Niederlande: Das Drama von Ter Apel

Nr. 35 –

Hinter der katastrophalen Lage in den niederländischen Asylzentren stecken politische Fehlentscheide. Fatale Folge: eine wachsende Ablehnung von Geflüchteten in der Bevölkerung.

Haiti, Myanmar, Ukraine, Afghanistan, Gua­temala – überall dort ist die Hilfs­or­ga­ni­sa­tion Médecins Sans Fron­tières (MSF) aktiv. Seit einer Woche gehören auch die Niederlande zu ihren Einsatzgebieten – genauer gesagt das Anmeldezentrum für Asyl­bewer­ber:innen in Ter Apel bei Groningen. «Eigentlich sollten wir hier nicht sein müssen», kommentierte Judith Sargentini, Direktorin des niederlän­dischen MSF-Zweigs. Dass man erstmals in der Geschichte in den Niederlanden bei einer Krise einspringen müsse, sei «beschämend».

Doppelstrategie der Regierung

Der Einsatz des fünfköpfigen MSF-Teams markiert den Höhepunkt der seit Monaten anhaltenden Krise in Ter Apel. Dort müssen sich alle registrieren, die in den Niederlanden um Asyl nachsuchen, wodurch schnell eine Art Nadelöhr entsteht, wenn die Vorgänge nicht glatt ablaufen. Den Preis dafür zahlen Menschen, die das Ergebnis ihres Asylverfahrens in staatlichen Wohnheimen abwarten sollten. Seit Monaten schlafen immer wieder viele von ihnen im Freien vor dem Gebäude. Letzte Woche waren es in drei Nächten jeweils etwa 700 Menschen.

Bei einem ersten Ortsbesuch stellten Ver­tre­ter:in­nen von MSF schwere Mängel bei den hygienischen Verhältnissen fest und verglichen die Situation gar mit jener im Camp Moria auf der griechischen Insel Lesbos. Zu Beginn des Einsatzes mussten zwei Asylbewerber umgehend ins Krankenhaus gebracht werden. Der Tod eines drei Monate alten Babys, das unter bislang unbekannten Umständen letzte Woche in einer Sporthalle, die als Notunterkunft diente, starb, katapultierte die seit Monaten schwelende Krise in den Fokus der niederländischen Politik.

Inzwischen hat die niederländische Regierung neben mehreren kurzfristigen Notunterkünften eine Kaserne gefunden, um ab Mitte September bis zu 700 Asylsuchende vor­über­ge­hend zu beherbergen. Die MSF-Leute würden allerdings noch vier bis sechs Wochen in Ter Apel bleiben, sagt ein Sprecher gegenüber der WOZ. Auch die Ursachen der Krise sind nicht behoben: weder der Rückstand der Behörden bei der Bearbeitung der Asylanträge noch der Entscheid nach der sogenannten Flüchtlingskrise 2015, die Zahl der Unterkünfte schnellstmöglich abzubauen. Gleiches gilt für den immensen Wohnungsmangel im Land: Das Fehlen von 300­ 000 Wohneinheiten sorgt dafür, dass anerkannte Asyl­be­wer­ber:in­nen lange in Übergangsheimen bleiben ­müssen.

Die Regierung verfolgt nun eine doppelte Strategie: Einerseits will die zerstrittene Mitte-rechts-Koalition die Zahl der Auffangplätze um 20 000 erhöhen, andererseits den Familiennachzug bis zu fünfzehn Monate aussetzen, wenn keine Unterkunft zur Verfügung steht. Die Massnahme wurde von der niederländischen Kinderombudsfrau Margrite Kalverboer umgehend heftig kritisiert.

Mainstream driftet nach rechts

Auch die anvisierten 20 000 Aufnahmeplätze bestehen zunächst nur auf dem Papier. Die Ereignisse dieses Sommers lassen keinen Zweifel daran, dass die von der Regierung beabsichtigte Mithilfe der Gemeinden ein heikles politisches Tauziehen wird: In Albergen, einem Dorf an der deutschen Grenze, kaufte die Unterbringungsbehörde COA im August ein Hotel, um dort 300 Asylsuchende unterzubringen – ohne die zuständige Kommune zu konsultieren. Als Reaktion gab es mehrere Protestkundgebungen.

Der Tenor des Protests reichte von Frust darüber, keine Mitsprache erhalten zu haben, über Angst vor «zu vielen» Asyl­bewer­ber:in­nen im Dorf bis hin zu unverhohlen rassis­tischer Ablehnung. Diese spannungsgeladene Mischung spiegelt die diffuse Antiregierungsstimmung in weiten Teilen des Landes wider.

Wie explosiv die Lage ist, zeigt ein Brand in dem Hotel in Albergen am frühen Montagmorgen. Die Polizei teilte inzwischen mit, dass es sich um Brandstiftung handle. Zugleich hat sich in sozialen Medien eine Rhetorik ausgebreitet, die Asyl­be­wer­ber:in­nen als «Glückssucher» bezeichnet und ihre pauschale Ausschaffung fordert. Derweil wird das Schlagwort «Asylstopp» bis weit in bürgerlich-konservative Kreise hinein immer lauter.