Drohende Katastrophe im Roten Meer: Wie eine Zeitbombe

Nr. 40 –

Vor der jemenitischen Küste liegt ein maroder Tanker, der jederzeit ­ auseinanderbrechen oder explodieren könnte. Doch die Bürgerkriegsparteien stellen ihre Interessen über diejenigen von Menschen und Umwelt.

Symbolbild: Werbebild der Firma SMIT: Inspektoren an Deck eines Öltankers
Eine Million Barrel Öl muss abgepumpt werden. Eine von der Uno in Auftrag gegebene Animation zeigt, wie das gehen soll (www.un.org). Animation: Boskalis

Der schlimmste Fall sähe so aus: Der Tanker bricht auseinander und sinkt. Innerhalb von sieben Tagen fliessen 1 140 000 Barrel Rohöl ins Rote Meer. Ein Ölteppich breitet sich aus, über die ganze Westküste des Jemen, nach Norden Richtung Saudi-Arabien, im Westen bis an die ostafrikanische Küste und im Süden in den Indischen Ozean.

So prognostiziert es die Uno in einem Bericht über die FSO Safer, einen Tanker Jahrgang 1976, der seit Ende der achtziger Jahre vor der jemenitischen Hafenstadt Hodeidah ankert. FSO steht für Floating Storage and Offloading Terminal, das Schiff diente als schwimmendes Zwischenlager und Umladeterminal für Öl, das in der Provinz Maarib gefördert und dann exportiert wurde. Bis 2014 der Bürgerkrieg ausbrach: In einer Blitzoffensive eroberte die radikalschiitische Huthi-Miliz die Hauptstadt Sanaa und zwang die Regierung zum Rücktritt, die ihren Sitz später in die südliche Hafenstadt Aden verlegte.

Die FSO Safer, nun unter der Kontrolle der Huthi, wurde seither nicht mehr gewartet. Heute ist das Schiff in äusserst desolatem Zustand: so gerostet, dass 2020 ein Rohr barst und Meerwasser wie aus einem Hydranten in den Maschinenraum schoss. Die Sicherheitssysteme sind zusammengebrochen, zum Beispiel jenes, das nicht entzündbares Gas in die Ölkammern pumpen soll, um eine Explosion zu verhindern. Laut der Uno ist das Schiff so marode, dass es nicht mehr repariert werden kann.

Lebensgrundlage bedroht

Dass es zur Explosion komme oder der Tanker auseinanderbreche, sei nur noch eine Frage der Zeit. So sagte es David Gressly, Uno-Koordinator für humanitäre Hilfe im Jemen, auf einer Medienkonferenz im Mai. Im Grunde sei es ein Wunder, dass dies bis heute nicht passiert sei.

Immerhin: Nachdem sich die Uno während Jahren vergeblich um eine Lösung bemüht hatte, konnten sich die jemenitischen Kriegsparteien inzwischen auf einen Plan zur Bergung des Öls einigen. Und nach einer monatelangen Kampagne, bei der die Uno sogar Private via Crowdfunding zum Spenden aufrief, sind inzwischen auch die dafür benötigten achtzig Millionen US-Dollar zusammengekommen. Sobald das gesprochene Geld überwiesen ist, kann das Öl von der FSO Safer auf ein anderes Schiff gepumpt werden.

Die Uno und diverse Geberländer feiern es als Meilenstein, dass das Geld gesammelt werden konnte: Endlich könnten die Bergungsarbeiten beginnen und die drohende Katastrophe damit verhindert werden. Denn sie wäre laut den Vereinten Nationen die grösste Ölpest, die es je gab, ihre Folgen verheerend: Hunderttausende Fischer:innen im Jemen verlören ihre Lebensgrundlage. Die Häfen Hodeidah und Salif, über die bisher die meisten Importe und Hilfsgüter in den Norden des Landes gelangen, müssten für Wochen schliessen. Die Korallenriffe im Roten Meer, die als besonders resistent gegen höhere Wassertemperaturen gelten, wären gefährdet. Das Rote Meer wäre vorübergehend für Containerschiffe unpassierbar, die Route durch den Suezkanal blockiert.

Spencer Osberg, leitender Wirtschaftsexperte bei der jemenitischen Denkfabrik Sanaa Center for Strategic Studies, ist allerdings skeptisch, was die Bergungsarbeiten betrifft. Vor allem die volatile politische Lage im Jemen macht ihm Sorgen: «Wir wissen nicht, wie sie sich entwickeln wird.» Am Wochenende haben die Huthi den vor fast sechs Monaten vereinbarten Waffenstillstand für beendet erklärt. Flammen die Kämpfe um die Hafenstadt Hodeidah ganz in der Nähe der FSO Safer wieder auf, könnte das den Zugang zum Schiff verunmöglichen. Die Huthi – bekannt dafür, ihre Versprechen zu brechen – könnten auch dieses Mal Abmachungen platzen lassen. Kurz: «Alles könnte im schlechtesten Moment schieflaufen», sagt Osberg.

Katastrophe als Druckmittel

Zuverlässig waren die Kriegsparteien bisher vor allem darin, ihre eigenen Interessen rücksichtslos über die Bedürfnisse der notleidenden Zivilbevölkerung zu stellen. Die FSO Safer ist dafür ein besonders groteskes Beispiel: Eine Einigung darauf, das Öl zu bergen, scheiterte jahrelang daran, dass beide Seiten Anspruch auf den Erlös eines möglichen Verkaufs der Ladung erhoben. Darüber hinaus nutzten vor allem die Huthi die drohende Katastrophe als Druckmittel, um immer wieder neue Forderungen an ihre Gegner oder die Uno zu stellen. Dabei wären sie von einer Ölpest und der Schliessung des Hafens von Hodeidah in der Folge sogar schwerer betroffen als die Regierung in Aden. Die Regierung wiederum bemühte sich lange nicht um eine Lösung, weil sie wusste, dass für eine mögliche Ölpest die Huthi verantwortlich gemacht würden.

Dass es aber nach der Einigung trotzdem noch Monate gedauert hat, bis das benötigte Geld für die Bergungsarbeiten zusammengekommen ist, wirft wiederum auf die internationale Gemeinschaft ein schlechtes Licht. Achtzig Millionen Dollar sind nicht viel, umgerechnet sprach der Bundesrat Anfang März etwa diesen Betrag für die humanitäre Hilfe im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine. Dem gegenüber stehen zwanzig Milliarden Dollar, die es laut Schätzungen bräuchte, um die Folgen einer Ölpest aufzufangen. Doch für Prävention budgetierten Staaten, anders als für Katastrophenhilfe, kaum Geld, sagt Uno-Koordinator Gressly.

Eigentlich keine Überraschung: Selbst bei der Klimakrise führen die drohenden enorm hohen Kosten in der Zukunft nicht dazu, dass versucht wird, die Katastrophe heute mit geringeren Kosten zu verhindern. Warum sollte es bei einem einzigen Öltanker anders sein?