Axpo-Rettung: Desaster mit Ansage
Die Axpo muss mit grosser Wahrscheinlichkeit mit einigen Milliarden Franken vom Bund gerettet werden, weil an der Börse der Strompreis verrücktspielt. Medien schreiben, die Axpo sei «too big to fail». So wie die UBS, die 2008 von Bund und Nationalbank mit rund 68 Milliarden Franken gerettet werden musste. Der Vergleich stimmt nur beschränkt. Die Axpo ist vor allem «too public to fail», zu öffentlich, um sie in den Bankrott gehen zu lassen. Sie gehört der Bevölkerung und nicht irgendwelchen gewinnorientierten Aktionär:innen. Zwar gibt es Aktionäre, doch sind das die Nordostschweizer Kantone.
Die Kraftwerke sind für die Bevölkerung da – und nicht für Spekulanten an der Börse.
Dass der Strompreis verrücktspielt, hat nur am Rand mit dem Krieg gegen die Ukraine zu tun. Früher oder später hätte irgendein Ereignis zu denselben irren Ausschlägen geführt. Das liegt in der Natur des sogenannten freien Marktes und der Strombörse. Noch vor nicht allzu langer Zeit war die Axpo fast pleite, weil der Strom auf dem europäischen Strommarkt nichts mehr wert war. Zu jener Zeit zahlte man für eine Kilowattstunde 3 bis 4 Rappen. Damit liessen sich die Gestehungskosten der Kraftwerke niemals decken. Das war verrückt. Aktuell zahlt man an der Strombörse für eine Kilowattstunde 1115 Rappen. Das ist noch verrückter. Wer jetzt auf dem freien Markt einkaufen muss, hat ein gigantisches Problem.
In Europa sind die meisten privaten Haushalte vom Markt abhängig, weil die EU ultimativ verlangte, dass alle Mitgliedsländer ihre Stromversorgung liberalisieren. Angeblich, um Strom billiger zu machen. Das Gegenteil ist eingetreten. Ärmere Leute sind jetzt kaum mehr in der Lage, ihre Stromrechnung zu begleichen.
In der Schweiz dürfte es nicht ganz so hart werden. Der Strommarkt ist nur zum Teil liberalisiert. Dank der Gewerkschaften*, die eine radikale Liberalisierungsvorlage gebodigt haben. Der Bund drängte danach auf eine totale Liberalisierung, setzte sich aber bislang nicht durch. Die Bevölkerung wird heute immer noch von lokalen Elektrizitätswerken versorgt. Die sind verpflichtet, den Strompreis an den Gestehungskosten auszurichten. Deshalb war er nie ganz billig – und wird jetzt nicht exorbitant teuer. Laut der Elektrizitätskommission (Elcom) dürfte er dieses Jahr für die Haushalte im Schnitt um 27 Prozent steigen. Das ist viel, aber verglichen mit dem Ausland überschaubar.
In der Schweiz wird zurzeit immer errechnet, wie viel Strom die Kraftwerke bereitstellen können, um das Land in Krisenzeiten zu versorgen. Gleichzeitig handeln aber die Unternehmen, denen diese Kraftwerke gehören, denselben Strom an der Börse. In geruhsamen Friedenszeiten mag das aufgehen. In Krisenzeiten kommt es jedoch schnell zum Kollaps. Insbesondere, weil die Handelsaktivitäten der Schweizer Energieunternehmen eine absolute Blackbox sind. Niemand weiss, wie viel des hiesigen Stroms, der in den nächsten Jahren erst produziert wird, schon längst verkauft ist. Immerhin führt die Krise bei der Axpo dazu, dass der Konzern jetzt mehr Transparenz schaffen muss.
Dass die Axpo gerettet werden muss, ist allerdings nur teilweise ihre Schuld. Die Elektrizitätswerke der Eignerkantone haben ihr jahrelang den Strom nicht abgenommen, weil sie lieber billiger einkauften. Der Axpo blieb nichts anderes übrig, als ihren Strom möglichst gewinnbringend zu handeln. Jetzt ist sie am Punkt, wo ihr das Geschäft um die Ohren fliegen kann. In einigen Monaten dürfte sie aber wieder gewaltige Gewinne einstreichen – vorausgesetzt, dass es sie dann noch gibt.
Es ergibt deshalb durchaus Sinn, sie jetzt zu retten. Nur sollte es eine Warnung sein. Danach muss mit dem Stromcasino Schluss sein. Die Schweizer Kraftwerke gehören der Schweizer Bevölkerung – sie sollen das Land versorgen und nicht an der Börse Gewinn erwirtschaften. Beides gleichzeitig geht nicht, wie man jetzt sieht. Strom ist eben kein normales Gut. Elektrizität steht am Anfang der ökonomischen Nahrungskette. Ohne Strom geht nichts.
* Korrigenda vom 20. September 2022: In der Printversion sowie in der alten Onlineversion stand fälschlicherweise, die SVP habe zusammen mit SP und den Gewerkschaften die radikale Liberalisierung des Strommarktes verhindert. Das ist nicht richtig. Die SVP hat das entsprechende Referendum nicht unterstützt. Richtig ist hingegen, dass – laut VOX-Analyse – die Vorlage an der Urne abgelehnt wurde, weil auch viele SVP-Wähler:innen dagegen stimmten. Wir bitten für diesen Fehler um Entschuldigung.