann darin graben, immer neue Schichten erschliessen und durchdringen. Allein diese Widerspenstigkeit ist politisch. Trotzdem wirkt der triumphale, im Motown-Groove beheimatete Titelsong befreiend. Über einen singenden Bass und eine Stakkatogitarre wie bei The Clash schwillt er zu einem hinreissenden Refrain an, den man mitsingen will. Am Vorabend der Weltrevolution wäre er der Sommerhit.

Doch so verführerisch geben sich Algiers selten. Das Spektrum beklemmender Tonlagen auf «The Underside of Power» reicht von der tieftraurigen Pianoballade «Mme Rieux» bis zum wild zuckenden Synth-Punk von «Animals». Am schönsten aber glänzt seine dunkle Seite im «Death March». Der Song gräbt in einem wüsten Sumpf, in dem Kryptofaschisten den Hass kultivieren. Die beklemmende Atmosphäre leiht er sich bei Soundtracks alter italienischer Horrorfilme. Schroffe Gitarren und ein obsessiver Bass drehen sich um einen zerhackten Beat, geisterhafte Chöre und brummende Elektronik um Fishers Stimme.

Und dann, statt eines Refrains, breitet sich über allem diese satte, schimmernde Synthiefläche aus. Bei jedem Durchgang wird der Beat technoider – der Todesmarsch wird zum Todesrave. Wie einem dabei das Serotonin ins Gehirn schiesst, das ist beängstigend.

Algiers: The Underside of Power. Indigo. 2017