Michail Gorbatschow (1931–2022): Der Weltpolitiker

Nr. 35 –

Kurz nachdem in der Nacht auf Mittwoch bekannt geworden war, dass Michail Gorbatschow im Alter von 91 Jahren gestorben ist, tauchte aus den Untiefen des Internets ein altes Video auf: der erste und letzte Präsident der Sowjetunion wirbt für Pizza Hut. Während Gorbatschow in der Moskauer Filiale der US-Kette sitzt, wird am Nebentisch dessen Politik verhandelt. «Wegen ihm haben wir ökonomisches Chaos und politische Instabilität», sagt einer. «Wegen ihm haben wir neue Möglichkeiten», entgegnet ein anderer. In einem sind sich alle einig: «Wegen ihm haben wir Pizza Hut.»

Aus heutiger Sicht wirkt der Spot wie der perfekte Kommentar auf die Wirtschaftspolitik der neunziger Jahre: Westliche Berater:innen überzeugten die russische Führung von einer neoliberalen «Schocktherapie», die Privatisierung und Liberalisierung brachte, demokratische Reformen aber auf später verschob. Gorbatschow, der einstige Bauernsohn aus der Provinz, war da nicht mehr an der Macht; die Schuld für die massenhafte Verarmung der Bevölkerung gaben ihm in Russland allerdings viele.

Im Westen stand der Name Gorbatschow hingegen für Perestroika und Glasnost, für atomare Abrüstung und deutsche Wieder­vereinigung. Für seinen Beitrag zur Sicherheit in der Welt erhielt er 1990 den Friedensnobelpreis. Ein Jahr später war er bereits so stark unter Druck, dass er die Sowjetunion auflöste. Die Sie­ger:in­nen des Kalten Krieges feierten das «Ende der Geschichte».

Gorbatschow blieb gesellschaftspolitisch tätig, gründete eine Stiftung und beteiligte sich finanziell an der oppositionellen «Nowaja Gaseta». Wladimir Putin kritisierte er für dessen antidemokratische Haltung und rief ihn nach den Protesten 2011/12 zum Machtverzicht auf. Zugleich verteidigte er die Annexion der Krim – und zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine äusserte sich der Schwerkranke nicht öffentlich.

Putin wiederum sieht das Ende der So­wjetunion als «grösste Katastrophe des 20. Jahrhunderts». Sein Krieg hat jegliche Hoffnung in die Demokratisierung zerstört, die Gorbatschow im Sinn hatte – und damit auch dessen Erbe.

Einen ausführlichen Nachruf auf Michail Gorbatschow lesen Sie in der nächsten WOZ.