Bundesratswahl: Freie Fahrt für den Ölkönig

Nr. 41 –

Albert Rösti gilt als Kronfavorit für die Nachfolge von SVP-Finanzminister Ueli Maurer im Bundesrat. Dabei hat der Mann eine riesige Schadensbilanz vorzuweisen. Woher kommen die Sympathien?

Albert Rösti an einer Pressekonferenz
Gut gelaunter Kandidat: Kritische Stimmen gegen einen Bundesrat Albert Rösti gibt es kaum. Foto: Peter Schneider, Keystone

Albert Rösti hat sich den passenden Ort ausgesucht, um seine Kandidatur für den Bundesrat bekannt zu machen. Es ist Montag, Rösti sitzt im Panoramazimmer des Berner Hotels Kursaal; vor ihm drei Dutzend Journalist:innen und ein unvergleichlicher Blick auf das ganze Machtpanorama der Bundesstadt. Bevor Rösti loslegt und durch den Reifungsprozess dieser gewichtigen Entscheidung führt, richtet er einen kurzen Dank aus: an den CEO der Eigentümergesellschaft des «Kursaals», der ihm das prächtige Sitzungszimmer so kurzfristig zur Verfügung gestellt habe. Der Mann ist gewissermassen auch Röstis CEO. Denn Albert Rösti ist Verwaltungsrat des im selben Gebäude untergebrachten Spielcasinos, das wiederum eine Tochtergesellschaft der Eigentümerfirma des «Kursaals» ist.

Albert Rösti, Multilobbyist und auch noch SVP-Nationalrat, will also in den Bundesrat, um die Nachfolge von Ueli Maurer anzutreten, der auf Ende des Jahres als Finanzminister abtritt. Dem ehemaligen Parteipräsidenten aus dem Berner Oberland werden allerseits beste Chancen für die Wahl am 7. Dezember eingeräumt. Gegenstimmen sind nicht auszumachen – was angesichts der beachtlichen Schadensbilanz Röstis dann doch überrascht.

Kalte Schulter für die Gletscher

Albert Rösti hat ein besonderes politisches Talent: Er bringt die Leute dazu, etwas in ihm zu sehen, das er nicht ist. «Er ist das Gesicht der SVP – und doch ganz anders», titelt der «Tages-Anzeiger» nach der Bekanntgabe seiner Kandidatur. Dabei weist ihn sein Abstimmungsverhalten im Nationalrat als linientreuen Rechtsaussen aus. Die NZZ würdigt ihn als «anstandslos anständig», was bei SVP-Politikern offenbar schon ein Qualitätsmerkmal ist. Wie anständig und anders Rösti ist, offenbarte sich kürzlich an der Schlussabstimmung zur Gletscherinitiative im Parlament, als der 55-Jährige mit einigen anderen Parteikolleg:innen dem Rat demonstrativ den Rücken kehrte.

Mal im Interesse von Swissoil, mal zugunsten der Wasserkraft – alles eine Frage des Mandats.

Neuerdings gilt Albert Rösti sogar als kompromissfähig. Er sei «offen für Optionen und Lösungsideen für reale Probleme», säuselt SP-Nationalrätin Jacqueline Badran auf Twitter und attestiert ihm Wählbarkeit. Bloss weil er seine Partei unlängst dazu brachte, im Parlament die sogenannte Solaroffensive nicht zu torpedieren. Die von ihm abverlangte Gegenleistung: eine gesetzlich festgeschriebene Erhöhung der Grimselstaumauer.

Röstis Begeisterung für Staumauern ist nicht neu und überrascht nur auf den ersten Blick. Er ist seit mehreren Jahren Präsident des Schweizerischen Wasserwirtschaftsverbands (SWV). Dem SWV gehören alle grossen Energieunternehmen der Schweiz an, etwa die Axpo und Alpiq. Als Präsident setzt sich Rösti im Parlament kraftvoll für die Interessen der Wasserkraft ein. Und er wird dafür bezahlt. Wie hoch sein Honorar ist, ist nicht öffentlich, der Geschäftsführer Andreas Stettler verweist gegenüber der WOZ auf die im Geschäftsbericht ausgewiesenen 50 000 Franken Aufwand zugunsten der Verbandsgremien. Wie viel davon auf das Präsidium entfällt, wird nicht deklariert. Stettler nennt es ein «bescheidenes Honorar».

Für Wasserkraft und Ölverbrennung

Es wird aber wohl Röstis Motivation nicht geschadet haben, sich für eine Erhöhung der Grimselstaumauer einzusetzen. Oder etwa, eine parlamentarische Initiative zur Anpassung des Wasserrechtsgesetzes einzureichen. Sie wurde 2019 angenommen und höhlte den Gewässerschutz aus, um die Konzessionierung neuer Wasserkraftwerke zu vereinfachen.

«Die parlamentarische Initiative Rösti wird uns noch lange beschäftigen», sagt dazu Michael Casanova, verantwortlich für den Gewässerschutz bei Pro Natura. Zwar sei die bestehende Wasserkraft wichtig. «Aber beim Einsatz Röstis und des SWV für den Ausbau einer Energiequelle, deren Potenzial schon zu über 95 Prozent ausgeschöpft ist, steht heute der Profit der Energieunternehmen im Vordergrund – häufig zulasten der akut bedrohten Biodiversität.» Im selben Jahr, in dem seine parlamentarische Initiative angenommen wurde, befand Rösti angesichts des damals heissen Sommers, man solle sich, statt dem «Klimahype» zu verfallen, doch über das schöne Wetter freuen. Folgerichtig setzte sich Rösti in den folgenden Jahren trotz seines Engagements für die Wasserkraft gegen die Revision des CO₂-Gesetzes ein. Was wiederum ebenfalls nicht besonders überrascht, war er doch zu dieser Zeit noch Präsident von Swissoil, dem Dachverband der Brennstoffhändler in der Schweiz. Rösti und Swissoil bekämpften die Vorlage vehement. Und auch für dieses Mandat wurde er bezahlt.

Mal also kämpft Rösti für einen schlanken Staat und gegen eine griffige Umweltpolitik im Interesse der Erdöllobby, mal für Subventionen zugunsten der Wasserkraft. Alles eine Frage des Mandats.

Bezeichnend ist ein weiterer politischer Kampf, den Rösti gerade auf einem Nebenschauplatz führt. Als Präsident des Schweizerischen Freibergerverbands setzt er sich für die Züchter:innen der Freiberger ein. Der Bund will die Zuchtprämie um ein Drittel kürzen. Rösti geht auf die Barrikaden: Man solle die Subventionen nicht kürzen und die Pferderasse «nicht abstrafen».

Diesen Mai dankte Rösti nach sieben Jahren bei Swissoil ab. Seinen Rückzug begründet der Ölkönig mit dem erfolgreichen Kampf gegen das CO₂-Gesetz: Weil Brennstoffabgaben und Ölheizungsverbote auf Bundesebene vom Tisch seien, verschiebe sich der Fokus des Verbands auf die Kantone.

Rösti ist dagegen der Mann für die grosse Bühne. Lange blieb die Leerstelle in seinem Terminkalender nicht bestehen. Noch im Mai wurde er als neuer Präsident von «auto-schweiz» vorgestellt. An der Generalversammlung der Autoimporteure kündigte er an, sich «uneingeschränkt» für die Anliegen der «motorisierten Individualmobilität» einzusetzen, etwa für den Ausbau der Autobahnen auf drei Spuren. Über die Höhe des Honorars ist auch hier nichts bekannt. Beim Präsidium handle es sich um eine Anstellung zu dreissig Prozent, sagt der Direktor von «auto-schweiz», Andreas Burgener. Auf die Frage, ob er nicht Angst davor habe, bald wieder einen neuen Präsidenten finden zu müssen, falls Rösti jetzt Bundesrat werde, antwortet Burgener mit Nein. Einen ehemaligen Präsidenten im Bundesrat zu wissen, wäre für seinen Verband natürlich auch ein Gewinn.

Vollendete Verharmlosung

Für die Ratslinke trifft das Gegenteil zu. Und doch ist von der SP keine Kritik an Albert Rösti zu vernehmen. Ausser der wohlwollenden Meinung Badrans zu seiner Kandidatur ist nichts zu hören. Egal wen man bei den Sozialdemokrat:innen fragt in diesen Tagen: Niemand will etwas sagen. Selbst die Berner Nationalrätin Tamara Funiciello winkt ab, sie sagte nach Maurers Rücktritt auf Tele Züri, die SVP habe einen «unbestrittenen Anspruch auf zwei Sitze im Bundesrat».

Eine deutliche Analyse liefern dafür die Grünen. Generalsekretär Florian Irminger wirkt am Telefon einigermassen fassungslos über den Umgang mit Rösti und der SVP: «Erst hat die Mehrheit des Parlaments ihnen Blocher geschenkt, dann Maurer und jetzt Rösti?» Dass Rösti im Stil «gmögiger» sei, dürfe nicht darüber hinwegtäuschen, dass er politisch nicht einfach ein wertkonservativer traditioneller Bürgerlicher sei: «Albert Rösti war von 2016 bis 2020 Präsident der SVP und politisch deckungsgleich mit Blocher.»

Dass er nun als eigenständiger, intern umstrittener Kopf dargestellt werde, sei Teil der SVP-Inszenierung, um Rösti eine breite Mehrheit zu beschaffen. Und alle anderen Parteien würden dankbar darauf anspringen. «Die Bundesratsparteien haben kein Interesse an einer Kampfwahl zum jetzigen Zeitpunkt.» Die Grünen entscheiden nächste Woche über eine eigene Kandidatur. Irminger fordert: «Wir müssen nun Druck aufbauen, um den Erdölbaron zu verhindern!»

Doch bislang sieht es so aus, als müssten die Grünen diesen Kampf alleine führen. Auch das irritiert Irminger. Er sagt mit Blick auf die SP: «Dass sogar Tamara Funiciello offen sagte, der Anspruch der SVP auf zwei Sitze sei unbestritten, könnte zum Schluss verleiten, dass die SP einen Deal mit der SVP sucht, um ihre eigenen zwei Sitze um jeden Preis zu retten.» Doch dabei würde die SP verdrängen, «dass die SVP weit nach rechts gerückt ist». Es ist diese Entwicklung, die Irminger grosse Sorgen bereitet. Aus taktischen Gründen würde die SVP verharmlost, eingebunden und normalisiert. Und in der Folge ihre extreme Politik institutionalisiert. Eine Entwicklung, die mit der Wahl von Albert Rösti ihre Vollendung erfahren könnte.