CO2-Gesetz: Mit der Faust auf den Tisch

Nr. 24 –

Viele neue Ideen sollen die Schweizer Klimapolitik nach dem Nein bei der Abstimmung voranbringen. Doch erst muss die wichtigste Frage geklärt sein: Was ging schief?

Wo sie die Konsumgewohnheiten nicht betreffen, werden Massnahmen zum Klimaschutz eher akzeptiert: Windturbinen im Entlebuch. Foto: Branko De Lang, Keystone

Am Tag danach sitzt Vreni Schmidlin in ihrem Büro und sortiert ihre Gedanken. Schmidlin ist Gemeindepräsidentin im luzernischen Entlebuch, einer Gemeinde mit 3200 EinwohnerInnen, gelegen in einem Schweizer Idyll: Die umliegende Unesco-Biosphäre, die geschwungene, unverbaute Landschaft, Energie aus Wasser und Wind – Natur und Mensch sind sich hier sehr nahe. Entlebuch bietet Carsharing an, hat eine Biogasanlage, die Hofdächer sind mit Solarzellen bedeckt, die Nullenergiekäserei ist die erste ihrer Art in der Schweiz. Trotzdem hat Entlebuchs Stimmbevölkerung am Abstimmungssonntag wütend alles verworfen, was Natur und Klima genützt hätte. 90 Prozent Nein zu den Agrarinitiativen, über 72 Prozent Nein zum CO2-Gesetz. Stimmbeteiligung: 80 Prozent. Ein Ergebnis wie ein Faustschlag auf den Tisch. Schmidlin sagt, das Resultat habe sie überrascht, «vor allem diese Wucht».

Was in Entlebuch passiert ist, geschah rundum in der ländlichen Schweiz. Während die Städte klar Ja sagten zur CO2-Vorlage und die Agglo unentschlossen war, fiel sie auf dem Land deutlich durch. Die Schweiz hat sich damit noch weiter davon entfernt, die Klimaziele des Pariser Übereinkommens zu erreichen. Gesucht sind nun dringend Antworten auf die Fragen, was schieflief und wie die Schweiz klimapolitisch in die Spur findet.

Lenkungsabgaben nicht verstanden

Vreni Schmidlin, Mitglied der FDP, hat eine Erklärung, die zumindest einen Teil des Ergebnisses erfasst. Viele Leute in ihrer Gemeinde seien aufs Auto angewiesen, hätten den möglichen Aufschlag auf den Benzinpreis von bis zu 12 Rappen deshalb abgelehnt. Dazu komme die Furcht vor hohen Sanierungskosten, weil die Bausubstanz der Häuser hier oft alt sei. Allerdings lehnte ihre Stimmbevölkerung am Sonntag gleich alle fünf Vorlagen ab. Vor allem von der SVP habe sich die Losung verbreitet, man müsse fünf Mal Nein stimmen, sagt Schmidlin. Entlebuch, ein Bollwerk des Stillstands? Wie passt das zu einem Dorf, das mutig die Energiewende vollzieht? Schmidlin reagiert trotzig: «Wir werden das Ziel der nachhaltigen Energiewende konsequent weiterverfolgen, trotz Ablehnung des CO2-Gesetzes, oder eben jetzt erst recht.» Neue Windkraftanlagen sind in Planung, und eine Konzessionserneuerung für das Wasserkraftwerk steht an.

Wer das Scheitern erklärt haben will, kann auch bei Isabelle Stadelmann anrufen. Stadelmann ist Politologin an der Uni Bern, ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf der Akzeptanz von Klimamassnahmen. «Für das Nein an der Urne lassen sich vor dem Hintergrund der Forschung zahlreiche Erklärungen finden», sagt sie vorweg. Eine bezieht sich auf die Kostenfrage: «Je höher die persönlichen Kosten erscheinen, desto geringer ist die Akzeptanz von Klimamassnahmen.» Wobei auch die immateriellen Kosten ins Gewicht fallen, wie Beschneidungen der eigenen Freiheit. Da gab es dann auch Wechseleffekte mit den anderen Vorlagen, etwa dem Covid-Gesetz.

Ein Ja zum Atomausstieg, ein Ja zu hochtrabenden Klimazielen: Relativ einfach zu erreichen, sagt Stadelmann. Sobald es ums eigene Portemonnaie und um soziale Gerechtigkeit geht, schmilzt die Mehrheit dramatisch. Der Gegenseite sei es gelungen, die Debatte genau in diese Richtung zu lenken. Dürfen nur noch Reiche fliegen?, fragte die SVP angesichts des geplanten Aufschlags von 30 Franken auf Flugtickets. «Das ist ein Claim, der in allen politischen Lagern verfängt», glaubt Stadelmann. Deshalb wurde aus der Klimafrage eine soziale Frage. Zugleich sei die versprochene Rückzahlung der neuen Abgaben nicht verstanden worden: dass damit ein wesentlicher Teil der Bevölkerung, gerade Haushalte mit geringem Einkommen, am Ende mehr zurückbezahlt bekommen hätte, als sie durch die Abgaben finanziell belastet worden wären. «Zahlreiche Studien zeigen klar: Die allermeisten Leute verstehen nicht, wie Lenkungsabgaben funktionieren», sagt Stadelmann. Folglich, das zeigt eine Befragung von Tamedia, lehnte der von finanziellen Sorgen geplagte untere Mittelstand das CO2-Gesetz deutlich ab.

Den Mechanismus zu erklären und die Debatte woanders hinzuführen, das gelang den BefürworterInnen nie. Obwohl eine politische Phalanx in seltener Breite, von links bis Mitte-rechts, von der Klima-Allianz bis zu Economiesuisse, für das Gesetz einstand. Eine Koalition, wie geschaffen dafür, dass die Schweiz ihren Beitrag zur Bewältigung der grössten Krise der Menschheitsgeschichte leistet. Eine Koalition, aus der jetzt schon die Luft raus ist.

Schuldzuweisungen in Bern

Der Tag danach in der Hauptstadt. Im Hintergrund der Bundesterrasse strahlen die schneebedeckten Berner Alpen um die Wette. Ob der traumhaften Aussicht fragt man sich, warum drinnen im Parlamentsgebäude eigentlich nicht das Menschenmögliche getan wird, um die Klimaerwärmung zu stoppen. Und weshalb es den Parteien von Grünen bis FDP nicht gelungen ist, die Bevölkerung vom CO2-Gesetz zu überzeugen.

Balthasar Glättli, Präsident der Grünen Partei, nimmt im Bistro des Bundeshauses Platz, streckt die Arme weit auseinander und fragt rhetorisch: «Wer ist zurückgetreten?» Für Glättli ist klar: Die Ablehnung des CO2-Gesetzes hat in erster Linie der Freisinn zu verantworten, dessen Präsidentin Petra Gössi am Tag nach der Abstimmung ihren Rücktritt bekannt gab. Glättli zieht sein Tablet hervor und zeigt die Statistiken der Nachbefragung: «90 Prozent der Grünen haben für das Gesetz gestimmt, lediglich 40 Prozent waren es bei der FDP. Der Gap liegt auf der rechten, nicht auf der linken Seite.»

Dieser Unterschied sei umso bedenklicher, als das Gesetz auf die Freisinnigen ausgerichtet gewesen sei: «Es war ein Kompromiss, der staatliche Interventionen mit liberalen Anreizen kombinierte.» Staatliche Industriepolitik war die Schaffung eines Klimafonds. Dem liberalen Glauben folgte die erhöhte Lenkungsabgabe auf fossile Brennstoffe. «Just gegen diesen Teil richtete sich die Gegenkampagne.» Für Glättli ist klar: Eine Neuauflage des Gesetzes sollte sozialer ausgestaltet sein. «Wir stehen vor gemeinschaftlichen Herausforderungen. Diese soll nicht die unsichtbare Hand des freien Marktes lösen, sondern die öffentliche Hand.»

Im rechten Vorzimmer des Nationalrats sitzt Albert Rösti, SVP-Nationalrat und Präsident der Heizölvereinigung Swissoil. Soweit es mit der Gesichtsmaske erkennbar ist, strahlt Rösti zwar nicht. Aber über das Resultat gibt er sich hochzufrieden. Die Kampagne sei voll aufgegangen. «Im Streit über die Höhe der Kosten wurde eines klar: dass dieses Gesetz seinen Preis hat, ohne dass es etwas für das Klima nützt.» Dabei hätte man doch seit dem Nein zu einer teureren Autobahnvignette wissen können, wie heikel solche Vorlagen seien. «Die Befürworter wären gut beraten gewesen, im Rat etwas mehr auf uns zu hören.» Als Absage an den Klimaschutz will Rösti das Ergebnis aber nicht verstanden haben. «Wir wollen einfach keine höheren Abgaben ohne Wirkung.»

Röstis Analyse dürfte so falsch nicht sein. Jedenfalls wird sie auch von jenen geteilt, die mit viel Einsatz für das CO2-Gesetz warben und jetzt darüber nachdenken, wie es weitergehen könnte.

«Der Benzinpreis ist ein schwieriges Terrain», klagt Christian Lüthi, Geschäftsleiter der Klima-Allianz, eines Verbunds von über hundert Organisationen, insbesondere NGOs. Das Problem mit dem Strassenverkehr, dessen CO2-Ausstoss munter steigt, möchte er von der Rückseite her anpacken. Die Importregeln sollen so weit verschärft werden, dass Schweizer Autohändler grosse SUVs mit Verbrennungsmotor gar nicht mehr anbieten können. Dazu vermutet er, dass nicht umstrittene Einzelteile der Vorlage, etwa dass Unternehmen sich von der CO2-Abgabe befreien können, wenn sie ihren CO2-Ausstoss verringern, rasch durchs Parlament gehen werden. «Das kann dann noch mit weiteren wenig umstrittenen Instrumenten kombiniert werden», glaubt Lüthi.


Neue Initiativen angekündigt

Doch gedacht wird längst nicht nur in kleinen Schritten, grosse Würfe sind bereits angekündigt. Die Jungen Grünen lancieren die «Umweltverantwortungsinitiative», die den ökologischen Fussabdruck der Schweiz dramatisch senken würde. Die SP will gemeinsam mit den Grünen und der Klima-Allianz mit einer Initiative den Finanzplatz disziplinieren und Investitionen in fossile Energieträger verbieten. Klimapolitik fungiert dabei als Hebel, um die Bankenwelt zurückzustutzen, «damit sie wieder der Gesellschaft und Realwirtschaft dient und nicht umgekehrt», sagt SP-Nationalrat Jon Pult. Für den Bündner ist klar: «Es gibt keine reine Klimadebatte.» Bis beide Initiativen zur Abstimmung kommen, werden allerdings Jahre vergehen. Doch schon jetzt ist absehbar: Nach dem Scheitern des liberalen Kompromisses dürfte wieder weit stärker über die richtigen Rezepte gestritten werden.

Als erste Forderung spricht Grünen-Präsident Balthasar Glättli ein Wort aus, das viele PolitikerInnen sonst meiden: Verbot. «Die Geschichte der Umweltpolitik zeigt, dass Verbote und technische Vorschriften an der Urne erfolgreicher sind als Anreize für die KonsumentInnen.» Ganz einfach, weil sie für alle gelten. Ein solches Verbot könnte zum Beispiel die Neuzulassung von Verbrennungsmotoren betreffen. Punkt zwei in Glättlis Programm: Subventionen. «Der Ersatz einer Ölheizung ist für viele schwierig, weil es sich um eine einmalige, teure Investition handelt.» Mit starken Subventionen, die in Raten zurückgezahlt werden könnten, würde man für viele HauseigentümerInnen den ökologischen Umbau vereinfachen und gleichzeitig eine Mietkostenexplosion vermeiden. Punkt drei: «Beim Finanzplatz hat die Schweiz einen mächtigen Hebel.» Der globale CO2-Ausstoss, den Banken und Versicherungen mit ihren Anlagen verantworteten, sei zwanzigmal höher als jener der Schweiz.

Auf der anderen Ratsseite gibt sich Albert Rösti ob diesen Forderungen irritiert: «Glättli muss sehr mutig sein, um das Abstimmungsresultat so zu interpretieren.» Mit seinen 78 Artikeln sei das CO2-Gesetz doch alles andere als liberal gewesen. Für Rösti steht im Vordergrund, dass zuerst die erneuerbaren Energien ausgebaut werden. Erst dann könne man an einen Rückbau der fossilen Energieträger denken. Deshalb unterstützt Rösti einen Antrag des Grünen Bastien Girod zur Förderung von Biogas, Kleinwasserkraftwerken, Wind und Geothermie. Hauptsache, das Heizöl kann weitere Jahre verkauft werden.

Die Rolle des Klimastreiks

Viel hat nicht gefehlt, und das CO2-Gesetz hätte es an der Urne geschafft. Weil es so knapp war, werden nun Vorwürfe laut, der Klimastreik habe mit seiner Passivität für das Nein gesorgt.

Diese Kritik sorgt in Teilen der Klimabewegung für Empörung. Klimaaktivistin Annika Lutzke ist anderer Meinung. Es sei sehr gut möglich, dass der Klimastreik den Unterschied gemacht habe: «Ich würde das als Sieg bezeichnen. Es zeigt, wie viel Einfluss wir haben.» Für Lutzke ist die Forderung absurd, die Klimajugend hätte eine Ja-Kampagne fahren müssen. Der Ansatz mit dem individuellen Konsumverzicht sei der falsche gewesen, es brauche systemische Veränderungen. «Die Linken verwenden nun plötzlich unsere Argumente gegen das CO2-Gesetz. Inhaltlich haben wir gewonnen, doch nun brauchen wir den Druck von der Strasse, um wirklich sozial gerechten Klimaschutz zu erreichen.»